Stille(r)s Schicksal. Monika Kunze. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Monika Kunze
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847662884
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die Regenbogen-Presse, da wirst du den Landschaftsplan vielleicht sogar als Katastrophenmeldung wiederfinden."

      Prüfend sah sie zu ihm hinüber.

      War wohl doch nicht so wirksam, ihr Trostversuch, er guckte jedenfalls noch immer grimmig. Verwundert stellte sie wieder einmal fest, wie gut sie sich doch eigentlich verstanden. Sie mochte ihn auch deshalb, weil er sich auch über Dinge den Kopf zerbrach, für die er nicht bezahlt wurde. Darin ähnelten sie einander sehr, das wusste auch Dieter. Dabei war ihr durchaus klar, dass sie als Sekretärin nicht im mindesten für den Inhalt des Blattes verantwortlich zeichnete. Trotzdem war es ihr zu wenig, immer nur die Fremdtexte zu erfassen, die Termine zu kontrollieren und Kaffee zu kochen.

      Sie klappte die Sonnenblende herunter, warf einen kritischen Blick in den Spiegel.

      "Bist hübsch genug", brummte Dieter und grinste.

      Ganz nebenbei schaltete er das Radio aus, Anne war froh darüber, denn die schnarrende, näselnde Stimme des Sprechers hatte sie als ziemlich unangenehm empfunden. Froh war sie auch über sein sprödes Kompliment, ihr Make up war also perfekt, er hatte nichts bemerkt von ihren Tränensäcken und der aschfahlen Haut. Dankbar lächelte sie zu ihm hinüber.

      "So, Madame, jetzt gibt´s zum Abschluss noch ein bisschen deutschen Rock mit Herrn Maffay, das ist wenigstens was Reelles!"

      In dem Punkt konnte ihm Anne nicht widersprechen, denn auch sie mochte diesen Altrocker und seine Lieder. Ihre Mutter hatte sie wohl mit ihrer Schwärmerei für Maffay angesteckt. Die Musikkassetten aus dem Nachlass hatte sie sich immer wieder angehört. Manchmal war es ihr vorgekommen, als würde sie sich zu spät bemühen, ihre Eltern richtig kennenzulernen.

      Aber darin unterschied sich ihre Familie wohl nicht so sehr von den meisten anderen. So richtig trösten konnte sie dieser Gedanke allerdings auch nicht.

      "Wir sind gleich da", sagte Anne und klappte den Sonnenschutz wieder hoch.

      Dabei warf sie einen Blick in den Rückspiegel.

      Nanu? Hatten sie diesen grünen Trabant nicht schon mal überholt? Nun fuhr er hinter ihnen. Kunststück, die Geschwindigkeit musste oft gedrosselt werden, weil es immer wieder Baustellen auf der Autobahn gab. Ein Blick auf das Kennzeichen hatte ihr vorhin schon verraten, dass der Trabbi auch aus ihrem Landkreis stammte.

      Schein und Sein

      Auf dem Flughafen herrschte das gewohnte Getümmel. Kaum jemanden schien es zu stören, schon Stunden vor dem Abflug da sein zu müssen. Viele hatten sich in den glatten Schalensitzen lang ausgestreckt und schienen zu dösen. Manche packten ihre mitgebrachten Brote aus, die wenigsten nutzten das Angebot an den einzelnen Ständen und Bars. Kein Wunder bei den gepfefferten Preisen, dachte Anne und biss geräuschvoll in einen Apfel.

      Amüsiert bemerkte sie, dass einige zwar so taten, als würden sie ganz konzentriert Zeitung lesen. Doch in Wahrheit galt ihr Interesse den anderen Leuten. Doch so intensiv der Herr neben ihr auch die gepflegte Dame gegenüber fixierte, jene wollte wohl einfach keine Notiz von ihm nehmen. Sie schien in das Lösen eines riesigen Kreuzworträtsels vertieft zu sein. Nicht einmal auf die Aufrufe aus den Lautsprechern ließen bei ihr eine Reaktion erkennen.

      Anne machte kein Hehl aus ihrer Neugier und schaute sich ganz unverhohlen um. Gut, dass Dieter gleich wieder losgefahren ist, dachte sie, er teilte wohl auch ihre Abneigung gegen große Abschiedsszenen. Außerdem entging sie unter diesen Umständen seinem forschenden Fotografenblick. Sie war sich sicher, dass er nach einer Weile selbst das perfekteste Make up durchschaut hätte. Und gerade das konnte sie jetzt am allerwenigsten gebrauchen. Dazu bedeutete ihr der Arbeitsplatz in der Redaktion zu viel. Die Spielregeln hießen nun einmal: jung, dynamisch, gesund und unendlich belastbar! Daran musste sie sich halten, wollte sie nicht ihre Entlassung riskieren. Noch zu deutlich erinnerte sich Anne, wie es drei von ihren Kollegen, drei Redakteure, erst vor kurzem eiskalt erwischt hatte. Sie hatten sich aufgeopfert, nie auf die Uhr geschaut (das tut man halt nicht, wenn die Arbeit Spaß macht), ihre Familien vernachlässigt und schließlich ihre Gesundheit ruiniert. Und Kranke waren nun einmal in dem Unternehmen nicht erwünscht. Die Fürsorgepflicht, so hatte es geheißen, gebiete es schließlich, sich von ihnen zu trennen. Anne fand es beschämend, wie um die Kündigung auch noch das kaschierende Mäntelchen der Fürsorgepflicht gehängt wurde. Jeder in der Redaktion wusste, dass es in Wahrheit nur einen Grund für diese dreifache Entlassung gegeben hat. Und der hieß: Geld. Alle drei waren nämlich auf der obersten Stufe der Tarifleiter angekommen. Wieso also sollte das Unternehmen so viel Geld für qualifizierte Fachkräfte ausgeben, wenn auch (viel preiswertere) Volontäre, (kostenlos arbeitende) Praktikanten oder (immerhin auch noch wesentlich billigere) Jungredakteure deren Arbeit verrichten konnten? Was machte es schon. wenn die Qualität dabei manchmal auf der Strecke blieb? Alles, was heute in der Tageszeitung stand, würde am nächsten Tag sowieso im Papierkorb landen. Da musste man wohl die Sorgfaltspflicht nicht so auf die Spitze treiben.

