Aglaja habe hierauf furchtbar gelacht, sei höchst zufrieden auf ihr Zimmer gelaufen und dann den ganzen Tag über sehr lustig gewesen.
Durch diese Nachricht wurde Lisaweta Prokofjewna geradezu betäubt. Man könnte meinen: was war denn an der ganzen Sache daran? Aber sie war nun einmal in eine solche Stimmung hineingeraten. Ihre Unruhe stieg nun auf den höchsten Grad, und die Hauptsache war der Igel; was bedeutete der Igel? Was steckte da dahinter? Was hatte das für einen geheimen Sinn? Was war das für ein verabredetes Zeichen, was für ein Telegramm? Dazu kam noch, daß der arme Iwan Fjodorowitsch, der zufällig bei dem Verhör zugegen war, durch eine von ihm gegebene Antwort die ganze Sache vollständig verdarb. Seiner Meinung nach war von einem Telegramm dabei überhaupt nicht die Rede, sondern der Igel sei einfach ein Igel, weiter nichts, und bedeute vielleicht außerdem Freundschaft, Vergessen der Kränkungen, Versöhnung; kurz, das Ganze sei ein mutwilliger Streich, aber jedenfalls ein harmloser und verzeihlicher.
In Parenthese bemerken wir, daß er damit durchaus das Richtige getroffen hatte. Als der Fürst, von Aglaja verhöhnt und weggejagt, nach Hause zurückgekehrt war, hatte er schon eine halbe Stunde in der düstersten Verzweiflung dagesessen, als auf einmal Kolja mit dem Igel erschien. Sofort klärte sich der Himmel auf; der Fürst erstand gleichsam wieder von den Toten; er fragte Kolja aus, klammerte sich an jedes Wort, das er sagte, erkundigte sich zehnmal nach derselben Sache, lachte wie ein Kind und drückte den beiden lachenden und ihn vergnügt anblickenden Knaben alle Augenblicke die Hände. Es war also klar, daß Aglaja verzieh und der Fürst gleich heute abend wieder zu ihr gehen konnte, und das war für ihn nicht nur die Hauptsache, sondern geradezu alles. »Was sind wir noch für Kinder, Kolja! Und ... und wie gut, daß wir noch Kinder sind!« rief er endlich entzückt aus.
»Es ist ganz einfach: sie ist in Sie verliebt, Fürst; weiter nichts!« antwortete Kolja nachdenklich mit der Miene eines Sachverständigen.
Der Fürst wurde dunkelrot, erwiderte aber diesmal kein Wort; Kolja aber lachte nur und klatschte in die Hände; einen Augenblick darauf fing auch der Fürst an zu lachen, und dann sah er bis zum Abend alle fünf Minuten nach der Uhr, ob schon viel Zeit vergangen sei, und wieviel noch bis zum Abend übrig sei.
Aber für Lisaweta Prokofjewna war die Erregung doch zu stark; sie konnte schließlich keinen Widerstand mehr leisten und überließ sich ihren hysterischen Empfindungen. Trotz aller Einwände ihres Gatten und ihrer Töchter ließ sie unverzüglich Aglaja rufen, um ihr die entscheidende Frage vorzulegen und von ihr eine klare, entscheidende Antwort zu erhalten. »Die ganze Geschichte soll mit einemmal ein Ende nehmen«, erklärte sie; »wir müssen die Last von den Schultern los werden, so daß künftig gar nicht mehr davon gesprochen wird! Sonst erlebe ich diesen Abend nicht mehr!« Erst in diesem Augenblick merkten alle, wie unsinnig weit sie die Sache hatten kommen lassen. Aber außer gekünstelter Verwunderung und Entrüstung sowie spöttischem Lachen über den Fürsten und alle Fragenden war von Aglaja nichts zu erlangen. Lisaweta Prokofjewna legte sich ins Bett und erschien erst zum Tee wieder, zu der Zeit, wo der Fürst erwartet wurde. Sie erwartete den Fürsten mit großer Unruhe, und als er erschien, bekam sie beinahe wieder einen hysterischen Anfall.
Aber auch der Fürst selbst trat schüchtern ein, sozusagen tastend; er lächelte seltsam, blickte allen in sonderbarer Art in die Augen und legte allen gewissermaßen eine Frage vor, weil Aglaja wieder nicht im Zimmer war, was ihn sofort beunruhigte. An diesem Abend war kein Fremder zugegen, sondern nur die Mitglieder der Familie. Fürst Schtsch. war noch in Petersburg, anläßlich der Angelegenheit von Jewgeni Pawlowitschs Onkel. »Wenn doch wenigstens der da wäre und etwas redete!« dachte Lisaweta Prokofjewna bekümmert. Iwan Fjodorowitsch saß mit sehr sorgenvoller Miene da; die Schwestern waren ernsthaft und schweigsam wie absichtlich. Lisaweta Prokofjewna wußte nicht, womit sie ein Gespräch anfangen sollte. Endlich begann sie kräftig auf die Eisenbahn zu schimpfen und sah dabei den Fürsten herausfordernd an.
