»Im ganzen Haus ist jetzt niemand außer uns vieren«, bemerkte er laut und sah den Fürsten seltsam an.
Im ersten Zimmer erwartete sie Nastasja Filippowna, gleichfalls sehr einfach und ganz in Schwarz gekleidet; sie stand auf und kam ihnen einige Schritte entgegen; aber sie lächelte nicht und reichte dem Fürsten nicht einmal die Hand.
Ungeduldig hielt sie ihren unruhigen Blick auf Aglaja gerichtet. Beide setzten sich hin, in einiger Entfernung voneinander, Aglaja in einer Ecke des Zimmers auf das Sofa, Nastasja Filippowna am Fenster. Der Fürst und Rogoschin setzten sich nicht und wurden auch gar nicht aufgefordert, sich zu setzen. Der Fürst blickte wieder erstaunt und, wie es schien, mit tiefem Schmerz Rogoschin an; aber dieser lächelte immer noch ganz in seiner alten Art. Das Schweigen dauerte noch einige Augenblicke.
Dann trat endlich ein unheilverkündender Ausdruck auf Nastasja Filippownas Gesicht hervor; ihr Blick wurde starr, fest und haßerfüllt; sie wandte ihn nicht einen Augenblick von ihrer Besucherin ab. Aglaja war offenbar verwirrt, aber nicht etwa schüchtern. Beim Eintritt hatte sie ihrer Nebenbuhlerin kaum einen Blick zugeworfen und dann die ganze Zeit mit niedergeschlagenen Augen dagesessen, wie wenn sie in Gedanken versunken wäre. Ein paarmal ließ sie wie von ungefähr ihren Blick durch das Zimmer gleiten; auf ihrem Gesicht malte sich deutlich der Widerwille, den sie empfand, als ob sie sich hier zu beschmutzen fürchtete. Mechanisch brachte sie ihren Anzug in Ordnung und änderte sogar einmal unruhig ihren Platz, indem sie in die Sofaecke rückte. Sie war sich kaum selbst aller ihrer Bewegungen bewußt; aber gerade durch diese Unbewußtheit wurde das Beleidigende, das in ihnen lag, noch gesteigert. Endlich blickte sie ihrer Gegnerin fest und gerade in die Augen und las sogleich klar alles, was in deren nichts Gutes verheißendem Blick funkelte. Das Weib hatte das Weib verstanden; Aglaja fuhr zusammen.
»Sie wissen gewiß, warum ich Sie zu einer Zusammenkunft eingeladen habe«, sagte sie endlich, aber sehr leise; ja, sie stockte sogar ein paarmal in diesem kurzen Satz.
»Nein, ich weiß nichts«, antwortete Nastasja Filippowna trocken und kurz.
Aglaja errötete. Vielleicht kam es ihr auf einmal sehr seltsam und wunderlich vor, daß sie jetzt bei dieser Frau, im Haus »dieses Weibes« saß und auf deren Antwort wartete. Beim ersten Ton von Nastasja Filippownas Stimme ging es wie ein Zittern durch ihren Körper. Das alles bemerkte »dieses Weib« natürlich sehr genau.
»Sie verstehen alles ... aber Sie stellen sich absichtlich, als verständen Sie es nicht«, sagte Aglaja so leise, daß es beinahe nur ein Flüstern war, und blickte mit finsterer Miene auf den Boden.
»Was könnte ich für Grund haben, das zu tun?« erwiderte Nastasja Filippowna leise lächelnd.
»Sie wollen aus meiner Lage Vorteil ziehen ... daß ich in Ihrem Haus bin«, fuhr Aglaja mit komischer Ungeschicklichkeit fort.
»An dieser Lage sind Sie schuld und nicht ich!« fuhr Nastasja Filippowna auf einmal auf. »Nicht ich habe Sie eingeladen, sondern Sie mich, und ich weiß bis auf diesen Augenblick noch nicht, warum.«
Aglaja hob den Kopf hochmütig in die Höhe.
