Die Villa in der Oskarstraße. Ulrich Hermann Trolle. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ulrich Hermann Trolle
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738009644
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Frankreichs gegen das erstarkende Deutschland. Geschichte wiederholt sich gelegentlich. Wer wollte das bestätigen von den Rauchenden, Weintrinkenden in der Runde? Diese weltläufigen Schreiber?

      Deutschland - schlechtes Land.

      Wer vertraut auf Deutschland?

      Niemand.

      DDR sind wir hier.

      Weit, breit, hell, Lautsprecher.

      Die Stadt will den Tag nicht. Die Bomben haben alles getroffen in Dresden. Große Lücken, weite Sicht. Neue Häuser, Neue Häuser, Neue Häuser. Aus Trümmersteinen.

      Phönix in Dresden. Phönix in Mauer und Mörtel.

      Und keine Menschen am hellen Alltag.

      Wieso denn immer noch Ruinen? Zuhause sind keine.

      Ich bin noch unterwegs auf der geraden Straße.

      An mir hängt die schwere Tasche.

      1966 ist eine gute Jahreszahl. Wegen mir, weil ich hier bin.

      Der Stahlträger dort oben im zerbombten Dachgeschoss ragt wie eine Trapezkante in die Welt.

      Verbogen oder durchgeglüht? So verrostet. Schneidet die Luft.

      Wann wird der herunter brechen? Noch mal Leute tot.

      Vögel haben kein Gewicht. Also, die machen es nicht aus.

      Meine Tasche wiegt inzwischen zwei Zentner.

      Hinter den Ruinenmauern ist Schutz gegeben für die Ratten und Nestbrüter. Sogar noch Putz und Tapete haften an den Wänden.

      Dahinter ist sich gut aufhängen, und es sieht kein Schwein.

      Ruinen.

      Möchte nicht die verschütteten Keller aufbuddeln. Da sitzen die mumifizierten Leichen sicher noch auf ihren Stühlen. Die sind sicher niemals umgekippt.

      Die hatten keine Zeit zum Umkippen mit ihren zerplatzten Lungen.

      Die Knochen halten sich aufrecht.

      Dummes Zeug. Die Stühle sind vermodert.

      Da ist kein Knochen mehr auf dem anderen.

      Wie schwarz der Bahnhof ist! Dreh dich nicht um, der Bomber ist dumm.

      Den Krieg haben für mich Vater und Mutter erzählt.

      Ich sehe in Bildern in einem Buch das KZ Buchenwald und kann den Krieg erkennen. Ich trug auch Waffen am Gürtel und über der Schulter, verrostete, ausgebrannte Schusswaffen als Spielzeuge. Neugierig geklaut aus dem Depot bei den Gleisen am Rande meiner Kreisstadt.

      Peng, peng, du musst umfallen, du bist erschossen! Grasgrüne Flecken auf den Kinderknien. Peng, peng, tot.

      Ich werde dir helfen, patsch patsch, zwei grasgrüne Ohrfeigen vom Vater.

      Den Säbelknauf schnell unter den Schrank geschoben.

      Eine Ruine kenne ich seit meinem vierten Lebensjahr.

      Wallhausen, ein Dorf am Südharz... doch die Dächer sind zerfallen, und der Wind streicht durch die Hallen, Wolken ziehen drüber hin.

      Die Kirche ist Ruine, unweit vom Bahnhof. Bauernhäuser kleben dicht bei dicht und lassen die Dorfstraße zwischen sich durch. Straßendorf, auch der nächste Ort ein Straßendorf und der nächste und der nächste.

      Die Kirche in Wallhausen an der Helme. Bahnstrecke nach Nordhausen. Früher nach Kassel. Gott hatte sie nicht selig.

      Wie viele Wallhausen es gibt auf der Landkarte!

      Also nochmal: Die Kirche in Wallhausen stand über viele Menschenalter hinweg und drum herum lag schon immer weites Land.

      „Omnia sunt communia“, der freie Sinn des Thomas Müntzer wehte einst herüber vom Allstedter Bund. Bei feuchtem Wetter steht der Regenbogen am Himmel, seit der Schöpfung. Er gehört auch allen.

      Luther hat in Wallhausen gepredigt wider die Bauern. Ob man ihn gemocht oder gefürchtet hat?

