Die zweite Postkarte. Mark S. Lehmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mark S. Lehmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742706287
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mit einem ehrlichen „Beschissen“.

      „Ist was mit Henning?“, hörte er die besorgte Mutterstimme.

      Kurt schilderte die Vorgänge des Tages. Auf seine Schilderung folgte eine kurze Zeit der Stille. Kurt spürte wie die Nachricht bei Manuela langsam auf den Boden des Bewusstseins sank.

      „Was gedenkst du zu tun?“

      „Noch bin ich unentschlossen; aber ich habe verschiedene Ideen, die ich heute Abend mit Achim durchsprechen will.“

      „Aber du bist doch mit Henning zum Abendessen verabredet.“

      „Lieber würde ich mit Henning den Abend verbringen als mir wegen meiner beruflichen Zukunft den Kopf zu zermalmen.“

      „Das gefällt mir gar nicht, dass du Henning versetzt. Wie hat er reagiert?“

      „Ich habe ihn nicht erreicht. Er wollte heute mit Ina und ein paar Freunden tagsüber an die Ostsee fahren. Per SMS habe ich ihn informiert.“

      „Kurt, unser Sohn ist in einer kritischen Lebensphase und du kümmerst dich nicht um ihn!“ herrschte Manuela ihn durch die Leitung an.

      „Was bringt dem Sohn ein Abendessen mit seinem Vater, wenn der am Folgetag wohlmöglich seinen Job verliert“, setzte Kurt gestresst entgegen.

      „Gestern habe ich mit meiner Mutter telefoniert. Sie fragte, wie es den Jungs geht und ich habe ihr von Henning erzählt. Mutter machte mir Vorwürfe, dass wir dem Jungen zu viele Freiräume ließen. Ohne eine starke führende Hand verlaufen die jungen Leute heutzutage sich, meinte sie. Auch wenn ich ihre Erziehungsansichten immer schon etwas überzogen fand, glaube ich, dass sie dieses Mal Recht hat.“

      Das fehlte Kurt noch: die Bauernweisheiten seiner Schwiegereltern.

      „Ich glaube kaum, dass die Meinung deiner Mutter in dieser Situation weiterhilft. Außerdem bist du doch in Urlaub geflogen, obwohl unser Sohn uns Probleme macht.“

      Bei diesen Worten explodierte Manuela: „Du hast doch vorgeschlagen, dass ich beruhigt fahren kann, da du dich um Henning kümmerst.“

      „Ich konnte doch nicht ahnen, dass es zu einer derartigen Krise im Sender kommt.“

      „Das entbindet dich dennoch nicht von deinen väterlichen Pflichten, mein Lieber“, fauchte Manuela ihn zornig an und legte auf.

      Als er spätabends nach Hause kam, fand er auf dem Küchentisch einen Zettel von Henning. Dieser fand es schade, dass sie nicht gemeinsam Essen gegangen sind. Er übernachte bei Ina und der Vorschlag um 8.00 Uhr zu frühstücken, sei ihm ehrlich gesagt in den Ferien reichlich unpassend.

      Genau, dachte Kurt, mach du mir neben deiner Mutter auch noch ein schlechtes Gewissen. Mit Achim hatte er alle Aspekte hin und her gewogen und hoffte, dass seine Taktik aufging.

      27. Juli 2011

      Die verknäulte Bettdecke bezeugte am frühen Morgen, wie die rotierenden Gedanken Kurt in der Nacht durch dass Bett gewälzt hatten. Als er aufwachte, wünschte er sich, er hätte den Tag schon hinter sich. Das Treffen mit Dr. Gründgens und die damit einhergehenden Folgen drückten schwer auf dem Magen. Des Weiteren musste er versuchen, mit Henning ein Treffen zu vereinbaren, allein um nur den Hauch einer Chance zu haben, Manuela in der mallorquinischen Ferne zu besänftigen. Als er beim Frühstück den Tag scheibchenweise vor sich aufblätterte, fiel ihm mit einem Schlag seine Verabredung mit Helena ein. Die sollte er verschieben; aber wie sollte er sie erreichen? Schnell sprintete er in sein Arbeitszimmer und entnahm seinem Schreibtisch den Briefumschlag mit der Karte. Keine Telefonnummer oder Adresse in Hamburg hatte sie hinterlegt. Kurt steckte die Karte in sein Sakko. Sollte der Tag völlig schief laufen, würde er am Cafe vorbeifahren und das Treffen mit ihr verschieben.

      Pünktlich um 9.29 schritt Kurt in das Vorzimmer von Dr. Gründgens. Die Sekretärin des Programmdirektors kündigte ihn mit den kurzen Worten „Herr Assens ist da.“ an. Genau diese Worte wählte auch die Schulsekretärin als Kurt in der Oberstufe wegen eines provokanten Plakates, das er und seine Theatergruppe im Gymnasium aufgehängt hatten, zum Rektor bestellt wurde. Mit dieser Erinnerung trat Kurt in das Büro. Dr. Gründgens saß hinter seinem Schreibtisch, stand kurz auf und begrüßte Kurt mit Handschlag.

