»Sie glauben gar nicht«, sagte er zum Schluß, »was für reizbare, kleinliche, egoistische, eitle und gewöhnliche Menschen sie dort alle sind; sollten Sie es glauben, daß sie mich nur unter der Bedingung aufgenommen haben, daß ich möglichst bald sterbe, und nun alle wütend sind, weil ich noch nicht sterbe, sondern im Gegenteil mich besser fühle? Es ist die reine Komödie! Ich möchte darauf wetten, daß Sie es mir nicht glauben!«
Der Fürst mochte ihm nicht widersprechen.
»Ich denke sogar manchmal daran, wieder zu Ihnen überzusiedeln«, fügte Ippolit in lässigem Ton hinzu. »Sie halten also diese Leute doch nicht für fähig, einen Menschen unter der Bedingung aufzunehmen, daß er bestimmt und möglichst bald stirbt?«
»Ich glaubte, sie hätten Sie mit anderen Absichten eingeladen hinzuziehen.«
»Aha! Sie sind gar nicht so einfältig, wie man von Ihnen behauptet! Ich habe jetzt nur keine Zeit, sonst würde ich Ihnen über diesen Ganja und seine Hoffnung ein Licht aufstecken. Man miniert gegen Sie, Fürst, miniert gegen Sie erbarmungslos, und ... es ist außerordentlich zu bedauern, daß Sie dabei so ruhig sind. Aber das liegt leider in Ihrer Natur!«
»Nun sehen Sie einmal an, weswegen Sie mich bedauern!« erwiderte der Fürst lachend. »Würde ich denn etwa nach Ihrer Meinung glücklicher sein, wenn ich unruhiger wäre?«
»Es ist besser, unglücklich zu sein, aber zu wissen, als glücklich zu sein und in der Dummheit zu leben. Wie es scheint, wollen Sie durchaus nicht glauben, daß Sie eine Nebenbuhlerschaft zu fürchten haben ... und zwar von jener Seite?«
»Was Sie da über Nebenbuhlerschaft sagen, ist etwas zynisch, Ippolit; es tut mir leid, daß ich kein Recht habe, Ihnen darauf zu antworten. Was Gawrila Ardalionowitsch anlangt, so kann er ja nach einem so großen Verlust, wie er ihn erlitten hat, unmöglich ruhig bleiben; das werden Sie selbst zugeben müssen, selbst wenn Sie von seinen Angelegenheiten nur wenig wissen. Es scheint mir, daß man die Sache am besten von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet. Er hat noch Zeit sich zu ändern; er hat noch ein langes Leben vor sich, und das Leben ist reich ... Übrigens ... übrigens« (hier geriet der Fürst in Verwirrung), »was das Minieren anlangt ... so verstehe ich nicht einmal, wovon Sie reden; wir wollen dieses Gespräch lieber lassen, Ippolit.«
»Lassen wir es vorläufig; Sie bekommen es ja auch gar nicht fertig, sich anders als edelmütig zu benehmen. Ja, Fürst, Sie glauben so lange, bis Sie das Gegenteil mit eigenen Fingern fühlen, haha! Jetzt verachten Sie mich wohl sehr, nicht wahr?«
»Weswegen sollte ich das tun? Weil Sie mehr gelitten haben und leiden als wir?«
»Nein, weil ich meines Leidens nicht würdig bin.«
»Wer mehr hat leiden können, muß auch würdig sein, mehr zu leiden. Als Aglaja Iwanowna Ihre Beichte gelesen hatte, wünschte sie, Sie zu sehen; aber ...«
»Sie schiebt es auf ... sie darf es nicht, ich verstehe, ich verstehe ...«, unterbrach ihn Ippolit, wie wenn er bemüht wäre, das Gespräch möglichst bald von diesem Gegenstand abzulenken. »Apropos, man sagt, Sie selbst hätten ihr dieses ganze verrückte Zeug vorgelesen; es ist wirklich im Fieberwahn geschrieben und ... fabriziert worden. Und ich verstehe nicht, was für eine, ich will nicht sagen Grausamkeit (das wäre für mich erniedrigend), aber was für eine kindische Eitelkeit und Rachsucht dazu gehört, mir diese Beichte zum Vorwurf zu machen und sie als Waffe gegen mich zu benutzen! Beunruhigen Sie sich nicht; ich sage das nicht mit Bezug auf Sie ...«
»Aber es tut mir leid, daß Sie sich von diesem Heft lossagen, Ippolit; es ist mit großer Aufrichtigkeit geschrieben, und, wissen Sie, selbst seine komischsten Stellen, und es gibt ihrer viele« (Ippolit runzelte heftig die Stirn), »sind mit Leiden erkauft; denn schon das darin Mitgeteilte zu bekennen war ebenfalls ein Leiden und ... vielleicht die größte Mannhaftigkeit. Der Gedanke, von dem Sie sich dabei leiten ließen, hatte jedenfalls eine edle Grundlage, trotz allen gegenteiligen Scheines. Ich versichere Sie: ich erkenne das um so klarer, aus je weiterer Entfernung ich es betrachte. Ich fälle über Sie kein Urteil; ich sage das nur, um mich auszusprechen, und bedaure, daß ich damals geschwiegen habe ...«
Ippolit wurde dunkelrot. In seinem Kopf blitzte für einen Augenblick der Gedanke auf, daß der Fürst sich nur verstelle und ihm eine Schlinge lege; aber als er ihm genauer ins Gesicht sah, konnte er doch nicht umhin, an seine Aufrichtigkeit zu glauben, und seine eigene Miene hellte sich auf.