      Immer, wenn sie sich an diese Geschichte erinnerte, schämte sie sich, denn auch sie hatte alles stillschweigend mit an- beziehungsweise weg gesehen .

      Sich selbst wollte sie jedoch so einen beschämenden Rausschmiss um jeden Preis ersparen, deshalb nahm sie sich zusammen, damit aus ihrem Mund auch nicht der kleinste Klagelaut entwich. Sie wollte sich auf keinen Fall nachsagen lassen, dass andere ihre Arbeit mitmachen mussten, weil sie krank war. Nein, da biss sie doch lieber ihre Zähne zusammen. Tag für Tag verrichtete sie ihre Arbeit, auch an solchen, wenn irgend etwas in ihrem Bauch so verrückt spielte, dass sie es fast nicht ertragen konnte.

      Als hätte dieses Etwas nur auf sein Stichwort aus ihren Gedanken gewartet, ging das heftige Ziehen im Leib wieder los. Ergeben seufzend griff Anne nach ihrer Handtasche und verschwand eilig in der Damentoilette.

      Als sie zurückkam, wurde gerade ihr Flug aufgerufen. Sie begab sich mit zahlreichen anderen Leuten zum Ausgang D, stieg in den bereitstehenden Bus und kletterte erwartungsvoll die Gangway empor. Hinter ihr ging ein junger Mann, aber sie nahm keine Notiz von ihm.

      An ihrem Platz angekommen, lehnte sie sich dankbar in ihrem Sitz zurück, denn das Ziehen begann schon nachzulassen. Das waren schon richtige kleine Wunderwaffen gegen den Schmerz!

      Erfreut konnte sie an ihrem Fensterplatz staunen, wie schnell die Häuser und die Landschaft nach dem Start immer kleiner wurden. Selbst die Elbe erinnerte nur noch an eine lange, silbrig schimmernde Schlange. Hier oben schien alles unwichtig zu werden, womit sich die Menschen in der großen Stadt herumplagten. "Über den Wolken, da muss die Freiheit wohl grenzenlos sein" sang sie in Gedanken. Jetzt begann es tatsächlich noch einmal zu schneien. Aber was machte das schon? Sie flog schließlich der Sonne entgegen.

      Gespannt verfolgte sie am Monitor, wo sich der Ferienflieger gerade befand. Doch nach dem obligatorischen Fertiggericht, Nudeln, Fleisch und selbst der Salat hatten irgendwie nach Pappe geschmeckt, wurden ihr die Augenlider schwer. Schon im Halbschlaf, hörte sie jemanden sagen: "Schlafen Sie gut und träumen Sie was Schönes!"

      Was für eine Stimme! Gehört diese schon zu ihrem Traum? Sie fühlte sich jedoch zu träge, um der Sache, in diesem Falle der Stimme, auf den Grund zu gehen.

      Als Anne erwachte, erschrak sie. Sie musste ja Stunden geschlafen haben, denn sie hörte gerade noch, dass bis zur Landung nur noch ein paar Minuten vergehen würden. Da war auch schon wieder dieser Druck in den Ohren. Ihr Magen wollte rebellieren, aber dann gab er sich mit einem zuckerfreien Bonbon zufrieden. Endlich war auch die gefürchtete Landeprozedur überstanden, die Räder hatten leicht federnd auf der Landebahn aufgesetzt, was die Passagiere mit müdem Beifall bedachten.

      Im langgestreckten, flachen Flughafengebäude von El Medano war es angenehm kühl, die dicken Betonwände ließen keine Hitze durch. Anne griff nach ihrer Tasche, die gerade auf dem Transportband heran gerollt kam und lief einem jungen, dunkelhaarigen Mann nach, der die Gäste in verschiedene Busse einwies.

      "Kommen Sie hier herüber", forderte er nun schon zum dritten Mal zwei ältere Herrschaften auf. Der Mann und die Frau, beide trugen ein Hörgerät in den Ohren, schienen dankbar zu sein, dass sich nun endlich jemand um sie kümmerte. Ihr