Fjodor Dostojewski: Hauptwerke. Fjodor Dostojewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fjodor Dostojewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754189153
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ist es mir ganz gleich; lachen Sie, soviel Sie wollen! Als ich selbst eine Frage über Sie an ihn richtete, sagte er mir, er liebe Sie schon längst nicht mehr; schon die bloße Erinnerung an Sie sei ihm eine Qual; aber Sie täten ihm leid, und so oft er an Sie denke, sei es ihm, als habe er einen Stich ins Herz bekommen, der lebenslänglich blute. Ich muß Ihnen noch sagen, daß ich noch nie in meinem Leben einem Menschen begegnet bin, der ihm an edler Schlichtheit und grenzenlosem Vertrauen gleichkäme. Aus allem, was er sagte, konnte ich entnehmen, daß ihn jeder, der es wollte, betrügen könne, und daß er jedem, der ihn betrogen, nachher verzeihen werde, und das war der Grund, weshalb ich ihn liebgewann ...«

      Aglaja hielt einen Augenblick inne; sie schien erschrocken zu sein und ihren eigenen Ohren nicht zu glauben, daß sie ein solches Wort habe aussprechen können; aber zu gleicher Zeit funkelte ein grenzenloser Stolz in ihrem Blick auf; es machte den Eindruck, als sei ihr jetzt alles gleich; mochte selbst »dieses Weib« über das ihr soeben entschlüpfte Bekenntnis lachen.

      »Ich habe Ihnen alles gesagt, und jetzt haben Sie gewiß verstanden, was ich von Ihnen will?«

      »Vielleicht habe ich es verstanden; aber sprechen Sie es selbst aus!« antwortete Nastasja Filippowna leise.

      Der helle Zorn flammte in Aglajas Gesicht auf.

      »Ich wollte von Ihnen erfahren«, sagte sie fest und deutlich, »mit welchem Recht Sie sich in seine Gefühle gegen mich einmischen. Mit welchem Recht haben Sie es gewagt, an mich Briefe zu schreiben? Mit welchem Recht erklären Sie alle Augenblicke ihm und mir, daß Sie ihn lieben, und das, nachdem Sie ihn selbst verlassen haben und von ihm in so beleidigender und ... schmachvoller Weise weggelaufen sind?«

      »Ich habe weder ihm noch Ihnen erklärt, daß ich ihn liebe«, sagte Nastasja Filippowna mit sichtlicher Anstrengung. »Und ... Sie haben recht darin, daß ich von ihm weggelaufen bin ...«, fügte sie kaum hörbar hinzu.

      »Wie können Sie sagen, Sie hätten es weder ihm noch mir erklärt?« rief Aglaja. »Und Ihre Briefe? Wer hat Sie gebeten, bei uns die Rolle der Heiratsvermittlerin zu übernehmen und mir zuzureden, daß ich ihn nehmen möchte? Ist das nicht eine deutliche Erklärung Ihrer eigenen Empfindungen? Warum drängen Sie sich uns auf? Ich dachte zuerst schon, Sie wollten im Gegenteil dadurch, daß Sie sich in unsere Angelegenheiten einmischten, bei mir eine Abneigung gegen ihn erwecken, damit ich ihn verließe; und erst nachher habe ich verstanden, was dahintersteckte: Sie bildeten sich einfach ein, daß Sie mit all diesen Narrenpossen eine große Heldentat vollführten ... Aber konnten Sie ihn denn überhaupt lieben, wenn Sie in Ihre eigene Eitelkeit so sehr verliebt sind? Warum sind Sie nicht einfach von hier fortgereist, statt mir lächerliche Briefe zu schreiben? Warum heiraten Sie jetzt nicht den edlen Mann, der Sie so liebt und Ihnen die Ehre erwiesen hat, Ihnen seine Hand anzubieten? Der Grund ist nur zu klar: wenn Sie Rogoschin heiraten, wo bleibt dann die Ihnen angetane Schmach? Man erweist Ihnen sogar zu viel Ehre! Jewgeni Pawlowitsch hat von Ihnen gesagt, Sie hätten zuviel Gedichte gelesen und seien zu gebildet für Ihre ... Stellung; Sie seien ein gelehrtes Frauenzimmer und eine Müßiggängerin; nehmen Sie noch Ihre Eitelkeit hinzu, da haben Sie all Ihre Motive ...«

      »Und Sie sind keine Müßiggängerin?«

      Gar zu rasch und gar zu offen war das Gespräch zu dieser unerwarteten Tonart gelangt, unerwartet insofern, als Nastasja Filippowna noch auf der Fahrt nach Pawlowsk von einem glücklichen Ausgang geträumt hatte, wiewohl sie natürlich eher Schlechtes als Gutes vermutete. Aglaja aber hatte sich in einem Augenblick von ihrem Affekt völlig hinreißen lassen, wie wenn sie von einem steilen Berg hinabführe, und konnte der süßen Lockung, sich zu rächen, nicht widerstehen. Für Nastasja Filippowna war es eine seltsame Überraschung, Aglaja in einem solchen Zustand zu sehen; sie betrachtete sie, als wenn sie ihren Augen nicht traute, und wußte sich im ersten Augenblick schlechterdings nicht zurechtzufinden. Mochte ihr nun, wie Jewgeni Pawlowitsch meinte, die Lektüre von Gedichten den Kopf ein bißchen verdreht haben, oder mochte sie, wovon der Fürst überzeugt war, einfach eine Irrsinnige sein: jedenfalls war diese Frau, obwohl sie manchmal so zynische, dreiste Manieren herauskehrte, in Wirklichkeit weit schamhafter, zartfühlender und vertrauensvoller, als man es von ihr hätte denken sollen. Allerdings waren Bücherwissen, ein Hang zur Träumerei, eine große Verschlossenheit und eine zügellose Phantasie hervorstechende Eigenschaften an ihr; aber dafür besaß sie auch eine bedeutende seelische Kraft und Tiefe ...

