»Und was hat das mit uns zu tun?«
Gröber blieb sachlich.
»Bei der Bergung eines der zerstörten Fahrzeuge sind neben den beiden toten Insassen auch Waffen gefunden worden. Wegen Personalmangels helfen wir an dieser Stelle aus.«
Thomas Biermans Gesichtsausdruck verfinsterte sich.
»Als ob wir nicht auch zu kämpfen hätten«, erboste er sich.
»Wir haben eine komplett unterbesetzte SOKO im Fall Michelle Schneider, und für mich hat er Priorität. Wir sprechen von Schwarz` Kollegin!«
Gröbers Gesicht wechselte innerhalb weniger Sekunden die Farbe. Doch der von allen erwartete Ausbruch blieb aus. Der Chef atmete dreimal tief durch und griff mit der Rechten in die Hosentasche.
»Bierman, Sie, Frau Hansen und Herr Pfefferle werden weiterhin an diesem Fall arbeiten. Frau Polocek und Herr Berner, Sie beide kümmern sich um den Waffenfund.«
Der sonst so ruhige Pfefferle stöhnte.
»Zwei Leute? Weil man eine Waffe gefunden hat?«
Auch wenn Sarah ihren Vorgesetzten noch nicht so gut kannte wie die anderen, vermutete sie richtig, dass Gröber mit dieser Maßnahme den anderen Dezernaten demonstrieren wollte, wie gut sein „Laden“ organisiert war.
»Ja, zwei Leute. Polocek, Berner, machen Sie sich auf den Weg. Die Aufräumarbeiten gehen nicht weiter, bis Sie und die Spurensicherung den Unfallort wieder freigeben.«
»Sofort?«, fragte Polocek etwas zögerlich.
»Haben Sie nicht zugehört? Ja, sofort! Ich erörtere das weitere Vorgehen im Fall Schneider mit Ihren Kollegen.«
Polocek und Berner erhoben sich und verließen wortlos den Raum. Gröber wandte sich an die verbleibenden drei Ermittler.
»Ich habe dafür gesorgt, dass Sie weitere acht Kollegen für die Sonderkommission zur Seite gestellt bekommen. Dann sind das insgesamt zwölf Beamte. Die Meldungen aus den Dezernaten liegen schon bei Frau Dörr. Pfefferle, Sie stellen das Team zusammen. Die Techniker bauen gerade alles Nötige im großen Besprechungsraum auf. Und Sie, Frau Hansen und Herr Bierman, berichten mir jetzt mal von Ihren ersten gemeinsamen Tagen!«
Der Mann wusste nicht, zum wievielten Mal er am heutigen Tag die Wahlwiederholungstaste gedrückt hatte. In der Hoffnung, dass diesmal das Gespräch entgegengenommen würde, lauschte er auf das Piepen, das ihm signalisierte, dass die Nummer übertragen wurde. Doch erneut verkündete die sanfte Frauenstimme: The number you have dialed is temporarily not available, please try again later.
Er runzelte die Stirn. Die zwei Stunden, innerhalb derer das Team gemäß Vorschrift zu erreichen sein musste, war mittlerweile um das Vierfache überschritten. Trotzdem zögerte er noch. Ein Blick auf den kleinen, nahezu unzerstörbaren B&W Outdoorkoffer, der mit zwei Abus Vorhängeschlössern gesichert neben ihm auf dem Beifahrersitz stand, beruhigte ihn wieder. Wäre es zu dem Kommunikationsausfall gekommen, bevor er dessen Inhalt in der Rechtsmedizin hatte sicherstellen können, hätte er sich die Passivität nicht erlauben können. Jetzt aber, da er beide Phasen der Operation erfolgreich abgeschlossen hatte, konnte er seine Wartezeit rechtfertigen. Trotzdem war es jetzt an der Zeit, Lodz zu informieren. Er öffnete die Folie eines originalverpackten Prepaidhandys und setzte den Akku ein. Dann griff er in die Innenseite seines Jacketts und holte einen unscheinbaren Kugelschreiber hervor. Er betrachtete ihn kurz und brach dann das hintere Ende entzwei. Aus einem Bruchstück lugte eine fabrikneue SIM Card hervor, die er entnahm und in das Mobiltelefon einsetzte. Im darauf gespeicherten Telefonbuch befanden sich nur zwei Nummern, von denen er die untere auswählte. Diesmal dauerte es nur wenige Sekunden, bis am anderen Ende jemand abhob.
»Adamcyk, wie kann ich helfen?«
»Der Einkauf war erfolgreich, aber der Vater hat seine beiden Kinder verloren.«
»In Ordnung. Wir werden sie suchen.«
Ein Klicken im Lautsprecher und die Leitung war tot.