»Halten Sie Ihre Zunge im Zaum; ich bin nicht hergekommen, um mit dieser Ihrer Waffe mit Ihnen zu kämpfen ...«
»Ah! Also sind Sie doch hergekommen, um zu kämpfen? Denken Sie sich, ich hatte geglaubt, Sie seien ... geistreicher ...«
Beide blickten einander schon mit unverhohlenem Zorn an. Die eine dieser Frauen war ebendieselbe, die noch kurz vorher solche Briefe an die andere geschrieben hatte. Und das alles war bei der ersten Begegnung und bei den ersten Worten wie vom Wind weggeblasen. Ja, es schien, daß niemand von all den vier Menschen, die sich in diesem Augenblick im Zimmer befanden, dies seltsam fand. Der Fürst, der noch gestern es nicht für möglich gehalten hätte, so etwas auch nur zu träumen, stand jetzt da, sah und hörte, wie wenn er das alles schon längst vorhergesehen hätte. Der phantastischste Traum hatte sich auf einmal in grelle, aufdringliche Wirklichkeit verwandelt. Die eine dieser Frauen empfand in diesem Augenblick gegen die andere bereits eine solche Verachtung und wünschte so lebhaft, ihr das zu zeigen (vielleicht war sie auch nur zu diesem Zweck gekommen, wie Rogoschin am andern Tag äußerte), daß, mochte auch diese andere mit ihrem zerrütteten Geist und ihrem kranken Herzen noch so sehr zur Phantasterei neigen, doch keine vorher gebildete Meinung sich gegenüber der giftigen, echt weiblichen Verachtung von seiten ihrer Rivalin behaupten zu können schien. Der Fürst war davon überzeugt, daß Nastasja Filippowna nicht selbst anfangen werde von den Briefen zu reden; aus ihren funkelnden Blicken konnte er entnehmen, wie sehr sie es jetzt bereuen mochte, diese Briefe geschrieben zu haben; aber er hätte die Hälfte seines Lebens dafür hingegeben, daß Aglaja jetzt nicht von ihnen zu sprechen begänne.
Aber Aglaja schien sich plötzlich zusammenzunehmen und sich mit einem Mal wieder in ihre Gewalt zu bekommen.
»Sie haben mich mißverstanden«, sagte sie; »ich bin nicht hergekommen, um mit Ihnen zu streiten, obgleich ich Sie nicht liebe. Ich ... ich bin zu Ihnen gekommen, um mich mit Ihnen ruhig und verständig auseinanderzusetzen. Als ich Sie hierher rief, hatte ich schon meinen Entschluß gefaßt, worüber ich mit Ihnen reden wollte, und werde von meinem Entschluß nicht abgehen, auch wenn Sie mich gar nicht verstehen sollten. Das würde Ihr Schade sein, nicht der meinige. Ich wollte Ihnen auf das antworten, was Sie mir geschrieben haben, und zwar persönlich, weil mir das zweckmäßiger schien. Hören Sie also meine Antwort auf alle Ihre Briefe! Mir hat der Fürst Ljow Nikolajewitsch leid getan, zum erstenmal gleich an dem Tag, an dem ich ihn kennenlernte, und dann, als ich alles erfuhr, was auf Ihrer Abendgesellschaft vorgegangen war. Er hat mir deswegen leid getan, weil er ein so gutherziger Mensch ist und in seiner Naivität glaubte, er könne mit einer Frau ... die einen solchen Charakter hat ... glücklich sein. Was ich für ihn befürchtet hatte, das traf dann auch ein: Sie konnten ihn nicht lieben; Sie quälten ihn und verließen ihn dann. Sie konnten ihn deswegen nicht lieben, weil Sie zu stolz sind ... nein, nicht stolz, ich habe einen falschen Ausdruck gebraucht, sondern weil Sie eitel sind ... auch das ist nicht das Richtige: Sie sind selbstsüchtig bis ... bis zum Wahnsinn, und zum Beweis dafür dienen auch Ihre Briefe an mich. Sie konnten ihn, einen so schlichten Menschen, nicht lieben und haben ihn vielleicht sogar im stillen verachtet und sich über ihn lustig gemacht; Sie konnten weiter nichts lieben als Ihre Schande und den steten Gedanken daran, daß Sie entehrt und beleidigt seien. Wäre Ihre Schande geringer oder wäre sie gar nicht vorhanden, so würden Sie unglücklicher sein ...« (Es war für Aglaja ein Genuß, diese Worte zu sprechen, die ihr jetzt eilig aus dem Mund stürzten, die sie aber schon längst überdacht und sich zurechtgelegt hatte, schon damals, als sie an die jetzige Zusammenkunft noch nicht einmal im Traum gedacht hatte; mit bösem Blick beobachtete sie auf Nastasja Filippownas schmerzverzerrtem Gesicht die Wirkung dieser Worte.) »Sie erinnern sich«, fuhr sie fort, »er schrieb mir damals einen Brief; er sagt, Sie hätten von diesem Brief gewußt und ihn sogar gelesen. Durch diesen Brief habe ich alles verstanden, mit Sicherheit verstanden; und der Fürst selbst hat es mir neulich bestätigt, das heißt alles, was ich Ihnen jetzt sage, sogar Wort für Wort. Nach Empfang des Briefes begann ich zu warten. Ich sagte mir richtig, daß Sie hierher kommen müßten, weil Sie ohne Petersburg nicht existieren können: Sie sind noch zu jung und zu schön, um sich in der Provinz zu vergraben ... Übrigens sind auch das nicht meine Worte«, fügte sie, stark errötend, hinzu, und von diesem Augenblick an wich die Röte bis zum Schluß ihrer Rede nicht mehr von ihrem Gesicht. »Als ich den Fürsten wiedersah, ging mir sein Schicksal tief zu Herzen. Lachen Sie nicht; wenn Sie darüber lachen, sind Sie nicht wert, es anzuhören ...«