Tag für Tag finden sich die beiden Frauen in einem der Betten wieder, die im Hause Stewart-Sanchez oder Campbell stehen. Tag für Tag liegen sie sich in den Armen und wissen, dass es das Schlimmste ist, was sie machen können. Und doch kann keine von ihnen etwas dagegen tun. Beide wissen was sie damit anrichten und dennoch treffen sie sich täglich … heimlich.
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Drei Wochen nutzen die Frauen die Zeit um gemeinsam zu bluten und zu leiden. Sam begann irgendwann wieder mit der Arbeit. Sie konnte einfach nicht mehr zuhause bleiben, nur den Haushalt machen, sich um die Kids kümmern und Laura hintergehen. Sie musste raus. Sie musste etwas machen, außer an Neves Bett zu sitzen und darauf zu warten, dass ein Spenderherz eintrifft. Auch wenn sie somit wertvolle Zeit mit ihrer Frau verliert, spürt Sam, dass es ihr guttut. Dass sie wieder besser am Leben und Alltag teilhaben kann – dass sie wieder anfangen kann zu denken. Neve liegt im Krankenhaus, ja, aber sie lebt. Das ist für Sam Grund genug, um sie nicht aufzugeben - um arbeiten und leben zu können.
Allerdings entschied sie sich dazu, Matt in der Werkstatt etwas unter die Arme zu greifen. Niemals hätte sie es geschafft, bei der derzeitigen Situation in der Immobilienfirma professionell genug auftreten und Verkaufsgespräche führen zu können.
Precious geht wieder wie gewohnt zur Schule und Jean robbt ihrem Vater unter seinem Schreibtisch zwischen den Beinen entlang. Jeder hat also seine Aufgabe und seinen Alltag. Jeder hat seine eigene persönliche Sicherheit mit der man den Tag leichter überstehen kann.
»Ey«, keift sie wütend, kaum dass ihr jemand gegen das Bein tritt. Schnaubend rollt sie auf dem Rollbrett unter dem Auto hervor und nimmt die Kopfhörer aus den Ohren. Funkelnd blickt sie zu Matt hoch, der Jean im Arm hat.
»Bist du bescheuert? Was soll die Scheiße?«, keift sie ihn an. Eine einzige Bewegung von Matt folgt und Sams Herz setzt ganze zwei Schläge aus.
»Das Ding piept seit Minuten!«, keift ihr Boss zurück und streckt Sam den Pager des Krankenhauses entgegen. Mit großen Augen starrt Sam entgeistert auf das Display. Dort wird die Nummer des Krankenhauses angezeigt. Sie hat den Pager auf ihren Werkzeugwagen gelegt, damit sie sich nicht eventuell drauflegt, oder ihn sonst irgendwie kaputt macht.
Schlagartig erinnert sich Sam an das was damals die Krankenschwester zu Jessica sagte, als sie ihr den Pager überreichte. Sobald das Ding losgehen sollte, wäre ein Spenderherz für Neve gefunden, was unverzüglich eingesetzt wird. Wenn also der Pager tatsächlich Alarm schlägt, bedeutet das … .
Fassungslos starrt Sam zu Matt hoch. Ihr Blick wechselt zwischen dem kleinen Display und dem Vater ihrer Tochter hin und her.
»Sam, was zur Hölle machst du hier noch? Setz deinen verdammten Arsch in Bewegung und sieh zu, dass du Land gewinnst«, schmeißt Matt seinem treusten Hund entgegen, die nicht glauben kann, welche Tragweite dieses kleine Gerät hat.
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»Sam?« Sams Kopf schnellt herum. Wie vor sechs Wochen stolpert Jessica aus dem Fahrstuhl. Sam kann gar nicht so schnell reagieren, wie sich Jessicas Arme um ihren bebenden Körper legen. Wie ein kleines Kind schlingt Sam ihre eigenen um die farbige Frau und beginnt zu weinen. Sie weiß gar nicht so recht warum sie weint. Ihrer Frau wird geholfen. Neve hat die Chance auf ein neues Leben. Das wäre eher ein Grund der Freude und des Jubels, aber doch nicht für Tränen.
»Sie wird im Augenblick operiert. Ihr wird das neue Herz eingesetzt«, schluchzt Sam wimmernd in Jessicas Armen. Weil Laura wegen eines Meetings im Büro festsitzt und Matt auf die Kinder aufpassen muss, machte sich die ältere Frau auf den Weg um Sam beizustehen.
»Jessica, wenn … .« Ein Kopfschütteln hält die junge Frau von jedem weiteren Wort ab.
»Hör auf, Sam. Neve wird auch diese OP überstehen und uns allen beweisen wie hart sie ist. Das wird sie sich nicht entgehen lassen. Du weißt doch, dass sie nur ungerne die Kontrolle abgibt. Also wird sie auch das unter Kontrolle haben.« In Jessicas Armen versunken, lacht Sam kurz. Wie Recht ihre Freundin doch hat. Wie zuversichtlich sie doch ist. Wie mutig und stark sie doch ist.
