Schaake nickte, weil er seiner Stimme nicht traute. Er räusperte sich und sagt dann: »Ja.«
In Urbachs helle Augen trat ein nachdenklicher Ausdruck. Schaake sah den Staatsanwalt an. Kluths Gesicht drückte Zufriedenheit aus.
Trettin sagte: »Sind Sie sicher? Wollen Sie ihn sich noch einmal ansehen? Sie wissen ja, dass Sie der einzige sind...« Er verstummte. Schaake sah noch einmal in das wächserne Gesicht mit der spitzen Nase, den eingefallenen Wangen und dem schütteren Haar. »Ja, ja!«, sagte er laut und ungeduldig.
»Schön«, entschied Trettin. »Gehen wir.«
Kluth lächelte Schaake zu. »Sie haben es hinter sich«, meinte er. »Der Rest ist unsere Sache.«
Schaake wusste es besser. Er spürte Urbachs Blicke in seinem Nacken. Urbach würde ihn nicht einfach ziehen lassen. Für Urbach war das Spiel noch nicht zu Ende. Schaake wusste, dass er zu viele Fehler gemacht hatte. Den ersten und zugleich größten Fehler hatte er begangen, als er sich fast bedenkenlos auf ein gewagtes, aberwitziges Spiel eingelassen hatte...
I
Volker Schaake stand am Fenster seines Zimmers im Holiday Inn am Köln/Bonner Flughafen. Eine Boeing 737 stieß aus dem makellos blauen Septemberhimmel herab. Fast lautlos schwebte sie über den klotzigen Hotelbau hinweg. Schaake fragte sich zum hundertsten Mal, was er hier sollte. Er gehörte zum Planungsbüro München. Zu seinem Gebiet gehörten Spanien und die spanisch sprechenden Länder Nordafrikas. Zur Zeit projektierte er eine automatische Bandstraße für ein Getriebemontagewerk, das in Nordspanien im Auftrag eines amerikanischen Automobilkonzerns errichtet wurde. Seine Firma unterhielt auch in Köln ein Montage- und Planungsbüro, aber wenn seine Reise irgendetwas mit der Kölner Niederlassung zu tun hätte, hätte man ihn erwartet oder abholen lassen. Zumindest hätte man es ihm gesagt.
Nein, er hatte keine Ahnung, weshalb Wessendorf ihn nach Köln geschickt hatte. Wessendorf hatte nichts damit zu tun, das war schon mal sicher. Die Tickets waren von der Firmenleitung in Nürnberg gekommen, zusammen mit der Anweisung, im Holiday Inn abzusteigen, ein Zimmer sei reserviert.
In München hatte er die Acht-Uhr-Maschine genommen. Kurz vor halb zehn war er im Hotel angekommen. An der Rezeption hatte keine Nachricht für ihn vorgelegen. Jetzt war es elf durch, und noch immer tat sich nichts. Er hatte seine Mutter angerufen, die in Düren lebte. Er hatte sie gefragt, wie es ihr ginge, und als sie hörte, dass er in Köln war, hatte sie ihn auf ihre bedrängende Art gebeten, doch wenigstens kurz herüberzukommen. Vielleicht, hatte er gesagt, aber wahrscheinlich klappe es nicht.
Langsam, aber sicher, begann der Ärger in ihm zu nagen. Er fühlte sich verschaukelt. In München bleiben wichtige Arbeiten liegen. Es gab Schwierigkeiten mit einem spanischen Unterlieferanten, Zeichnungen und Spezifikationen mussten geändert werden, der amerikanische Auftraggeber musste sein Einverständnis geben, die ersten Abnahmetermine rückten unerbittlich näher.
Schaake überlegte, ob er duschen sollte, als es hart an der Tür klopfte. Er öffnete. Da standen sie. Zwei Männer, an denen auf den ersten Blick nichts Auffälliges zu entdecken war. Der ältere, ein fülliger Mann mit verwischter Zigarrenasche auf den Revers seines dunklen Jacketts, ergriff das Wort.
»Guten Tag, Herr Schaake. Herr Dr. Wessendorf hat dieses Zusammentreffen arrangiert. Dürfen wir eintreten?«
Wessendorf hatte das Treffen wohl nicht arrangiert, aber Schaake sagte nichts. Die Besucher würden schon mit der Sprache herausrücken. Vielleicht ging es um interne Dinge, die nicht in einem Büro ausgehandelt werden sollten. Vielleicht, hatte er während des Fluges überlegt, wollte man ihm einen Sitz im Vorstand anbieten, vertraulich zunächst, weil erst ein anderer ausgebootet werden musste. Volkmanns Stuhl wackelte, hieß es. Die Geheimnistuerei sprach für irgendetwas in der Preislage.
Wortlos gab er die Tür frei. Er zog sein Jackett über, weil die beiden Besucher sehr korrekt gekleidet waren.