»Aber sterben muß ich dennoch!« sagte er (und hätte beinah hinzugefügt: »Ein Mensch wie ich!«). »Und denken Sie sich nur, wie mich Ihr Ganja zurechtweist; er hat sich diese Entgegnung ausgedacht: es würden vielleicht von denen, die damals der Vorlesung meines Heftes beigewohnt hätten, drei oder vier am Ende noch früher sterben als ich! Was sagen Sie dazu? Er meint, das werde für mich ein Trost sein, haha! Erstens sind sie noch nicht gestorben, und selbst wenn diese Leute bald wegsterben sollten, was ist das für mich für ein Trost, sagen Sie selbst! Er urteilt nach sich; übrigens ist er sogar noch weiter gegangen: er schimpft jetzt einfach und sagt, ein ordentlicher Mensch sterbe in solchem Fall schweigend, und hinter meinem ganzen Verhalten stecke weiter nichts als Egoismus! Was sagen Sie dazu? Nein, was ist das seinerseits für ein Egoismus! Wie raffiniert oder, richtiger gesagt, gleichzeitig wie stiermäßig grob ist der Egoismus dieser Leute, den sie trotzdem an sich gar nicht wahrzunehmen vermögen ...! Haben Sie, Fürst, einmal etwas von dem Tod Stepan Glebows im achtzehnten Jahrhundert gelesen? Ich las zufällig gestern etwas darüber ...«
»Was ist das für ein Stepan Glebow?«
»Er wurde unter Peter dem Großen gepfählt.«
»Ach mein Gott, ja, ich weiß! Er steckte fünfzehn Stunden lang am Pfahl, in der Kälte, nur mit einem Pelz bekleidet, und starb in der großherzigsten Gesinnung; gewiß, ich habe es gelesen ... Aber was soll das hier?«
»Manchem beschert Gott einen solchen Tod, aber unsereinem nicht! Sie meinen vielleicht, ich sei nicht imstande, so zu sterben wie Glebow?«
»Oh, das meine ich ganz und gar nicht«, erwiderte der Fürst verlegen; »ich wollte nur sagen, daß Sie ... das heißt, nicht als ob Sie Glebow es nicht gleichtun würden, sondern ... daß Sie ... daß Sie dann vielmehr ...«
»Ich errate es: Sie meinen, ich würde ein Osterman sein und kein Glebow? Das wollten Sie sagen?«
»Was für ein Osterman?« fragte der Fürst verwundert.
»Osterman, der Diplomat Osterman zur Zeit Peters des Großen«, murmelte Ippolit, der auf einmal etwas verlegen wurde. Der Fürst verstand ihn nicht sofort.
»O n-n-nein!« sagte er dann nach einigem Stillschweigen, indem er das Wort dehnte. »Ich möchte meinen ... Sie würden nie ein Osterman sein.«
Ippolit machte ein finsteres Gesicht.
»Ich behaupte das übrigens deshalb«, fuhr der Fürst in dem offensichtlichen Bestreben, sich zu verbessern, fort, »weil die damaligen Menschen (ich kann versichern, daß mir das von jeher aufgefallen ist) sozusagen nicht dieselben Menschen waren wie die jetzigen, nicht derselbe Schlag wie jetzt in unserm Jahrhundert, wirklich wie eine andere Rasse ... Damals waren die Menschen von einer einzigen Idee erfüllt; jetzt sind sie nervöser, mehr entwickelt, sensitiver, mit zwei, drei Ideen gleichzeitig beschäftigt ... Der jetzige Mensch ist vielseitiger, und nach meiner Überzeugung hindert ihn das, ein so einheitlicher Mensch zu sein, wie es die Angehörigen jener Jahrhunderte waren ... Ich ... ich habe das nur deswegen gesagt, und nicht ...«
»Ich verstehe; um die Naivität wiedergutzumachen, mit der Sie anderer Meinung waren als ich, versuchen Sie mich jetzt zu trösten, haha! Sie sind das reine Kind, Fürst! Ich bemerke jedoch, daß Sie alle mich wie ... wie eine Porzellantasse behandeln ... Nun, das tut nichts, das tut nichts; ich nehme es nicht übel. Jedenfalls hat sich das Gespräch zwischen uns recht komisch gestaltet; Sie sind manchmal noch völlig Kind, Fürst. Lassen Sie sich übrigens sagen, daß ich vielleicht gewünscht habe, noch etwas Besseres zu sein als ein Osterman; um ein Osterman zu sein, würde es sich