Abb. 24 – Filippo Coletti (1811-1894), einer der von Verdi bevorzugten Baritone.
Wenn Ihr wirklich die Absicht habt, den Boccanegra zu geben, scheint mir [die Besetzung ] mit Coletti, Fraschini und der Penco sowie einem Basso profondo, den man noch finden müßte, ausgezeichnet. Es wäre ein Fehler, diese Oper mit einer anderen Besetzung aufzuführen! Es gibt keinen besseren als Coletti für den Dogen. [246]
Gerühmt werden auch seine Interpretationen des Ezio in Attila, des Conte di Luna in Il trovatore, des Monforte in I vespri siciliani, des Simon Boccanegra und des Germont in La traviata. Die Überlegungen, den Re Lear zu komponieren, verbindet Verdi mit Coletti, den er sich in der Titelpartie vorstellen könnte.[247] 1869 beendet der Sänger seine Karriere in Neapel. Er veröffentlicht eine Abhandlung über die Gesangskunst.[248]
Coletti war, wie auch aus seiner Karriere abzulesen ist, ursprünglich ein basso cantante. Bei dem Versuch, sich ein Bild von seinen stimmlichen Möglichkeiten zu machen, darf man angesichts der von ihm interpretierten Verdi-Rollen allerdings nicht annehmen, daß er diese Rollen mit den heute vielfach üblichen, eingelegten, d.h. nicht komponierten Spitzentönen gesungen hat.
D
ie Uraufführung der Alzira geht am 12. August 1845 über die Bühne. Der Erfolg ist umstritten, auch weil die übergangene Sopranistin Ann Bishop nach Verdis Meinung Journalisten bestochen[249] und Protestaktionen organisiert hat. Die Zeitungen berichten von Applaus und Pfiffen, von Hervorrufen und Zischen. Einige Nummern finden lautstarke Zustimmung, andere werden mit eisigem Schweigen aufgenommen. Verdi wird im Verlauf des Abends fünf Mal hervorgerufen. Bei den Folgevorstellungen verwandelt sich die eingeschränkte Zustimmung in Ablehnung. Der Beweis für den Mißerfolg ist Verdis Versuch, aus einem Vertrag auszusteigen, der ihn zur Komposition einer weiteren Oper für Neapel verpflichtet (daraus wird mit zwei Jahren Verspätung 1849 die Luisa Miller werden). Diesmal irrt Verdi mit seinen Erfolgsprophezeiungen:
Dem Himmel sei Dank, auch das ist vorbei. Die Alzira ist auf der Bühne. Diese Neapolitaner sind grausam, aber sie haben applaudiert. Die Bishop hat mir eine Claque vorbereitet, die diese arme Kreatur gewaltsam zu Fall bringen wollte. Trotz alledem wird die Oper im Repertoire bleiben und, was mehr zählt, sie wird wie ihre Schwestern auf die Reise gehen.[250]
Wahrscheinlich am selben Tag berichtet er an Piave:
Meine Uraufführungen sind keine Vorstellungen, sondern Kämpfe. [...] Alzira hat so gefallen wie Ernani am ersten Abend in Venedig. Damit habe ich Dir alles gesagt. [...] Sie wird auch (wenn ich nicht irre) die übliche Reise antreten, und zwar bald, denn mir scheint, daß sie eine stärkere Wirkung als die Foscari hat.[251]
Der letzte Satz ist eine Taktlosigkeit, denn das Libretto der Foscari stammt von Piave.
A
m 28. Oktober 1845 wird die Alzira im Teatro Argentina in Rom aufgeführt. Es kommt zu ungefähr zehn Vorstellungen. Die Interpreten in Rom sind die Sopranistin Augusta Boccabadati, der Tenor Luigi Ferretti und der Bariton Antonio d’Avila. Wenn die Oper hier einen gewissen Erfolg hat, ist es, wenn man den Zeitungen Glauben schenkt, mehr das Verdienst der Interpretation und der luxuriösen Ausstattung als der Musik. Vier Monate später, am 17. Februar 1846 geht die Alzira in Parma über die Bühne. Die Interpreten heißen hier Adelaide Moltini, Giacomo Roppa (der Tenor der Foscari-Uraufführung) und Piero Balzar. Verdis Heimvorteil in Parma kommt nicht zum Tragen: „Bescheidener Erfolg“ kommentiert die Gazzetta di Parma, „Roppa ist der einzige, der Applaus erhalten hat.“ Für einen „historischen Erfolg“ hält hingegen Ricordis Gazzetta Musicale die Aufführung, obwohl auch sie „Zeichen der Ablehnung“ bei einigen Nummern ortet.