Der Ältere hielt Schaake die Hand hin. »Mein Name ist Mehrländer, das ist mein Mitarbeiter, Herr Urbach.«
Schaake drückte die Hand, die groß und überraschend kräftig war. Die Namen hatte er noch nie gehört. Aus der Vorstandsetage des Konzerns stammten die Männer nicht. Vielleicht schickte man bewusst konzernunabhängige Unterhändler, Banker vermutlich. Wie auch immer, Schaake hatte keine Lust, auf einem Vorstandsposten zu versauern.
»Dürfen wir uns setzen?«, fragte Mehrländer.
»Natürlich. Entschuldigen Sie. Kann ich Ihnen etwas bestellen?«
»Nein, danke, nichts. Aber wenn Sie möchten...«
Mehrländer hatte eine tiefe, raue Stimme. Er war schon älter, Ende Fünfzig vielleicht. Sein dichtes Haar war stark ergraut, buschige Brauen wucherten über braunen Augen, die scharf und klar durch eine Brille mit dicken Gläsern blickten. Die fleischige Nase war von roten Äderchen durchzogen, die Lippen schimmerten bläulich.
Urbach, ein drahtiger Mann mit knappen Bewegungen, war wesentlich jünger. Das Haar trug er kurzgeschnitten, den Mund hielt er fest zusammengepresst, als ob ihm irgendetwas nicht passte. Seine hellen Augen zuckten durch das Hotelzimmer, richteten sich auf Schaake, tasteten ihn schnell ab, und wanderten dann weiter.
Mehrländer legte eine Aktentasche auf den Tisch. Er öffnete sie und zog ein Zigarrenetui heraus, das er Schaake hinhielt.
»Nehmen Sie eine Zigarre?«
Schaake schüttelte den Kopf. Vor zwei Jahren hatte er das Rauchen endlich aufgegeben. Mehrländer zündete seine Zigarre an. Seine Lippen erzeugten schmatzende Geräusche Die braunen Augen ließen Schaake nicht los. Schaake wusste, dass Mehrländer sich absichtlich Zeit ließ. Er wollte sich ein Bild von ihm machen.
»Diese Unterredung, Herr Schaake«, begann er schließlich, »findet mit Wissen und Billigung der obersten Geschäftsleitung Ihrer Firma statt. Allerdings weiß man dort nicht, um was es geht. Sie sind freigestellt, Herr Schaake. Ich nehme das vorweg, weil Ihnen unser Anliegen sehr ungewöhnlich vorkommen wird.« Mehrländer legte die Zigarre in einen Aschenbecher. Er leckte sich über die Lippen, dann sagte er, während er schnaubend durch die Nase ausatmete: »Wir gehören einem bundesdeutschen Geheimdienst an, und wir brauchen Ihre Hilfe.«
Ich träume, dachte Schaake. So ein Unsinn. Er war erst vorige Woche aus Bilbao zurückgekommen. Natürlich hatte er etwas von der Schießerei mitbekommen, aber was hatte ein deutscher Geheimdienst mit den Aktivitäten baskischer Terroristen zu tun? Und was hatte er damit zu tun? Er schüttelte den Kopf. Geheimdienst. Was gab es da? BND, BiV, und was noch? MAD, Politische Polizei, Spionageabwehr...
»Ich stelle es Ihnen anheim, in Nürnberg anzurufen. Das Vorstandsmitglied Ihrer Firma, Herr Professor Hennings, steht Ihnen für ein Telefongespräch zur Verfügung. Sie können jetzt telefonieren oder später, wie Sie wollen. Nur - ganz gleich, wie unsere Unterredung ausgeht, Herr Schaake - Sie dürfen niemals ein Wort darüber verlieren. Weder Ihrer Frau gegenüber, noch Freunden oder Kollegen. Was wir von Ihnen erwarten, ist für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland von außerordentlicher Bedeutung.«
Es hatte nichts mit Terroranschlägen im Baskenland zu tun. »Ich kann mir nicht vorstellen...«
»Sie werden es bald verstehen, Herr Schaake. Herr Urbach wird Ihnen einige Fragen stellen. Herr Urbach wird als Referatsleiter Ihr Gesprächspartner sein.«
»Moment! Können Sie von vorne anfangen?«
»Haben Sie noch etwas Geduld. - Herr Urbach, bitte«
Urbach schlug einen dünnen Plastikhefter auf. Mit monotoner Stimme referierte er einige Daten. »Sie sind zweiundvierzig Jahre alt, Diplomingenieur, seit neunzehnhundertvierundsechzig verheiratet, Sie haben zwei Söhne im Alter von zwölf und fünfzehn Jahren. Ihr Abitur haben Sie neunzehn-siebenundfünfzig in Minden abgelegt, danach haben Sie in Aachen Maschinenbau und Verfahrenstechnik studiert. Ihre Mutter lebt seit dem Tod Ihres Vaters in Düren. Ihre Frau stammt aus Krefeld. Weder Sie noch Ihre Frau