In diesen letzten Jahren waren die Generalstöchter alle drei herangewachsen und herangereift: Alexandra, Adelaida und Aglaja. Allerdings trugen sie alle drei nur den Namen Jepantschin; aber mütterlicherseits waren sie doch von fürstlicher Abkunft; sie hatten eine bedeutende Mitgift und einen Vater, der vielleicht Aussicht hatte, später noch eine sehr hohe Stelle zu erhalten, und, was ebenfalls sehr wichtig war, sie waren alle drei recht hübsch, auch die älteste, Alexandra, nicht ausgenommen, die bereits fünfundzwanzig Jahre alt war. Die mittlere war dreiundzwanzig, und die jüngste, Aglaja, war eben erst zwanzig geworden. Diese Jüngste war sogar eine wirkliche Schönheit und begann schon in der Gesellschaft großes Aufsehen zu erregen. Aber auch das war noch nicht alles: alle drei zeichneten sich durch Bildung, Verstand und Talente aus. Es war bekannt, daß sie einander innig liebten und sich gegenseitig in allen Stücken hilfreich waren. Man wußte sogar von gewissen Opfern zu sagen, die die beiden älteren zugunsten der jüngsten, die der Abgott des ganzen Hauses war, gebracht haben sollten. In Gesellschaft neigten sie nicht dazu, sich vorzudrängen, sondern waren sogar allzu bescheiden. Niemand konnte ihnen den Vorwurf der Hoffart oder des Dünkels machen; aber doch wußte man, daß sie ihren Stolz hatten und ihren eigenen Wert kannten. Die älteste war musikalisch, die mittlere eine begabte Malerin; aber davon wußte viele Jahre lang fast niemand, und es war erst in der letzten Zeit und nur zufällig an die Öffentlichkeit gekommen. Kurz, es wurde über sie außerordentlich viel Lobendes gesprochen. Indessen fehlte es auch nicht an Übelwollenden. Mit Schrecken redeten diese davon, wieviele Bücher die jungen Damen gelesen hätten. Mit dem Heiraten hatten sie es nicht eilig; sie legten zwar Wert auf den Verkehr in einem gewissen Gesellschaftskreis, aber alles nur mit Maßen. Das war um so bemerkenswerter, als jedermann die Richtung, den Charakter, die Ziele und die Wünsche ihres Vaters kannte.
Es war schon gegen elf Uhr, als der Fürst an der Wohnung des Generals klingelte. Der General wohnte im zweiten Stockwerk und hatte ein möglichst bescheidenes, wiewohl seinem Rang entsprechendes Quartier inne. Dem Fürsten wurde von einem Diener in Livree geöffnet, und es bedurfte langer Auseinandersetzungen mit diesem Menschen, der ihn und sein Bündelchen gleich von Anfang an mißtrauisch betrachtete. Endlich, nachdem er ihm wiederholt auf das bestimmteste erklärt hatte, daß er wirklich Fürst Myschkin sei und unbedingt den General in einer notwendigen Angelegenheit sprechen müsse, führte ihn der erstaunte Diener in ein kleines Vorzimmer vor dem eigentlich beim Arbeitszimmer gelegenen Wartezimmer, und übergab ihn dort einem andern Diener, der vormittags in diesem Vorzimmer den Dienst versah und dem General die Besucher anzumelden hatte. Dieser zweite Diener trug einen Frack, war über vierzig Jahre alt und hatte eine ernste, wichtige Miene; er stand Seiner Exzellenz zur speziellen Verfügung, wenn derselbe sich im Arbeitszimmer befand, und war sich infolgedessen seines Wertes bewußt.
»Warten Sie im Wartezimmer und lassen Sie Ihr Bündelchen hier!« sagte er, indem er sich langsam und würdevoll in seinen Lehnstuhl setzte und mit einem strengen, erstaunten Blick den Fürsten ansah, der sich ebendort neben ihm auf einen Stuhl niederließ und sein Bündelchen in der Hand behielt.
»Wenn Sie erlauben«, sagte der Fürst, »so möchte ich lieber hier bei Ihnen warten; was soll ich dort so ganz allein?«
»Im Vorzimmer können Sie nicht bleiben, da Sie ein Besucher, das heißt ein Gast, sind. Wollen Sie zum General selbst?«
Der Diener konnte sich offenbar nicht mit dem Gedanken befreunden, daß er einen solchen Besucher einlassen solle, und hielt daher für gut, ihn noch einmal zu fragen.
»Ja, ich habe ein Anliegen ...«, begann der Fürst.
