Die Dämonen. Fjodor Dostojewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fjodor Dostojewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754188668
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Stückenzucker.

      »Ich trinke gern Tee,« sagte er; »nachts; ich gehe viel hin und her und trinke; bis zum Morgengrauen. Im Auslande ist das Teetrinken bei Nacht unbequem.«

      »Sie legen sich erst gegen Morgen hin?«

      »Ja, immer; schon lange. Ich esse wenig; immer Tee. Liputin ist schlau, aber ungeduldig.«

      Es wunderte mich, daß er sich auf ein Gespräch einlassen wollte; ich beschloß, den günstigen Augen blick zu benutzen.

      »Es sind vorhin unangenehme Mißverständnisse vorgekommen,« bemerkte ich.

      Er machte ein sehr finsteres Gesicht.

      »Das sind Dummheiten; das sind lauter Possen. Das sind lauter Possen, weil Lebjadkin ein Trunkenbold ist. Ich habe zu Liputin nichts gesagt, sondern nur erklärt, daß es Possen sind; denn jener Mensch hat gelogen. Liputin hat viel Phantasie; aus einer Mücke macht er einen Elefanten. Ich habe ihm gestern geglaubt.«

      »Und heute glauben Sie mir?« fragte ich lachend.

      »Sie wissen ja schon von vorhin über alles Bescheid. Liputin ist entweder schwach oder ungeduldig oder böswillig oder ... neidisch.«

      Das letzte Wort fiel mir auf.

      »Sie haben da so viele Kategorien aufgestellt, daß es nicht wunderbar ist, wenn er in eine von ihnen hineingehört.«

      »Oder auch in alle zusammen.«

      »Ja, auch das könnte sein. Liputin ist ein reines Chaos. Hat er das wirklich heute erlogen, daß Sie eine Abhandlung schreiben wollen?«

      »Warum soll er das erlogen haben?« erwiderte er, wieder mit finsterer Miene und zu Boden blickend.

      Ich bat um Entschuldigung und versicherte ihm, daß ich ihn nicht ausfragen wolle. Er wurde rot.

      »Er hat die Wahrheit gesagt; ich schreibe. Aber das ist ganz egal.«

      Ein Weilchen schwiegen wir beide; auf einmal trat auf sein Gesicht das kindliche Lächeln, das ich schon von vorhin kannte.

      »Das von den Köpfen hat er selbst aus einem Buche entnommen und mir selbst zuerst gesagt; er versteht aber schlecht, was ich vorhabe. Ich suche nur die Ursache, weswegen die Menschen es nicht wagen, sich das Leben zu nehmen; weiter nichts. Und das ist ganz egal.«

      »Was meinen Sie damit, daß die Menschen es nicht wagen? Gibt es denn etwa so wenig Selbstmörder?«

      »Sehr wenige.«

      »Finden Sie das wirklich?«

      Er antwortete nicht, stand auf und begann nachdenklich auf und ab zu gehen.

      »Was hält denn Ihrer Ansicht nach die Menschen vom Selbstmorde zurück?« fragte ich.

      Er sah mich zerstreut an, wie wenn er sich zu besinnen suchte, wovon wir gesprochen hätten.

      »Ich ... ich bin mir darüber noch nicht ganz im klaren ... Zwei vorgefaßte Meinungen sind es, die die Menschen zurückhalten; zwei Dinge, nur zwei; ein sehr kleines und ein anderes sehr großes. Aber das kleine ist auch sehr groß.«

      »Was ist denn das kleine?«

      »Der Schmerz.«

      »Der Schmerz? Ist denn das so wichtig ... in einem solchen Falle?«

      »Das steht an erster Stelle. Es gibt zwei Arten von Selbstmördern: solche, die sich entweder aus großem Kummer töten oder aus Ingrimm oder im Wahnsinn oder aus ähnlichem Grunde ... die tun es alle plötzlich. Die denken wenig an den Schmerz, sondern tun es plötzlich. Aber diejenigen, die es mit Überlegung tun, die denken viel darüber nach.«

      »Aber gibt es denn solche, die es mit Überlegung tun?«

      »Sehr viele. Wenn die vorgefaßte Meinung nicht da wäre, würden es noch mehr sein; sehr, sehr viele; alle.«

      »Nun, nun! Wirklich alle?«

      Er schwieg.

      »Gibt es denn kein Mittel, um schmerzlos zu sterben?« fragte ich.