      „Ich hoffe, Herr Assens, Sie haben die Nacht gut geschlafen und haben einen Vorschlag.“

      Kurt ging auf seine unruhige Nacht nicht ein. „Wir könnten mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Aktuell haben wir drei wöchentliche politische Sendungen ´Ellwanger talkt`, ´Scharzhofers Recherche` und ´BASTA!!!`. Bei den letzten beiden handelt es sich jeweils um zwei investigative Magazine, die sich vom konzeptionellen Aufbau ähneln. Zweifelsohne ist ´BASTA!!!` die aggressivere Version. Angesichts dessen, dass sich aktuell das neue Promimagazin ´face and blog` in der konzeptionellen Endphase befindet und wir noch einen passenden Sendeplatz suchen, könnte dieses ´BASTA!!!` ersetzen.“ Kurt legte eine kurze Pause ein.

      Dr. Gründgens schaute skeptisch: „Die neue Sendung soll ´BASTA!!!` einfach ersetzen. Wie wollen Sie das ohne Gesichtsverlust dem Fernsehvolk verkaufen?“

      „Durch progressive Werbung. Facebook, Twitter und Blogs sind die aktuellen Medien mit Zukunft. Eine Idee wäre sich mit einem kleinen Augenzwingern selbstironisch von ´BASTA!!!` zu verabschieden.“

      Kurt nahm ein Hochziehen der linken Augenbraue bei seinem Gegenüber wahr. Soll er dieses als Anerkennung werten, schoss es ihm durch den Schädel.

      „Keiner unserer Mitbewerber sprang bisher auf diesen Zug“, legte Kurt nach, „Nun komme ich zu unserer zweiten Baustelle: Scharzhofer und Ellwanger. Scharzhofer bestreitet das meist gesehene politische Magazin in der deutschen Fernsehlandschaft, während Ellwanger zu den Top-Fünf der Talkshows zählt. Beide gehören zu unseren Aushängeschildern. Gleichzeitig herrscht zwischen beiden seit Jahr und Tag eine Rivalität. Immer wieder muss ich mir von Ellwanger anhören, dass seine Talkshow erst um 22.30 Uhr beginnt, während Scharzhofer schon um 21.45 loslegen darf. Salomonisch wäre es beiden die gleiche Sendezeit zur Verfügung zu stellen. Ellwanger könnte den Sendeplatz von ´BASTA!!!` am Dienstag um 21.45 erhalten, während wir die neue Sendung ´face and blog`im Anschluss starten lassen. Dieses bietet zum einen die Chance, dass ´Ellwanger talkt` in der Zuschauergunst steigt und perspektivisch die Werbeeinnahmen erhöht. Zum anderen richtet sich ´face and blog` an ein jüngeres Publikum, das in der Regel bei unserer Konkurrenz die Talkshow ´young alive` schaut. Diese Talkshow läuft bis 22.30. Durch gezielte Werbekampagnen könnten wir dann, dass jugendliche Publikum zum Programmwechsel animieren.“

      Dr. Gründgens drehte seine Bürostuhl nach rechts und schaute schweigend aus dem Fenster. „Herr Assens, ich mag noch kein Urteil fällen. Allerdings muss ich zugeben, dass ihr Konzept seine Reize hat. Gleichwohl hängt alles vom Erfolg von ´face and blog` ab, oder sehe ich das falsch?“

      Mit einer Mischung aus Erleichterung und Vorsicht äußerte Kurt: „ Sicherlich, aber der Versuch mit dem neuen Sendekonzept bringt unabhängig von ´BASTA!!!` Chancen und Risiko mit sich. Dieser Grundsatz prägt unser business.“

      „Kann die Sendung ´face and blog` bis Anfang September realisiert werden?“

      Hier lag die Crux. Trotz innerer Zweifel äußerte Kurt: „Unbestritten, es handelt sich um eine zeitliche Herausforderung. Die Elemente der Sendung sind entworfen und für die ersten drei Sendungen stehen bereits redaktionelle Rohentwürfe.“

      „Kann die Sendung Anfang September gesendet werden? Ja oder nein, Herr Assens?“. Kurt spürte den Druck eines imaginären Pistolenlaufs auf der Brust. Bei einer negativen Bescheidung der Frage würde sich der Zeigefinger am Abdrücker langsam krümmen. Sein Überlebensinstinkt verbalisierte ein „Ja“, das kräftiger klang, als er es meinte.

      Bevor er sich seines Dilemmas weiter bewusst werden konnte, legte sein Vorgesetzter nach: „Angenommen ihr Konzept überzeugt mich und auch die Geschäftführung. Was wird aus Ihrem Chefredakteur Huber?“

      Gründgens, du raffinierter Fuchs, dachte Kurt, während du mir zwar Zustimmung in Aussicht stellst, distanzierst du dich gleichzeitig.