Jessica schaut flüchtig in das leere Zimmer, das allen Hunden in den letzten Wochen so vertraut geworden ist. Die Leere ist ein gutes Indiz dafür, dass Neve tatsächlich geholfen wird.
»Lass uns hinsetzen. Es wird sicherlich noch einige Zeit dauern«, unterbreitet Jessica ihrer Freundin ein Angebot, auf das Sam gar nicht reagiert. Sie kann auch gar nicht reagieren. Zu sehr ist sie mit ihren Gedanken, Sorgen und Ängsten beschäftigt. Weil Jessica genau diese wirren Gefühle von Sam aufnehmen kann, lotst sie die junge Frau in Neves Zimmer, schiebt beide Stühle eng zusammen und setzt sich.
Keine von beiden denkt auch nur eine Sekunde daran, dass sie sich erst heute Morgen noch in den Armen lagen und sich von ihrem jeweiligen Orgasmus erholten. Jetzt ist auch nicht die Zeit um darüber nachzudenken. Jetzt geht es um Neve und um sonst niemanden. Kein Mensch der Welt hat Vorrang. Keiner außer Neve.
Zwei Stunden verbringt Sam regungslos in Jessicas Armen, bis es auf dem Flur der Intensivstation etwas unruhig wird. Sofort schießt Sam angespannt hoch. Konzentriert lauscht sie den Geräuschen. Mehrere Schritte, Räder die rollen, ruhige Stimmen, dann der erlösende Augenblick, als die Zimmertür bis zum Anschlag geöffnet wird. Das erste was Sam sehen kann, ist eine Schwester die rückwärts das Zimmer betritt und danach ein Bett. Nervös und fast außer sich vor Aufregung springt Sam vom Stuhl auf. Der behandelnde Arzt betritt das Zimmer und richtet sein Augenmerk auf die beiden Frauen, die die Schwestern starr dabei beobachten, wie sie Neves Bett an die alte Stelle schieben und festsetzen. Sie wuseln noch zu sehr herum, als dass Sam etwas sehen könnte. Sie muss sogar zum Fenster ausweichen, um dem Personal Platz zu machen.
»Misses Stewart-Sanchez«, begrüßt der Schenkelkitzler die junge Frau und reicht ihr die Hand. Benommen greift Sam nach dieser, blickt aber noch immer zu ihrer Frau ans Bett. Jessicas Hand an ihrem Rücken stützt sie und gibt ihr Sicherheit.
»Die Transplantation ist ohne Komplikationen verlaufen. Ihre Frau hat wirklich hervorragend mitgearbeitet. Ich gehe davon aus, dass keine weiteren Hindernisse auftreten werden.« Zuversichtlich schaut er zu Neve zurück. Erst jetzt erlangt Sam den ersten Blick auf ihre Frau. Tränen der Freude und Erleichterung steigen in ihr auf. Ihre ganze Körperhaltung sinkt kraftlos in sich zusammen. Jessica stützt sie vorsichtig.
Dort ist sie. Dort ist Neve. Regungslos wie in den letzten Wochen gewohnt, aber nur noch mit einer Atemmaske ausgestattet, anstatt mit einem widerlichen Tubus.
Sam will den ersten Schritt auf das Bett zumachen, wird aber verbal von dem Arzt aufgehalten. Eigentlich würde sie ihm ganz gerne den einen oder anderen Knochen brechen, damit er sie zu ihrer Frau lässt, aber sie beherrscht sich. Besonnen lauscht sie seinen Worten.
»Es wird noch ein paar Tage dauern, bis Ihre Frau wieder zu vollem Bewusstsein kommen wird.« Ein kurzer Blick zu Neve folgt.
»Wir werden nach und nach die Narkosemittel reduzieren. So kann sich der Körper Ihrer Frau daran gewöhnen wieder die Kontrolle über sämtliche Funktionen eigenständig zu übernehmen. Die Aufwachphase wird ein schwerer und anstrengender Prozess für den Körper, wenn er sich für mehrere Wochen im Koma befand. Während dieser Zeit kann es sein, dass Ihre Frau Wahnvorstellungen hat, desorientiert ist oder Schlaf- und Kreislaufprobleme bekommt. Für viele Angehörige ist es aber auch schwer zu verarbeiten, dass einige Patienten ihre Ehepartner oder Familienangehörige nicht wiedererkennen. In dieser Zeit sollten Sie Nerven beweisen und darauf vertrauen, dass Ihre Frau nach und nach wieder zu sich kommen wird. Es kann etwas dauern und für alle belastend sein.«
»Alles ist besser, als diese Ungewissheit der vergangenen Wochen«, haucht Sam benommen und lässt den Arzt rücksichtslos stehen, um an das Bett heranzutreten. Vorsichtig greift sie nach Neves Hand und hört Jessica noch mit dem Arzt reden. Dieser verlässt kurz darauf das Zimmer.
Als Jessica ebenfalls an das Bett tritt, sieht sie dabei zu, wie Sam sich über Neve beugt und ihr vorsichtig einen Kuss auf die Stirn haucht. Mit Tränen in den Augen und einem Freudetaumel