Aglaja erschien leider immer noch nicht, und dem Fürsten sank der Mut. Stammelnd und verwirrt versuchte er seine Meinung dahin auszusprechen, daß Reparaturen der Strecke allerdings sehr nützlich sein würden; aber Adelaida brach plötzlich in ein Gelächter aus, und der Fürst war wieder wie vernichtet. In demselben Augenblick trat Aglaja herein, ruhig und würdevoll; sie erwiderte zeremoniös die Verbeugung des Fürsten und setzte sich feierlich auf den sichtbarsten Platz an dem runden Tisch. Sie blickte den Fürsten fragend an. Alle sagten sich, daß der Augenblick gekommen sei, wo alle unklaren Fragen ihre Entscheidung finden sollten.
»Haben Sie meinen Igel erhalten?« fragte sie ihn mit fester Stimme und beinah zornig.
»Ja, ich habe ihn erhalten«, antwortete der Fürst errötend und in ängstlicher Spannung.
»Sagen Sie unverzüglich, was Sie darüber denken! Das ist zu Mamas und unserer ganzen Familie Beruhigung unumgänglich notwendig.«
»Hör mal, Aglaja ...«, begann der General beunruhigt.
»Das überschreitet ja alle Grenzen!« rief Lisaweta Prokofjewna erschrocken.
»Von Grenzen ist hier gar nicht die Rede, Mama«, antwortete die Tochter sofort in sehr ernstem Ton. »Ich habe heute dem Fürsten einen Igel geschickt und wünsche seine Meinung kennenzulernen. Nun, reden Sie, Fürst!«
»Das heißt, was für eine Meinung, Aglaja Iwanowna?«
»Ihre Meinung über den Igel.«
»Das heißt, ich glaube, Aglaja Iwanowna, daß Sie wissen wollen, wie ich ... den Igel aufgenommen habe ... oder, besser gesagt, was ich über diese Sendung ... des Igels denke, das heißt ... in diesem Falle nehme ich an, daß Sie, mit einem Wort ...«
Die Luft fehlte ihm, und er verstummte.
»Nun, viel haben Sie gerade nicht gesagt«, bemerkte Aglaja, nachdem sie etwa fünf Sekunden lang gewartet hatte. »Nun gut, ich bin damit einverstanden, daß wir den Igel beiseite lassen; aber ich freue mich sehr, daß ich endlich all den Unklarheiten, die sich angesammelt haben, ein Ende machen kann. Erlauben Sie also, daß ich jetzt endlich Sie selbst persönlich frage: halten Sie um meine Hand an oder nicht?«
»Ach Gott!« rief Lisaweta Prokofjewna unwillkürlich.
Der Fürst fuhr zusammen und schrak zurück. Iwan Fjodorowitsch war starr; die Schwestern machten finstere Gesichter.
»Lügen Sie nicht, Fürst! Sagen Sie die Wahrheit! Man verfolgt mich um Ihretwillen mit seltsamen Fragen; haben diese Fragen irgendwelche Begründung? Nun?«
»Ich habe nicht um Ihre Hand angehalten, Aglaja Iwanowna«, sagte der Fürst, der plötzlich lebhaft wurde. »Aber ... Sie wissen selbst, wie ich Sie liebe und an Sie glaube ... sogar jetzt ...«
»Ich frage Sie: halten Sie um meine Hand an oder nicht?«
»Ja, ich tue es«, erwiderte der Fürst beklommen.
Auf diese Worte folgte eine allgemeine, starke Bewegung.
»Das ist alles nicht ordnungsmäßig, lieber Freund«, sagte Iwan Fjodorowitsch in starker Aufregung. »Das ... das ist beinah unerhört, Aglaja ...! Verzeihen Sie, Fürst, verzeihen Sie, mein Teuerster ...! Lisaweta Prokofjewna!« wandte er sich an seine Gattin um Hilfe; »es wird nötig sein ... die Sache zu überlegen ...«
»Ich weigere mich, ich weigere mich!« rief Lisaweta Prokofjewna mit abwehrenden Handbewegungen.
»Gestatten Sie auch mir zu reden, Mama; ich bin in einer solchen Angelegenheit doch auch von einiger Wichtigkeit: dies ist der Augenblick, in dem sich mein Schicksal entscheidet«