Spielball ferner Welten. Gerd Kramer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerd Kramer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738099928
Скачать книгу
er sich manchmal nach Feierabend getroffen. Auch wenn sie meistens über Firmenangelegenheiten gesprochen hatten, vermisste er die Abende bereits jetzt. Blieb nur Nadja. Mit seiner zehn Jahre älteren Schwester konnte er über alles reden, und er hatte das Gefühl, dass sie nach ihrer Scheidung ein Stück weiter zusammengerückt waren. Als Kind war sie Ersatzmutter gewesen, nachdem die Mutter gestorben war. Irgendwie war sie es bis heute geblieben. Der Vater hatte erst wieder geheiratet, als beide Kinder erwachsen waren, und lebte mit seiner Frau in einem Münchner Vorort. Die Familienmitglieder, unter ihnen auch ein Sohn aus ihrer ersten Ehe, trafen sich einmal im Jahr, meist an Weihnachten. Die Treffen verliefen weitgehend harmonisch, vielleicht auch, weil es keine besonderen Berührungspunkte zwischen ihnen gab und jeder sein eigenes Leben führte.

      Am nächsten Morgen suchte Brink das Labor auf, um das Ergebnis des 4-D-Drucks zu begutachten. Obwohl der Computer meldete, dass der Druck erfolgreich verlaufen war, ersetzte die Grafikanimation nicht die Inaugenscheinnahme und den Test des fertigen Modells. Das künstliche Herz war mit verschiedenen Sensoren ausgestattet und sollte induktiv mit Energie versorgt werden. Die komplette Maschine war in einem einzigen Druckvorgang erschaffen worden.

      Brink öffnete die Haube und entnahm die knapp ein Kilogramm schwere Pumpe. Das fertige Produkt in der Hand zu halten, war auch nach Jahren noch ein besonderes Erlebnis für ihn. Das medizinische Gerät sowie das Herstellungsverfahren mussten nach den hausinternen Tests von einer unabhängigen Prüfstelle begutachtet werden. Auch darum hatte Stefan sich in der Vergangenheit gekümmert. Langfristig brauchte Brink einen Mitarbeiter oder einen Teilhaber, der ihm diese Arbeiten abnahm.

      Er betrachtete das Jobprotokoll auf dem Monitor, der neben dem Drucker stand. Die Fehlerliste zeigte keine Warnungen oder Besonderheiten an. Mit dem künstlichen Herzen in der Hand wandte er sich zum Gehen. Aus einem unerfindlichen Grund drehte er sich an der Tür noch einmal um. Vielleicht hatte er etwas gehört. Vielleicht aber war es ein siebter Sinn. Sein Blick wanderte zu den Fässern, die Chemikalien enthielten. Die Spinne! Er war sich sicher, dass sie gerade zwischen den Behältern verschwunden war. Dieses verdammte Ungeheuer war also immer noch hier! Wieso hatten Polizei und Spurensicherung es nicht entdeckt? In Brink stiegen erneut Angst und Ekel auf. Aber da war noch ein Gefühl, und es war stärker: ein unglaublicher Hass auf das Tier. Er war überzeugt, dass es das Unglück verursacht hatte, und sei es nur dadurch, dass es für Stefans Herzstillstand verantwortlich war.

      Brink zog die Schläuche ab, die das Material in den Drucker leiteten. Dann packte er das erste Fass, kippte es und rollte es beiseite. Genauso verfuhr er mit dem zweiten. Er wollte gerade ein weiteres bewegen, als das hässliche Monster zum Vorschein kam. Es floh nicht etwa, sondern krabbelte langsam auf ihn zu. Die roten Augen signalisierten Angriffslust. Brink hob seinen rechten Fuß. Er wollte das Tier mit seiner angesammelten Wut zerquetschen, doch er konnte seine Bewegung nicht zu Ende führen. Die Muskeln seines gesamten Körpers verkrampften sich. Der Atem setzte aus. Es gelang ihm noch, sich mit einer Hand am Tisch abzustützen. Dann sank er röchelnd zu Boden. Die Umgebung verschwamm vor seinen Augen, bis sie ihre Konturen verlor und sich in ein gleichmäßiges Schwarz verwandelte.

      3. Kapitel

      „Willkommen in unserem Verein!“ Sven Berger begrüßte den Neuankömmling. „Wie bist du auf uns gekommen?“

      „Suchmaschine, ‚unerklärliche Phänomene‘“, antwortete Fischer.

      „Okay. Nimm Platz. Wir duzen uns hier alle, einverstanden?“

      „Klar. Ich heiße Markus.“ Fischer setzte sich auf einen der Ledersessel und schlug die Beine übereinander. Sein Gegenüber tat das Gleiche. Berger war schätzungsweise Anfang vierzig, etwas korpulent und hatte schwarze, zurückgekämmte Haare.

      Fischers Blick schweifte kurz durch den Raum. Das Inventar sah wie eine Sammlung von Sperrmüllfundstücken aus. Er war ein wenig erstaunt, dass an den Wänden Bilder des Roswell-Zwischenfalls prangten, das Foto, das angeblich die Autopsie eines Außerirdischen zeigte, Zeitungsartikel und die Aufnahme eines Ufos. Berger schien seine Irritation zu bemerken und lachte.

