»Etwa wegen des Albums? Meinst du, das hätte einer geklaut?« Heike lachte laut. »Volker, Volker, so schön wart ihr auch wieder nicht!«
Etwas unwillig stand er auf und ging in sein Arbeitszimmer zurück. Er durchsuchte den ganzen Schrank und alle Fächer seines Schreibtisches.
Nichts.
Er sah in dem alten Küchenschrank im Keller nach, in den sie alles stopften, was sie oben nicht mehr haben wollten.
Nichts.
Er fragte die Kinder, sah in ihre Bücherregale.
Nichts.
Als er Heike in der Küche rumoren hörte, untersuchte er die Schlösser an der Haustür, die Sicherung an der Terrassentür und die Kellertür, die in den Garten führte.
Er konnte keine Spuren entdecken, die auf ein gewaltsames Eindringen hätten schließen lassen.
Doch ein kaltes Gefühl der Unsicherheit ließ sich nicht mehr vertreiben.
»Ach ja, wir haben eine neue Wasseruhr bekommen!«, rief Heike, als er gerade aus dem Keller kam. »Angeblich ist das so üblich. Alle sieben oder acht Jahre bekommt man eine neue Wasseruhr, auch wenn es die alte noch tut.«
Schaake sah nach. Es stimmte Die Wasseruhr war ausgewechselt worden.
Heike stand oben an der Treppe, als er heraufkam. »Was suchst du da unten? Etwa immer noch das Album? Hast du einen alten Schulfreund wiedergetroffen? Oder eine Freundin?«
»Wir waren keine gemischte Schule«, antwortete er.
Sie setzten sich ins Wohnzimmer. Der Fernsehapparat lief, und Udo hockte mit angezogenen Beinen in einem Sessel. Heike hörte, wie er zornig Luft holte, und schnell drückte sie seinen Arm.
»Lass ihn«, flüsterte sie.
Sie setzten sich in verschiedene Sessel, und schweigend starrten sie auf die Mattscheibe
Schaake nahm nicht wahr, was sich dort abspielte. Ihm war es recht, weil er nachdenken konnte. Heike spielte drei Mal in der Woche morgens von neun bis zehn Tennis. Darauf konnte man sich verlassen. Um die Zeit waren die Kinder in der Schule. Die Hecke vorn war so hoch, dass sie die Eingangstür den Blicken der Nachbarn entzog. Tagsüber schloss Heike die Tür nicht ab, und das Zusatzschloss sperrte sie erst recht nicht; es war ihr zu umständlich, von außen die Kette einzuhaken und sie bei ihrer Rückkehr wieder zu entriegeln.
Einmal, es war drei oder vier Monate her, hatte er sich selbst ausgesperrt. Da hatte ihm der kleine Günter Dahmen aus dem Nachbarhaus gezeigt, wie man trotzdem hereinkam. Er hatte einen kurzen Holzstock genommen, den Arm durch den Briefkastenschlitz geschoben und mit dem Holz von innen die Klinke herabgedrückt...
IV
Urbach erwartete ihn am anderen Morgen am Fuß der Rolltreppe. Die beiden Männer nickten einander nur kühl zu. Schaake nahm seine beiden Koffer vom Gepäckkreisel und folgte Urbach nach draußen zu einem wartenden Ford Granada. Ein junger Mann stieg aus und öffnete den Kofferraum.
»Das ist Georg«, sagte Urbach. »Er wird Ihnen helfen.«
Schaake drückte dem jungen Mann die Hand. Georg war nicht so jung, wie er auf den ersten Blick wirkte. Anfang Dreißig, schätzte Schaake. Georg trug eine braune Lederjacke und neue Jeans. Die Jacke war vorn geschlossen, und Schaake fragte sich, ob der Mann eine Pistole darunter trug.
Urbach hielt die hintere Wagentür auf. Schaake stieg ein, Urbach rutschte neben ihn. Georg fuhr. Das Flughafengelände blieb hinter ihnen zurück. Die Fahrt ging, wie erwartet, nach Bonn. Schaake versuchte, sich zu entspannen. Er schaffte es nicht. Er sah Urbach an, der mit teilnahmslosem Gesicht nach vorn schaute.