»Ich frage Sie nicht, von welcher Art Ihr Anliegen ist; meines Amtes ist nur, Sie zu melden. Aber ohne Mitwirkung des Sekretärs kann ich nicht hingehen und Sie melden.«
Das Mißtrauen dieses Mannes schien immer mehr zu wachsen: der Fürst war doch auch dem Typus der täglichen Besucher gar zu unähnlich. Zwar kam es ziemlich oft, fast täglich, zu bestimmter Stunde vor, daß der General, namentlich in Geschäftsangelegenheiten, Gäste empfing, die manchmal sehr verschiedenartig aussahen; aber trotz dieser Gewohnheit und der recht weitherzigen Instruktion war der Kammerdiener in großem Zweifel; die Vermittlung des Sekretärs schien ihm für die Anmeldung doch unumgänglich notwendig.
»Sind Sie wirklich ... aus dem Ausland gekommen?« fragte er schließlich fast unwillkürlich und wurde dabei verlegen.
Er wollte vielleicht fragen: »Sind Sie wirklich Fürst Myschkin?«
»Ja, ich komme direkt von der Bahn. Mir scheint, Sie wollten fragen, ob ich wirklich Fürst Myschkin sei, fragten aber nicht so aus Höflichkeit.«
»Hm ...!« brummte der Diener erstaunt.
»Ich versichere Ihnen, daß ich Sie nicht belogen habe und daß Sie mit meiner Anmeldung nichts Unverantwortliches begehen. Daß ich aber in solchem Anzug und mit einem Bündelchen herkomme, dabei ist nichts zu verwundern; meine Vermögensverhältnisse sind augenblicklich nicht glänzend.«
»Hm! Ich hege in dieser Hinsicht keine Befürchtungen, sehen Sie! Ich bin verpflichtet, Sie zu melden, und dann wird der Sekretär zu Ihnen herkommen, außer wenn Sie ... Aber das ist es eben: außer wenn ... Wenn es gestattet ist, möchte ich mir erlauben zu fragen: Sie beabsichtigen nicht, aus Bedürftigkeit den General um eine Unterstützung zu bitten?«
»O nein, seien Sie darüber ganz beruhigt! Ich habe ein anderes Anliegen.«
»Nehmen Sie es mir nicht übel; aber ich fragte im Hinblick auf Ihr Äußeres. Warten Sie auf den Sekretär; der General selbst ist jetzt mit einem Oberst beschäftigt, und dann wird auch der Sekretär kommen ... es ist der Sekretär von einer Aktiengesellschaft.«
»Wenn ich also lange werde warten müssen, so möchte ich Sie fragen: kann man hier nicht irgendwo rauchen? Eine Pfeife und Tabak habe ich bei mir.«
»Rau-chen?« versetzte der Kammerdiener, ihn geringschätzig und erstaunt anstarrend, als ob er seinen Ohren nicht traute. »Rauchen? Nein, hier können Sie nicht rauchen, und Sie sollten sich schämen, auch nur daran zu denken. Haha ... Sonderbar!«
»Oh, ich meinte ja nicht in diesem Zimmer; daß das nicht geht, weiß ich ja; sondern ich würde irgendwohin gehen, wohin Sie mich weisen würden, denn ich bin daran gewöhnt und habe jetzt schon drei Stunden lang nicht geraucht. Übrigens, wie Sie es für gut halten; wissen Sie, es gibt ein Sprichwort: Kommst du in ein fremdes Kloster, so suche da nicht deine eigene Ordnung einzuführen.«
»Na, wie soll ich Sie melden, so einen eigentümlichen Besucher?« murmelte der Kammerdiener beinah unwillkürlich. »Erstens gehört es sich nicht, daß Sie sich hier aufhalten; Sie sollten im Wartezimmer sitzen, weil Sie selbst sich als Besucher, das heißt als Gast, bezeichnen; da wird Rechenschaft von mir gefordert werden ... Wie ist es? Beabsichtigen Sie etwa bei uns zu wohnen?« fügte er hinzu, noch einmal nach dem Bündel des Fürsten hinschielend, das ihm offenbar keine Ruhe ließ.
»Nein, das beabsichtige ich nicht. Selbst wenn ich dazu aufgefordert würde, würde ich nicht hierbleiben. Ich bin ganz einfach nur hergekommen, um die Bekanntschaft der Herrschaften zu machen, weiter nichts.«
»Wie? Um die Bekanntschaft zu machen?« fragte der Kammerdiener erstaunt und mit verdreifachtem Mißtrauen. »Wie konnten Sie dann aber zuerst sagen, Sie kämen mit einem Anliegen?«
»Oh,