      „Das mit Roswell war alles Quatsch. Mit solchen Sachen beschäftigen wir uns nicht. Was du siehst, drückt eher unseren Humor und unsere Selbstironie aus. Das bedeutet allerdings nicht, dass wir unsere Arbeit nicht ernst nehmen würden. Wir verschwenden unsere Energie aber nicht mit Verschwörungstheorien. Trotzdem wollen wir offen für Phänomene sein, die die etablierten Wissenschaftler nicht untersuchen, weil sie Angst haben, ihren Ruf zu verlieren. Die Angst ist weiter verbreitet, als man denkt. Wir versuchen, diese Schere im Kopf möglichst auszuschalten. Nur so kann man unbefangen an die Dinge herangehen und manchmal ungewöhnliche Erkenntnisse gewinnen. Du bist Physiker von Beruf?“

      „Ich hab theoretische Physik studiert, bin aber inzwischen Privatier.“

      „Privatier?“

      „Hab meinen Job verloren. Die Firma, für die ich gearbeitet habe, plante, in die Produktion von Rüstungsgütern einzusteigen. Da wollte ich nicht mitmachen. Meine Eltern haben mir ausreichend Geld hinterlassen, so dass ich ganz gut klarkomme. Ich bin jetzt zweiundfünfzig und suche keine neue Stelle. Wahrscheinlich würde ich in meinem Alter sowieso keine mehr finden. Aber vielleicht kann ich hier etwas Sinnvolles tun.“

      „Kannst du bestimmt.“

      „Schön. Den Mitgliedsantrag habe ich ausgefüllt. Zu Hause rumsitzen ist nichts für mich.“ Fischer strich sich über den kurzgeschnittenen, grauen Bart. Die ebenfalls weitgehend ergrauten Haare standen ihm wirr vom Kopf ab. „Ich hab keine Familie und keine Hobbys. Der Beruf hatte mich vollständig vereinnahmt. Natürlich könnte ich auch etwas Ehrenamtliches machen, aber ich kann nicht besonders gut mit Menschen umgehen, schätze ich.“

      „Ich denke, wir tun mit unserer Arbeit auch etwas für die Gesellschaft. Wir nehmen Mitbürger, die mit ihren Problemen an uns herantreten, ernst, hören sie an. Manchmal hilft das bereits. Eines unserer derzeitigen Projekte sind Wahrnehmungen tieffrequenter Geräusche in mehreren Städten. Das Brummen scheint echt zu sein, aber die Ursache konnten wir bisher nicht klären. Wir vermuten, dass die Töne geologischen Ursprungs sind.“

      „Das klingt interessant.“

      „Damit beschäftigen sich Fred und Michael. Fred ist Akustiker und Michael Physiker wie du. Na ja, du wirst noch alle kennenlernen. Einmal im Monat kommen wir zusammen und tauschen unsere Erfahrungen aus. Wir sind mit dir jetzt dreiundzwanzig. Jeder von uns hat sein Spezialgebiet. Unsere Mitglieder kommen aus den verschiedensten Berufen. Es sind zwar überwiegend Akademiker, aber wir verstehen uns auf keinen Fall als elitären Haufen.“ Berger grinste. „Hast du Angst vor Spinnen?“

      „Nee.“

      „Wir haben vor ein paar Tagen einen Fall reinbekommen. Angeblich ist eine Riesenspinne gesichtet worden, eine Art, die es bei uns gar nicht gibt. Jemand soll sich zu Tode erschreckt haben. Im wahrsten Sinne des Wortes. Er hat einen Herzschlag bekommen. Das Tier ist spurlos verschwunden. Vermutlich ist es irgendwie aus dem Ausland eingeschleppt worden. Allerdings weiß niemand, wie es an den Ort gelangt ist, an dem es gesichtet wurde. Es existiert sogar ein Foto von der Spinne. Wenn du willst, kannst du dich um das Projekt kümmern.“

      „Gerne.“

      „Ich gebe dir den Link zu den Unterlagen. Da steht alles drin. Die Vorgeschichte, Ansprechpartner und so weiter. Der Anruf kam von einer Nadja Linddorf.“

      Markus Fischer gefiel das Konzept des Vereins, der sich Akte Z nannte, und er war gespannt auf seinen ersten Fall. Er rief Nadja Linddorf an. Sie war sofort zu einem Treffen bereit und empfing ihn in ihrer Wohnung.

      Die zierliche Frau mit den schulterlangen, rotblonden Haaren schätzte Fischer auf Anfang vierzig. Sie hatte in seinen Augen das gewisse Etwas, das ihn sofort gefangen nahm, ohne dass er es hätte erklären können.

      „Danke, dass Sie gekommen sind“, sagte sie mit einem offenen Lächeln, als beide am Couchtisch Platz genommen hatten. „Sie wissen, worum es geht?“

      „Ich kenne nur das, was Sie uns mitgeteilt haben. Es geht um