Stille(r)s Schicksal. Monika Kunze. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Monika Kunze
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847662884
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er hinter einem breiten Grinsen, während er sein leeres Glas auf den Tisch zu den anderen stellte.

      Auch Anne lächelte, ermutigend, wie ihm schien. Sie hatte tatsächlich nicht das geringste gegen so einen Strandspaziergang nach dem Abendessen einzuwenden. Viel zu gern dachte sie an ihre erste Stunde am Strand und im Wasser. Sie hatten sich, natürlich rein zufällig, denn sie hatten sich ja nicht wirklich verabredet, getroffen und sich schon wenig später wie die Kinder aufgeführt: Im Wasser herumgetollt, sich gegenseitig gejagt, nassgespritzt und schließlich waren sie mit einem gelblichen Hund, der sich zu ihnen gesellt hatte, um die Wette gelaufen, mal im Sand, mal im Wasser.

      Viel zu schnell war die Stunde bis zur Besprechung mit dem Reiseleiter vorbei gewesen. Klitschnass, aber fröhlich, waren wie wieder im Hotel angekommen, fast wäre die Zeit zu knapp gewesen, um sich trockene Sachen anzuziehen. Sie waren auch zu unterschiedlichen Zeiten wieder unten angekommen, und Sven, der erstaunlicherweise nach Anne eintraf, hatte es tunlichst vermieden, sich in der Begrüßungsrunde neben Anne zu setzen. Warum, das hätte er niemandem erklären können, er wusste es ja selbst nicht.

      Sein angeknackstes Selbstbewusstsein, bekam aber bald gehörigen Auftrieb, als er erfreut bemerkte, dass Anne sich mehrmals zu ihm umgedreht hatte.

      Und trotzdem standen sie jetzt wieder hier und schienen beide nicht weiter zu wissen.

      Anne drehte ihr leeres Glas noch immer unschlüssig in der Hand, die unbefangene Fröhlichkeit vom Nachmittag war verflogen.

      Plötzlich brach die Dunkelheit herein.

      Anne staunte, wie treffend hier, auf Teneriffa, diese Aussage war. In Deutschland kommt die Dunkelheit ja eher gemächlich daher, von Hereinbrechen kann da eigentlich keine Rede sein.

      So etwas wie eine Dämmerung schien es hier überhaupt nicht zu geben. Wie sehr hätte ihre Großmutter hier ihre geliebte Schummerstunde vermisst, noch nicht richtig dunkel und auch nicht mehr so richtig hell. Da wurde kein Licht angemacht. Die Großmutter hatte es geliebt, in der Dämmerung in ihrem Sessel am Fenster zu sitzen und ihren Gedanken nachzuhängen.

      Genau so, wie Anne es jetzt auch tat. Sven war ihrem Blick gefolgt. Draußen bewegte ein lauer Wind die Blätter des Gummibaums. Anne spürte, dass Sven auf irgend etwas wartete, also stellte auch sie endlich ihr Glas ab und griff nach seiner Hand. Oh, wie entsetzt wäre ihre Oma über diese Eigenmächtigkeit ihrer Enkeltochter gewesen! In der Welt der Großmütter hatte die Initiative grundsätzlich vom Mann auszugehen.

      Aber Anne und Sven hatten ihre eigene Welt, in der es jetzt nicht einmal mehr der Worte bedurfte. Wie selbstverständlich brachen sie gemeinsam auf.

      Barfuß tobten sie am Strand entlang, setzten sich ans Meer und ließen den Sand durch die Finger gleiten, staunten über den tief hängenden Sternenhimmel, reckten ihre Gesichter der frischen Brise entgegen, die einen Geruch nach Freiheit vom Meer herüber trug. Alles geschah ohne viel zu sprechen. Doch keiner von beiden empfand die Stille als bedrückend. Im Gegenteil, sie fühlte sich gut an. Anne lehnte sich vertrauensvoll an seine Schulter und er wagte es nicht, sich danach noch zu bewegen.

      Von irgendwo her erklang leise Musik, selbst diesen Klängen schienen sie andächtig zu lauschen, nicht jeder für sich, sondern gemeinsam, fast so, als seien sie beide zu einem einzigen Wesen verschmolzen, zwei Hälften, die lange umhergeirrt waren, um sich hier endlich zu begegnen.

      Die Gitarrenklänge wurden stärker.

      "Von dort drüben kommt die Musik", sagte Sven und wies auf ein flaches Gebäude hinter zwei riesigen Gummibäumen. Alle Fenster waren hell erleuchtet.

      Anne löste sich von seiner Schulter, sah in die Richtung, in die er zeigte, nickte … und schwieg. Wollte sie etwas mehr Distanz schaffen?

      "Wollen wir uns noch ein bisschen unters spanische Volk mischen?"

      Die Befürchtung, dass sie seine Einladung womöglich doch noch ablehnen könnte, hatte seine Frage etwas gekünstelt klingen lassen.

