»Abscheuliche Menschen sind Ganja und Warja und Ptizyn! Ich werde mich nicht mit ihnen herumstreiten; aber unsere Wege gehen von nun an auseinander! Ach, Fürst, ich habe seit gestern sehr viel neue Empfindungen durchgemacht; das ist eine schwere Prüfung für mich! Auch für meine Mutter glaube ich jetzt selbst sorgen zu sollen; sie befindet sich ja zwar in Warjas Pflege; aber das ist doch nicht das Richtige ...«
Er sprang auf, da er sich erinnerte, daß er erwartet werde, fragte noch schnell nach dem Gesundheitszustand des Fürsten und fügte, als er die Antwort gehört hatte, plötzlich eilig hinzu:
»Gibt es sonst nichts Neues? Ich hörte, daß gestern ... übrigens habe ich kein Recht, davon zu reden; aber wenn Sie jemals in irgendeiner Sache einen treuen Diener nötig haben, so steht ein solcher vor Ihnen. Es scheint, daß wir beide nicht ganz glücklich sind, nicht wahr? Aber ... ich stelle keine Fragen, ich stelle keine Fragen ...«
Er ging weg; der Fürst aber versank noch mehr in seine Gedanken: alle Leute prophezeiten ihm Unheil; alle hatten bereits aus dem Geschehenen ihre Schlüsse gezogen; alle sahen so aus, als ob sie etwas wüßten, etwas, was er nicht wisse; Lebedjew fragte ihn aus; Kolja machte direkte Andeutungen; Wjera weinte. Zuletzt machte er ärgerlich eine Handbewegung, als würfe er alles hinter sich: »Weg mit der verdammten krankhaften Zweifelsucht!« dachte er. Sein Gesicht hellte sich auf, als er zwischen ein und zwei Uhr die Jepantschinschen Damen eintreten sah, die ihm »auf ein Augenblickchen« einen Besuch machen wollten. Lisaweta Prokofjewna hatte, als sie vom Frühstückstisch aufstand, erklärt, sie würden jetzt alle spazierengehen, und zwar alle zusammen. Diese Mitteilung war kurz, trocken, ohne Erläuterungen in Form eines Befehls erfolgt. Alle hatten sich demnach aufgemacht, das heißt die Mama, die jungen Mädchen und der Fürst Schtsch. Lisaweta Prokofjewna hatte ohne weiteres die entgegengesetzte Richtung von derjenigen eingeschlagen, die sie täglich einzuschlagen pflegten. Alle hatten gemerkt, um was es sich handelte, und alle hatten geschwiegen, da sie sich fürchteten, die Mama zu reizen; diese aber war, wie wenn sie einen Vorwurf und die Erwiderung darauf vermeiden wollte, allen vorangegangen, ohne sich umzudrehen. Schließlich hatte Adelaida bemerkt, auf einem Spaziergang brauche man doch nicht so zu laufen, und sie könnten mit der Mama gar nicht mitkommen.
Da hatte sich Lisaweta Prokofjewna auf einmal umgedreht und gesagt: »Also wir kommen jetzt bei ihm vorbei. Wie nun auch Aglaja darüber denken mag, und was sich auch weiter ereignen mag, jedenfalls ist er uns kein Fremder, und jetzt ist er obendrein unglücklich und krank; ich wenigstens werde jetzt zu ihm herangehen und ihn besuchen. Wer mit mir hereinkommen will, kann es tun; wer es nicht will, kann vorbeigehen; dem ist der Weg nicht versperrt.«
Alle waren selbstverständlich mit hereingekommen. Der Fürst beeilte sich gebührendermaßen, noch einmal wegen der gestrigen Vase und ... wegen des erregten Anstoßes um Verzeihung zu bitten.
»Na, es hat nichts auf sich«, antwortete Lisaweta Prokofjewna. »Um diese Vase ist es nicht weiter schade, sondern um dich. Also merkst du jetzt selbst, daß du Anstoß erregt hast; da sieht man, was es bedeutet: ›sich eine Sache beschlafen‹. Aber auch das macht nichts, da jeder jetzt sieht, daß du dafür nicht verantwortlich gemacht werden kannst. Nun aber auf Wiedersehen; wenn du dazu imstande bist, so geh ein bißchen spazieren und lege dich dann wieder schlafen; das ist mein Rat. Und wenn du magst, so besuche uns wie früher; sei ein für allemal versichert, daß, was sich auch ereignen und begeben mag, du doch immer ein Freund unseres Hauses bleibst, wenigstens mein Freund. Für mich wenigstens kann ich einstehen ...«
Auf diese Herausforderung reagierten alle und schlossen sich den von der Mama ausgesprochenen Empfindungen an. Sie gingen fort; aber in Lisaweta Prokofjewnas gutmütiger Eile, etwas Freundliches und Ermutigendes zu sagen, hatte doch eine arge Grausamkeit verborgen gelegen, was ihr gar nicht zum Bewußtsein gekommen war. In der Einladung, »wie früher« zu kommen, und in den Worten »wenigstens mein Freund« hatte wieder ein Art Voraussagung gelegen. Der Fürst rief sich Aglajas Verhalten ins Gedächtnis zurück; gewiß, sie hatte ihm sehr freundlich zugelächelt, beim Kommen und beim Abschied, hatte aber kein Wort gesagt, nicht einmal da, als alle ihm ihre Freundschaft versicherten, obgleich sie ihn zweimal unverwandt angesehen hatte. Ihr Gesicht war ungewöhnlich blaß gewesen, wie wenn sie in der Nacht schlecht geschlafen gehabt hätte. Der Fürst nahm sich vor, am Abend unbedingt »wie früher« zu ihnen zu gehen, und blickte in fieberhafter Erregung nach der Uhr.