      Der Fürst hatte dafür Verständnis; sein Leid prägte sich auf seinem Gesicht aus. Aglaja bemerkte dies und zitterte vor Haß.

      »Wie können Sie sich erdreisten, so zu mir zu reden?« rief sie, in Erwiderung auf Nastasja Filippownas Bemerkung, in unbeschreiblich hochmütigem Ton.

      »Sie haben sich gewiß verhört«, versetzte Nastasja Filippowna erstaunt. »Wie soll ich denn zu Ihnen geredet haben?«

      »Wenn Sie eine ehrliche Frau sein wollten, warum haben Sie sich dann von Ihrem Verführer Tozki nicht einfach losgesagt ... ohne alles Komödienspielen?« sagte Aglaja auf einmal ohne äußeren Anlaß.

      »Was wissen Sie von meiner Lage, daß Sie über mich zu Gericht zu sitzen wagen?« rief Nastasja Filippowna zusammenfahrend; sie war erschreckend blaß geworden.

      »Ich weiß soviel davon, daß Sie nicht arbeiten gegangen, sondern mit dem reichen Rogoschin davongefahren sind, um den gefallenen Engel zu spielen. Ich wundere mich nicht, daß Tozki sich um des gefallenen Engels willen erschießen wollte!«

      »Hören Sie auf damit!« erwiderte Nastasja Filippowna voll schmerzlichen Ekels. »Sie haben für mich ebensoviel Verständnis wie ... Darja Alexejewnas Stubenmädchen, das neulich mit seinem Bräutigam vor dem Friedensrichter prozessierte. Und die hätte noch eher Verständnis gehabt ...«

      »Wahrscheinlich ist sie ein ehrbares Mädchen, das von seiner Arbeit lebt. Warum reden Sie von einem Stubenmädchen mit solcher Geringschätzung?«

      »Meine Geringschätzung gilt nicht der Arbeit, sondern Ihnen, wenn Sie von der Arbeit reden.«

      »Wenn Sie hätten ehrbar leben wollen, dann wären Sie Wäscherin geworden.«

      Beide standen auf und blickten einander mit bleichen Gesichtern an.

      »Aglaja, halten Sie ein! Sie sind ungerecht!« rief der Fürst fassungslos.

      Rogoschin lächelte nicht mehr, sondern hörte mit zusammengepreßten Lippen und verschränkten Armen zu. »Da, seht sie an!« sagte Nastasja Filippowna, zitternd vor zorniger Erregung. »Seht dieses Fräulein an! Und ich hatte sie für einen Engel gehalten! Sind Sie denn ohne Gouvernante zu mir gekommen, Aglaja Iwanowna ...? Aber wenn Sie wollen ... wenn Sie wollen, so werde ich Ihnen sofort geradeheraus ungeschminkt sagen, warum Sie zu mir gekommen sind. Sie haben Angst gehabt; darum sind Sie gekommen!«

      »Angst vor Ihnen?« fragte Aglaja, ganz außer sich vor verständnislosem, empörtem Erstaunen darüber, daß die andere so mit ihr zu reden wagte.

      »Allerdings, vor mir! Wenn Sie sich entschlossen, zu mir zu kommen, so geschah das aus Furcht. Und wen man fürchtet, den schätzt man nicht gering. Nein, wenn ich jetzt daran denke, daß ich Sie hochgeschätzt habe, sogar noch bis zu diesem Augenblick! Und wollen Sie wissen, warum Sie vor mir Angst haben, und welches jetzt Ihre Hauptabsicht ist? Sie wollten selbst persönlich feststellen, wen von uns beiden er mehr liebt, mich oder Sie; denn Sie sind schrecklich eifersüchtig ...«

      »Er hat mir bereits gesagt, daß er Sie haßt ...«, flüsterte Aglaja kaum vernehmbar.

      »Vielleicht; ich bin seiner vielleicht nicht wert; aber ... aber ich glaube, Sie haben gelogen! Er kann mich nicht hassen, und er hat das nicht sagen können! Ich bin übrigens bereit, Ihnen in Anbetracht Ihrer Lage zu verzeihen ... aber ich habe doch eine bessere; Meinung von Ihnen gehabt; ich glaubte, Sie seien klüger ... und auch schöner, wahrhaftig ...! Nun, dann nehmen Sie Ihren Schatz hin ... da ist er, er blickt nach Ihnen hin und kann sich gar nicht fassen; nehmen Sie ihn für sich, aber unter einer Bedingung: gehen Sie augenblicklich weg! Augenblicklich!«

      Sie sank auf einen Sessel und brach in Tränen aus. Aber auf einmal leuchtete ein neuer Gedanke in ihren Augen