»Was werden wir jetzt tun?«, fragte Schaake. »Uns an irgendeine Ecke stellen und warten, ob er vorüber kommt?«
»Wir werden uns unterhalten und dabei Fotos ansehen.«
»Was für Fotos?«
»Wenn wir jemanden observieren, fotografieren wir nicht nur ihn. Wir nehmen jeden auf, der in seine Nähe kommt.«
»Was sind das für Leute, die Sie observieren? Verdächtige? Oder entlarvte Spione?«
»Beides. Jeder enttarnte Agent war einmal ein Verdächtiger. Bevor wir ihn festnehmen lassen, bleiben wir ihm so lange wie möglich auf den Fersen. Wir versuchen, seine sämtlichen Kontakte abzugrasen. Wir fotografieren also nicht nur alle Personen, mit denen der Betreffende zusammentrifft oder spricht, sondern auch solche, die nur in seine Nähe kommen. Aus Erfahrung wissen wir, dass einer Kontaktaufnahme mit anderen Agenten oder Informanten umständliche Prozeduren vorausgehen, um etwaige Verfolger abzuschütteln. Bevor zum Beispiel ein Resident, und Ihr Freund ist einer, eine Kontaktperson trifft, was übrigens außerordentlich selten vorkommt, tritt man miteinander in Sichtkontakt. Man will sich auf diese Weise vergewissern, ob ein Treffen möglich ist. Manchmal findet ein Sichtkontakt auch nur deshalb statt, um den anderen mitzuteilen, dass eine Nachricht an einem vorher vereinbarten Ort hinterlegt worden ist.«
»Das ist der berühmte Tote Briefkasten.«
»So ist es. Wenn wir also jemanden einer nachrichtendienstlichen Tätigkeit verdächtigen, versuchen wir, seine Kontakte aufzudecken. Wir fotografieren ihn auf allen seinen Wegen, so lange es geht, in Gaststätten, in Parks, im Theater, im Kino, eben überall.«
»Und Sie glauben, ich erkenne ein Gesicht in der Menge wieder, das ich seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr gesehen habe? Die Bilder sind wahrscheinlich mit Teleobjektiven aufgenommen.«
»Sie werden überrascht sein, wie gut die Fotos sind, Herr Schaake«, sagte Urbach. »Unsere technische Ausstattung lässt keine Wünsche offen.«
Schaake sah aus dem Fenster. Flaches Land huschte vorüber.
»Wohin fahren wir jetzt?«
»Nach Bonn. Wir haben eine kleine Wohnung vorbereitet. Kennen Sie Bonn?«
»Nicht sehr gut. Eigentlich gar nicht. Ich bin einige Male durchgefahren.«
Eine Wohnung, überlegte Schaake. Warum kein Hotel? Aus Kostengründen? Oder weil man in einer Wohnung ungestörter war?
Oder wollte man ihn überwachen? Jederzeit wissen, wo er war?
»Warum kein Hotel?«, fragte Schaake.
»Wie bitte?«
»Sie haben meine Frage doch verstanden! Warum kann ich nicht in einem Hotel wohnen?«
»In einer Wohnung sind Sie doch unabhängiger. Oder können Sie sich kein Frühstück machen? Keine Angst, Sie können im Café frühstücken Es ist sogar gut, wenn Sie unter Leute kommen.«
»Weil ich ihn dann zufällig treffen kann?«
»Es wäre immerhin möglich. Bonn ist ein Dorf.«
Schaake sah wieder nach draußen. Als er in Aachen studierte, war er einige Male in Bonn gewesen, und danach noch ein- oder zweimal. Sie hieß Sigrid, an mehr konnte er sich nicht erinnern. Jetzt sah alles anders aus. Die Autobahn, die Bonn mit dem Flughafen verband, hatte es damals noch nicht gegeben, auch nicht die Friedrich-Ebert-Brücke. Oder hatte er nicht darauf geachtet? Egal. Als sie das Autobahnkreuz Bonn-Nord erreichten, kannte er sich wieder aus.
Georg steuerte den Wagen in Richtung Innenstadt. Vom Verteilerkreis an hatte sich nicht viel geändert. Gleisanlagen, eine Straßenbrücke, das Schwimmbad. Schmale, von Rotdorn und Linden gesäumte Einbahnstraßen. Das Laub glänzte in spätsommerlichem Grün, Georg nahm das Gas zurück. Er bog in eine schmale Seitenstraße ein und hielt nach einer Parklücke zwischen den Bäumen Ausschau.
»Das eben war die Kölnstraße«, erklärte Urbach. »Bis zum Markt sind es nur fünfzehn Minuten zu Fuß.«
Georg rangierte den Granada rückwärts in eine Parktasche. Die hintere Stoßstange berührte ganz leicht den Mast mit