Nach Aufführungen in Lugo erreicht die Alzira am 16. Jänner 1847 die Mailänder Scala. Die Besetzung mit Eugenia Tadolini und Achille de Bassini ist glanzvoll, der Tenor ist John Reeves. Doch die Vorstellung gerät zum Fiasko. So sehr, daß die Oper nach ihrer einzigen Aufführung abgesetzt werden muß. Wie selbst das Ricordi-Blatt zugeben muß, liegt es an der Musik: „Alzira hat nicht gefallen, weil bis auf wenige Nummern die Musik der Alzira nicht gefallen hat.“
Obwohl die Oper 1847 in Ferrara (mit Carolina Cuzzani, wiederum Giacomo Roppa – ihm scheint die Partie besonders gut zu liegen – und Giovanni Corsi) und im selben Jahr in Venedig, 1849 in Barcelona (Carlotta Gruitz, Roppa, Gaetano Ferri) und in Lissabon (Marietta Gresti, Ambrogio Volpini und Gaetano Fiori) aufgeführt wird, kommt das Verdikt der Scala einem Todesurteil für Alzira gleich: Versuche der Wiederaufführung in Turin 1854 (Giuseppina Brambilla, Vincenzo Sarti, Alessandro Olivari) und in Piacenza 1857 führen zu vernichtenden Urteilen über die Musik. Die letzte Aufführung im 19. Jahrhundert erlebt das Werk 1858 in Malta. Danach verschwindet die Oper 109 Jahre lang von den Spielplänen. Rom spielt sie erstmals wieder 1967 mit Virginia Zeani, Gianfranco Cecchele und Cornell MacNeil, in späteren Jahren folgen vereinzelte Aufführungen, die dem Werk aber kein dauerhaftes Leben einzuhauchen vermögen.
D
er Arbeitsdruck der Galeerenjahre lastet schwer auf Verdi. Am 21. April 1845 hat er an seinen Freund Giuseppe Demaldé geschrieben: „Ich kann es kaum erwarten, daß diese drei Jahre vergehen. Ich muß sechs Opern schreiben und dann sage ich allem Adieu.“[252] Und ein halbes Jahr später, durchaus pessimistisch:
Danke für die Nachrichten über die Alzira, noch mehr aber danke ich Dir dafür, daß Du Dich an Deinen armen Freund erinnerst, der ständig dazu verurteilt ist, Noten zu kritzeln, vor denen Gott die Ohren jedes guten Christenmenschen bewahren möge. Gottverdammte Noten! Wie es mir an Körper und Seele geht? Körperlich geht es mir gut, aber die Seele ist betrübt, immer betrübt, und es wird immer so sein, bis ich diese Karriere, die ich verabscheue, beendet haben werde. Und danach? Es ist unnütz, sich Illusionen zu machen. Sie wird immer so betrübt sein! Glück gibt es für mich nicht.[253]
IV
Attila – ANDREA MAFFEI – Macbeth – Napoleone Moriani – verdis präferenz für shakespeare – SHAKESPEARE IN ITALIEN – PAPA SHAKESPEARE – EIN WAGNIS UND EINE NEUERUNG: DAS LIBRETTO IN PROSA – DAS MEER IN EINEM LÖFFEL EINFANGEN – VOM SHAKESPEARE-TEXT ZUM OPERNLIBRETTO – DIE MUSICABILITÀ – KÜRZE UND ERHABENHEIT – Felice Varesi – Die Revision des Macbeth – I masnadieri – Jenny Lind – Luigi Lablache – Italo Gardoni – Jérusalem – Gilbert-Louis Duprez
Attila
W
enige Tage nach der Uraufführung der Giovanna d’Arco am 15. Februar 1845 und bevor Verdi die Arbeit an Alzira aufnimmt, stellt er Überlegungen hinsichtlich einer Oper für Venedig an:
Es ist Zeit, daß wir über die Oper für den kommenden Karneval reden. Ich brauche ein Sujet mit vier klar gezeichneten, kräftigen Figuren, alle mit kurzen Rollen. Loeve[254] als prima donna, Guasco[255], Costantini[256], Marini[257]. Alle sollen gleich lange Rollen erhalten. Bereite das Sujet vor und schicke es mir sofort; oder veranlasse, daß es vorbereitet ist, wenn ich nach Venedig komme.[258]
Der Hinweis auf vier kurze, aber gleich lange Rollen bezieht sich auf den außergewöhnlichen Umstand, daß das Fenice in dieser Spielzeit vier Hauptrollensänger zur Verfügung hatte. Große Theater (mit Ausnahme der Mailänder Scala und des S. Carlo in Neapel) verfügten für die Saison für gewöhnlich über drei Protagonisten (prima donna assoluta, primo tenore assoluto, primo basso assoluto), manchmal auch nur über zwei (wie im Falle des Macbeth in Florenz). Mit „gleich langen Rollen“ verlangt Verdi, daß alle eine Arie, ein Duett und ein Aktfinale