Der Mann lehnte sich in seinem Fahrersitz zurück.
Wir werden sie suchen.
Das bedeutete für ihn: jegliche Verbindung zu seinen beiden Kollegen abbrechen und die Spuren vernichten. Er startete den Motor und fuhr auf die Straße. Einen geeigneten Platz fand er wenig später. Von der spärlich befahrenen Straße führte ein schmaler Feldweg zu einem kleinen Wäldchen. Dort angekommen entnahm er dem eben benutzen Handy die SIM Card, ebenso dem Telefon, mit dem er Verbindung zu seinem Team gehalten hatte. Er packte die beiden Apparate und die Karten und begab sich hinter den mächtigen Stamm einer Eiche. Dort legte er die SIM Karten auf den Boden, die beiden Handys daneben. Dann griff er zu einem Taschenfeuerzeug. Dass sich im Inneren des Edelstahlkorpus gegenüber herkömmlichen Feuerzeugen die fünfzigfache Menge hochkomprimierten Gases befand, war dem Gerät nicht anzusehen. Er drehte die Flammengröße auf Maximum, betätigte den Zündknopf und richtete den 1000°C heißen Flammenwerfer zuerst auf die SIM Karten, dann auf die beiden Handys. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis von den Elektronikteilen nur noch ein schwarzer, übelriechender Klumpen aus verbranntem Plastik und Metall übrigblieb. Danach ließ er das Feuerzeug einige Minuten auskühlen, steckte es wieder ein und fuhr zurück Richtung Straße.
Als Karen Polocek und Nico Berner am Höllental eintrafen, war die Straße ab der Ausfahrt Burg-Birkenhof immer noch gesperrt. Lediglich Anwohner der dahinterliegenden Häuser durften an dieser Stelle weiter auf der B31 fahren. Glücklicherweise funktionierte die Umleitung über Sankt Märgen und den Thurner so gut, dass sie nur unwesentlich mehr Zeit bis zu der Ausleitung gebraucht hatten. Da jenseits der Absperrung bereits alle Fahrer ihr Fahrzeug gewendet und das Höllental verlassen haben mussten, trafen die beiden Ermittler eine vollkommen leere Straße an, auf der Nico Berner mit unverhohlener Freude dem Mercedes Kombi die Chance gab, zu zeigen, was er konnte. Karen Polocek, die sich in der ein oder anderen Kurve krampfhaft an dem Griff über der Beifahrertür festhielt, nahm die Situation trotzdem gelassen.
»Kann es sein, dass dein Date gestern Abend geplatzt ist, oder hat man dir im Fitnessstudio wieder Testosteron untergejubelt?«, fragte sie spöttisch. »Wenn du so weiter fährst, endet unsere Fahrt noch im Acker!«
Berner ließ sich jedoch nicht abhalten, alle drei Spuren der B31 auszunutzen und alles aus dem Auto herauszuholen. Unter dem Ruckeln des einsetzenden Antiblockiersystems brachte er das Fahrzeug schließlich wenige Meter vor den Einsatzkräften zum Stehen – nicht ohne das ein oder andere Stirnrunzeln oder Kopfschütteln der Kollegen und Feuerwehrleute zu provozieren. Hätten sie nicht schon bei Abfahrt das Blaulicht auf den zivilen Mercedes gesetzt, wären sie sicher mit einer Hasstirade empfangen worden. Berner und Polocek stiegen aus und bahnten sich den Weg zu dem schwarzen Autowrack, das von Technikern der Spurensicherung in ihren weißen Overalls umgeben war. Gerade als sie ankamen, reichte einer der KTUler eine Tüte an einen weiteren Beamten, in der sich ganz offensichtlich eine Pistole befand.
»Hallo Kollegen«, begrüßte Berner alle Anwesenden. »Können Sie mir gleich mal geben.«
Mit einem Nicken gab der Mann die Pistole an Berner weiter. Unter der Sicherheitsbrille und dem Mundschutz des Technikers konnten er und Polocek ein blasses Gesicht erkennen. Erst jetzt sahen die beiden Ermittler die entsetzlich zugerichteten Körper zweier Menschen auf ausgebreiteten Planen liegen. Hier konnte man mit schonungsloser Klarheit erkennen, was die kinetischen Kräfte des außer Kontrolle geratenen LKW mit den beiden Insassen angerichtet hatten. Die Bestatter waren mit ihrer Arbeit immer noch nicht fertig. Eben reichte einer der Männer seinen Kollegen ein nicht zu identifizierendes