      Die Theologen haben damals gestänkert. Einer so, der andere so.

      Jetzt ist in Wallhausen davon ein Haufen grober Steine übrig, ringsherum eine schulterhohe dicke Mauer. Ich bin raufgeklettert.

      Den Müntzer habe ich nicht gesehen und den Luther auch nicht.

      Ihr Geist liegt unter Steinen begraben.

      Niemand hat die Kirche vor dem grässlichen Irrtum bewahrt.

      Vielleicht waren die Bauern doch zu selbstständig gewesen.

      Es hat also die Kirche getroffen.

      Es hat die eine Bombe über Wallhausen gegeben... und trifft die Kirche.

      Verfehltes Ziel.

      Einen Bahnhof zu früh abgeworfen, sagte der Vater.

      Der Zielbahnhof Sangerhausen liegt acht Kilometer entfernt in östlicher Richtung.

      Aber Gott hat es gewollt.

      Er hat in den Rumpf des Bombers geschaut, die Bombe gesehen und dem Piloten der Air Force auf die Schulter getippt: „Sir“, sagt er, „Sir, Sie haben vergessen, eine Bombe abzuwerfen. Die habe ich für die Kirche in Müntzer-Luther-Bauern- Wallhausen bestimmt. Dann haben alle etwas nachzudenken, wenn sie davor stehen oder vorüber gehen.

      Also, raus damit.“

      Der Pilot soll seine Maschine leer zur Basis zurück fliegen. Ein Sir der Royal Air Force nach England oder vielleicht ein Monsieur, nach Frankreich.

      Frankreich? Wie kommst du darauf, nein, die sind nicht gegen uns geflogen.

      Die jungen Kanadier der Royal Canadian Air Force fliegen, starten noch von England aus zum Bombenangriff. Über die Amis weiß ich nichts, aber wegen der Entfernung hat die US Army Air Force auch Flugbasen auf der Insel gehabt.

      Was eben so erzählt wird unter den Alten.

      Die erzählen so manches, wissen auch nur vom Hörensagen und von Andeutungen. Ein Herr Pilot, ein Deutscher, liegt im nahen Brücken, diesem anderen Dorf, etwas kleiner als Wallhausen, zweitausend Meter liegen sie auseinander an dem gleichen schmalen Wasser.

      Der Pilot liegt auf dem Acker einer Anhöhe.

      Zwischen Brücken und Wallhausen wird er abgeschossen und liegen gelassen im letzten Kriegsschnee und nicht begraben. 1st Lt. CAC Chester A. Howard gibt von seinem Jeep aus keinen Befehl zum Bergen des toten Feindes. Es lungern noch versprengte feindliche Kräfte im Unterholz. Unberechenbare, Unbelehrbare, Verirrte, Verwirrte.

      Hört mal, keine Opfer mehr, ja!

      Die Ortsbewohner von Brücken sehen, hören, bleiben heim.

      Soll zuwachsen die Sturzstelle - ich weiß es nicht- vielleicht ein, zwei gingen doch, nachts, durch die Ausgangssperre hindurch... Sehr heikel, mit schöner Aussicht auf ein langes Lagerleben.

      Vater, hast du davon gewusst?

      PW noch im April sehr wahrscheinlich, noch wahrscheinlicher: tot.

      Na, dankeschön, dem Führer keine Ehren mehr.

      Der stramme Geist ist lange schon am Verrecken, allmählich.

      Auf dem Lande ist man sparsamer mit Zuneigungen.

      In dem winzigen Klassenraum der Dorfschule, neben der Kirche, sind die Texte inzwischen verschwunden:

      „Wehrdienst ist Ehrendienst am deutschen Volk (...) Die Wehrmacht ist der Waffenträger und die soldatische Erziehungsschule des deutschen Volkes (...) Mit Vollendung des 18. Lebensjahres beginnt die Wehrpflicht der männlichen Jugend; sie dauert bis zum 45. Lebensjahr...“ ( Die Wehrmacht, Aufbau; und Wehrgesetz von 21. 05. 1935)

      Was soll man vom deutschen Gefreiten Pilot auch noch finden außer seiner deutschen Blechmarke?

      Die Waffenfarbe