Da trat, gerade drei Minuten, nachdem Jepantschins weggegangen waren, Wjera ins Zimmer.
»Ljow Nikolajewitsch, Aglaja Iwanowna hat mir soeben heimlich eine Bestellung an Sie aufgetragen.«
Der Fürst begann stark zu zittern. »Ein Billett?«
»Nein, eine mündliche Bestellung; auch dazu hatte sie nur knapp Zeit. Sie läßt Sie dringend bitten, heute den ganzen Tag das Haus auch nicht eine Minute zu verlassen, bis sieben Uhr abends, oder sogar bis neun Uhr; das habe ich nicht ganz deutlich gehört.«
»Ja ... warum denn? Was bedeutet das?«
»Das weiß ich nicht; aber sie hat mir aufs strengste befohlen, es auszurichten.«
»Hat sie den Ausdruck ›aufs strengste‹ gebraucht?«
»Nein, so geradezu hat sie es nicht gesagt; sie hatte kaum Zeit sich umzudrehen und es mir zu sagen; zum Glück sprang ich selbst noch schnell zu ihr heran. Aber schon an ihrem Gesicht war zu sehen, wie sie es befahl: ob aufs strengste oder nicht. Sie sah mich so an, daß mir beinah das Herz stehenblieb ...«
Der Fürst richtete noch einige Fragen an Wjera, und obgleich er nichts weiter erfuhr, beunruhigte er sich nun noch mehr. Als er allein geblieben war, legte er sich auf das Sofa und fing wieder an nachzudenken. »Vielleicht ist heute jemand bis neun Uhr bei ihnen, und sie fürchtet wieder, daß ich in Gegenwart der Gäste etwas anrichte«, dachte er endlich und begann wieder ungeduldig auf den Abend zu warten und nach der Uhr zu sehen. Aber die Auflösung des Rätsels erfolgte erheblich früher als am Abend, und ebenfalls in Form eines neuen Besuches, und diese Auflösung hatte die Gestalt eines neuen qualvollen Rätsels: genau eine halbe Stunde, nachdem Jepantschins weggegangen waren, trat Ippolit bei ihm ein, dermaßen müde und erschöpft, daß er beim Eintritt, ohne ein Wort zu sagen, wie besinnungslos auf einen Sessel niederfiel und sofort einen entsetzlichen Hustenanfall bekam. Er hustete so, daß er Blut auswarf. Seine Augen funkelten, und rote Flecken brannten auf seinen Backen. Der Fürst murmelte ihm etwas zu; aber er antwortete nicht und winkte noch lange, ohne zu antworten, nur mit der Hand ab, der Fürst möchte ihn vorläufig in Ruhe lassen. Endlich kam er wieder zu sich.
»Ich werde gleich davongehen!« brachte er endlich unter großen Anstrengungen mit heiserer Stimme heraus.
»Wenn Sie wollen, werde ich Sie nach Hause bringen«, sagte der Fürst und erhob sich von seinem Platz; aber er verstummte schnell, da ihm einfiel, daß ihm soeben verboten war, das Haus zu verlassen.
Ippolit lachte.
»Ich meine nicht, daß ich von Ihnen weggehen will«, fuhr er, beständig hüstelnd und mit Atemnot kämpfend, fort. »Ich habe es vielmehr nötig gefunden, zu Ihnen zu kommen, in einer ernsten Angelegenheit ... sonst hätte ich Sie nicht belästigt. Ich will in das unbekannte Land gehen, und diesmal scheint es ernst zu sein. Ich bin kaputt! Glauben Sie mir, ich sage das nicht, um mich bedauern zu lassen ... ich hatte mich heute gegen zehn Uhr schon hingelegt, um vor dem Jüngsten Tag überhaupt nicht mehr aufzustehen; aber ich habe meine Absicht geändert und bin noch einmal aufgestanden, um zu Ihnen zu kommen ... also muß es wohl etwas Dringliches sein.«
»Es ist mir ein Schmerz, Sie anzusehen; Sie hätten mich doch lieber rufen lassen sollen, statt sich selbst herzubemühen.«
»Na,