      Der Wunsch, sie einfach in den Arm zu nehmen, war fast übermächtig. Nur mühsam gelang es ihm sich zurück zu halten.

      Er hatte es sofort gespürt: Sie war etwas Besonderes. Er durfte und wollte sie mit einer zu schnellen und zu plumpen Anmache nicht erschrecken. Zu wichtig war ihm ihr Lächeln schon geworden, das immer zuerst in den Augen aufleuchtete.

      Wie jetzt. Der Moment der Distanz schien vorüber zu sein.

      So wie Anne hatte sich Sven immer eine glückliche Frau vorgestellt.

      Sie stupste ihn leicht vor die Brust und sagte fröhlich: "Au ja, das machen wir. Mischen wir uns unters Volk! Meinetwegen auch unters spanische! Außerdem könnte ein Gläschen Bauernwein auch nicht schaden…

      Wieder traf ihn ihr entwaffnendes Lächeln. Diese Frau steckte anscheinend voller Überraschungen.

      Von ihrem unerwarteten Entgegenkommen ermutigt, griff er nach ihrer Hand und zog sie einfach mit sich fort.

      Sie mussten nicht weit laufen. Schon nach wenigen Minuten traten sie ein in die rustikale Gaststätte, als die sich der Bungalow erwies.

      Wilden Gitarrenrhythmen und ein Stimmengewirr, in dem viele Sprachen vorkamen, umfingen sie. Es duftete nach gegrilltem Fleisch, Fisch und exotischen Gewürzen.

      Niemand schenkte den Neuankömmlingen Beachtung, was beide nicht sonderlich störte. Für einen Moment blieben sie unschlüssig stehen, teils, weil sie dem Spiel des Gitarristen lauschten, teils, weil sie noch keine freien Plätze für sich entdecken konnten. Der Gitarrist steigerte sich zur Höchstform. Er entlockte seinem Instrument wahre Zaubertöne. Kein Wunder, dass sich alle zu ihm wandten und in die Hände klatschten.

      Noch viel weniger wunderte sie, dass alle Plätze besetzt zu sein schienen.

      Doch da steuerte auch schon ein Kellner auf sie zu, winkte und sie verstanden, dass sie ihm folgen sollten. Geschickt lotste er sie durch die tobende Menge, an der Wand entlang, bis zu einer kleinen Nische, in der sie ganz für sich waren. Erst von dort aus sahen sie, dass das Interesse der bunt zusammen gewürfelten Gästeschar nicht nur dem Gitarristen galt, sondern vielleicht noch mehr einer hoch gewachsenen, anmutigen Frau, die zu den wilden Flamencoklängen tanzte.

      Aller Augen hingen an ihren wiegenden Hüften, am rhythmischen Stampfen und Drehen, das bewirkte, dass der schwarz-rote Rüschen-Rock immer höher flog und den Blick auf ihre schlanken, geraden Beine freigab. Ihr Temperament wirkte ansteckend, denn immer mehr Gäste sprangen auf und eilten zur Tanzfläche, um es ihr gleich zu tun.

      Auch Sven und Anne drehten sich bald selbstvergessen im Kreise, gaben sich ganz der Musik hin, wie sie sich am Nachmittag für ein Weilchen dem Schaukeln der Wellen hingegeben hatten. Sie vergaßen Raum und Zeit bei diesen Tänzen, streiften ihre Sandalen ab und stampften mit nackten Füßen im Rhythmus der Musik, ihre Gesichter glühten. Sie fühlten sich wie in Trance. Aber allein vom trockenen Wein konnte dieser Zustand nicht kommen, denn sie hatten nur wenig davon getrunken, waren schnell zu "Wasser con Gas" übergegangen.

      Trotzdem fühlte sich Anne so beschwingt und so wohl wie lange nicht. Vergessen waren der Stress in der Redaktion, die Sonntagsdienste und die langen Arbeitstage. Vergessen waren, was für ein Wunder!, selbst die Schmerzen im Unterleib.

      Vergessen waren für Sven die Schufterei auf den Baustellen, die Auseinandersetzungen mit seinem Vater und seine Pflichten beim Ausbau des kleinen Häuschens im Nachbarort.

      Beide lebten jetzt und hier, voller Lebensfreude und Hingabe an die Musik und aneinander.

      Auf dem Heimweg hatten beide das Gefühl zu schweben. Sven verpasste absichtlich den Abzweig zum Hotel. Anne hatte das sehr wohl bemerkt, aber genau wie er nichts dagegen, den Abschied noch ein wenig hinauszuzögern.

      "Ich danke dir für diesen wunderschönen Abend", sagte sie mit belegter Stimme vor ihrem Zimmer. Sie waren schon längst zum vertraulichen Du übergegangen.

      Am Ende des Abends wussten beide mehr voneinander als sie es vorgehabt hatten sich gegenseitig zu erzählen. So war bald klar gewesen, dass sie nicht nur aus dem selben