      »Denken Sie sich,« erwiderte er, indem er vor mir stehen blieb, »denken Sie sich einen Stein von solcher Größe wie ein großes Haus; er hängt, und Sie befinden sich unter ihm; wenn er herunterfällt, Ihnen auf den Kopf, wird Ihnen das weh tun?«

      »Ein hausgroßer Stein? Gewiß, das ist ja furchtbar.«

      »Von der Furcht rede ich nicht; wird es weh tun?«

      »Ein Stein wie ein Berg? Ein Stein, der Millionen Pud schwer ist? Selbstverständlich wird es nicht weh tun.«

      »Aber obwohl Sie das einsehen, werden Sie doch, solange er hängt, sehr fürchten, daß es weh tun werde. Der größte Gelehrte, der klügste Mann, alle, alle werden sie das sehr fürchten.«

      »Nun, und die zweite Ursache, die große?«

      »Das Jenseits.«

      »Das heißt: die Bestrafung?«

      »Ganz egal; das Jenseits; nur das Jenseits.«

      »Gibt es nicht solche Atheisten, die überhaupt nicht an ein Jenseits glauben?«

      Er schwieg wieder.

      »Sie urteilen vielleicht nach sich?« fragte ich.

      »Jeder kann nur nach sich urteilen,« sagte er errötend. »Die volle Freiheit wird dann da sein, wenn es dem Menschen ganz egal sein wird, ob er lebt oder nicht. Das ist das Ziel für die Gesamtheit.«

      »Das Ziel? Aber dann wird vielleicht niemand mehr leben wollen?«

      »Nein, niemand,« erwiderte er in entschiedenem Tone.

      »Der Mensch fürchtet den Tod, weil er das Leben liebt; so fasse ich das auf,« bemerkte ich, »und so hat es die Natur gewollt.«

      »Das ist gemein, und hierin steckt der Betrug!« Seine Augen funkelten. »Das Leben ist Schmerz, das Leben ist Furcht, und der Mensch ist unglücklich. Jetzt ist alles Schmerz und Furcht. Jetzt liebt der Mensch das Leben, weil er den Schmerz und die Furcht liebt. Das Leben wird einem jetzt gegeben zum Zwecke des Schmerzes und der Furcht, und hierin steckt der ganze Betrug. Jetzt ist der Mensch noch nicht der richtige Mensch. Es wird einen neuen Menschen geben, einen glücklichen und stolzen Menschen. Wem es ganz egal sein wird, ob er lebt oder nicht, der wird ein neuer Mensch sein. Wer den Schmerz und die Furcht überwindet, der wird selbst ein Gott sein. Und jener Gott wird dann nicht sein.«

      »Also existiert jener Gott doch nach Ihrer Ansicht?«

      »Er existiert nicht; aber Er existiert. Der Stein bereitet keinen Schmerz; aber die Furcht vor dem Stein bereitet Schmerz. Gott ist der Schmerz der Todesfurcht. Wer den Schmerz und die Furcht überwindet, der wird selbst ein Gott. Dann wird ein neues Leben sein und ein neuer Mensch; alles wird neu sein ... Dann wird man die Geschichte in zwei Teile teilen: vom Gorilla bis zur Vernichtung Gottes und von der Vernichtung Gottes bis ...«

      »Bis zum Gorilla?«

      »... bis zur physischen Umgestaltung der Erde und bis zur physischen Umgestaltung des Menschen. Der Mensch wird ein Gott sein und wird sich physisch umgestalten. Auch die Welt wird sich umgestalten, und die Dinge werden sich umgestalten und die Gedanken und alle Empfindungen. Wie denken Sie darüber: wird sich dann der Mensch physisch umgestalten?«

      »Wenn es den Menschen ganz egal sein wird, ob sie leben oder nicht, dann werden sich alle töten, und darin wird vielleicht die Umgestaltung bestehen.«

      »Das ist ganz egal. Der Betrug wird getötet werden. Jeder, der die völlige Freiheit erlangen will, muß es wagen, sich zu töten. Wer es wagt, sich zu töten, der hat das Geheimnis des Betruges erkannt. Eine höhere Freiheit gibt es nicht; das ist alles, darüber hinaus gibt es nichts. Wer es wagt, sich zu töten, der ist ein Gott. Jetzt kann jeder bewirken, daß Gott nicht existiert und nichts existiert. Aber es hat es