Spielball ferner Welten. Gerd Kramer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerd Kramer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738099928
Скачать книгу
Im letzten Jahr hat er sogar an einem Marathonlauf teilgenommen.“

      „Gut. Dann sind wir vorerst fertig. Den Druckerraum werden wir versiegeln. Niemand darf hinein. Falls keine natürliche Todesursache vorliegt, wird die Spurensicherung hier tätig werden. Die Angehörigen des Toten müssen benachrichtigt werden. Hatte er Familie?“

      „Nur seine Eltern. Ich kann Ihnen die Adresse geben.“

      Brink konnte an diesem Abend nicht alleine sein. Er fuhr zu seiner Schwester, die nach ihrer Scheidung vor zwei Jahren vom Festland auf die Insel zurückgekehrt war und nur wenige Kilometer entfernt in einer Wohnung im Süden der Stadt wohnte. Sie war wesentlich älter als er und hatte bereits eine erwachsene Tochter, die in den USA studierte. Am Telefon hatte er nur Andeutungen gemacht. Die „große“ Schwester sah ihm sofort an, dass etwas Gravierendes passiert war.

      „Was ist los, Axel?“, fragte sie besorgt.

      „Stefan ist tot.“

      „Was?! Das ist ja … Was ist passiert?“

      „Ich weiß nicht. Da war eine Spinne.“ Er ließ sich auf die Couch fallen.

      Nadja setzte sich neben ihn und ergriff seine Hand. „Du zitterst ja. Was ist mit der Spinne? Ich verstehe nicht.“

      „Sie war im Labor, dort, wo unser neuer Prototyp steht.“ Er zog sein Smartphone aus der Tasche und zeigte ihr das Foto, das er geschossen hatte. „Im Bild ist ein Notizblock zu sehen. Der hat eine Seitenlänge von zehn Zentimetern. Daran kannst du erkennen, wie gigantisch das Viech ist.“ Brink schüttelte sich.

      „Vogelspinnen können so groß werden. Aber die sehen anders aus. Solch ein Tier hab ich noch nie gesehen. Das muss ich recherchieren. Hier in Deutschland ist es jedenfalls nicht zu Hause. Es kann höchstens eingeschleppt worden sein. Aber was hat die Spinne mit Stefan zu tun?“

      „Er wollte sie für mich beseitigen. Ich hab ein Gefäß besorgt. Als ich wiederkam, lag er am Boden. Ich hab versucht, ihn wiederzubeleben. Es war schrecklich. Notarzt und Polizei waren da.“ Er verbarg sein Gesicht in den Händen.

      „Woran ist Stefan gestorben?“

      „Der Arzt konnte es nicht feststellen. Deshalb ist auch die Polizei gekommen. Vielleicht war die Spinne giftig und hat ihn gebissen. Eine Schwarze Witwe oder so etwas.“

      „Die ist viel kleiner. Außerdem hätte der Arzt einen Biss feststellen müssen. Hat die Polizei das Tier eingefangen?“

      „Nein. Es ist verschwunden. Ich befürchte, dass es noch irgendwo in der Firma herumkrabbelt. Jetzt geht sowieso alles den Bach runter. Ohne Stefan schaff ich das alles nicht.“

      „Für die Firma finden wir eine Lösung, Axel. Was ihr entwickelt habt, ist großartig. Du darfst auf keinen Fall aufgeben. Aber darüber reden wir später. Jetzt musst du dich erst einmal von dem Schock erholen. Hast du schon etwas gegessen?“

      „Nur heute Morgen.“

      „Ich koche uns einen Kaffee, und ein Stück Kuchen von gestern ist auch noch für dich da. Schick mir bitte das Foto. Ich werde gleich mal nachsehen, ob ich die Spinnenart bestimmen kann.“

      Als sie am Esstisch saßen, recherchierte Nadja mit ihrem Smartphone im Internet.

      „So ein Exemplar gibt es nicht. Es ähnelt einer schwarzen Krabbenspinne, Xysticus lanio. Aber die ist wesentlich kleiner.“ Sie schüttelte den Kopf. „Bist du sicher, dass sie echt war? Keine Attrappe?“

      „Ich hab gesehen, wie sie sich bewegte. Außerdem ist sie verschwunden. Und sie hat Stefan umgebracht! Davon bin ich überzeugt. Vielleicht haben wir es mit einer Art zu tun, die noch niemand entdeckt hat, oder einer Mutation.“

      „Das ist ziemlich unwahrscheinlich, findest du nicht?“

      „Ja. Schon. Aber irgendeine Erklärung muss es geben. Du glaubst mir nicht?“ Brink stocherte in seinem Stück Käsekuchen herum.

      „Doch, ich glaube dir. Aber die Sache ist wirklich merkwürdig. Ich frag mal an der Universität nach. Ich hab noch Kontakte zu Leuten im Institut. Vielleicht wissen die mehr. Sieh du erst einmal zu, dass du wieder in Ordnung kommst, und kümmere dich um die Firma. Du magst meinen Kuchen nicht?“

      „Äh – der schmeckt hervorragend. Aber wenn ich an die Spinne denke, vergeht mir der Appetit.“

      „Das wird schon wieder.“ Sie tröstete ihn wie eine Mutter. Es machte ihm nichts aus. Daran hatte er sich seit seiner Kindheit gewöhnt.

      2. Kapitel

      Axel Brink ging die nächsten Tage nicht in die Firma. Der Tod seines Partners und Freundes hatte ihm die Energie für jedwede Aktivität geraubt. Dabei wären gerade jetzt wichtige Weichen zu stellen gewesen, um den Betrieb am Laufen zu halten. Er hätte die geschäftlichen Dinge regeln müssen, die ihm Stefan in den letzten beiden Jahren abgenommen hatte. Brink war der geniale Entwickler, Stefan der geniale Verkäufer. So hatten sie sich gegenseitig mit ein wenig Ironie gesehen, und, obwohl beide als Geschäftsführer eingetragen waren, war es Stefan gewesen, der die meisten Entscheidungen getroffen und die Kundenkontakte gepflegt hatte.

      Nadja hatte recht. Irgendwie musste es weitergehen. Schließlich hingen einige Arbeitsplätze an dem kleinen Unternehmen. Brink fühlte sich für die Angestellten verantwortlich. Außerdem musste er etwas tun. Es gab keinen Sinn, die Hände in den Schoß zu legen. Und vielleicht war die Arbeit genau das Richtige, um der depressiven Stimmung zu entkommen.

      Hauptkommissar Graf hatte ihn angerufen und informiert, dass das Labor wieder freigegeben war. Die Gerichtsmediziner hätten keine Anhaltspunkte für einen unnatürlichen Tod feststellen können. Sein Partner sei an Herzversagen gestorben.

      Brink beschlich ein ungutes Gefühl, als er das erste Mal nach den Geschehnissen wieder den Raum betrat.

       Sein Mitarbeiter Robert Schmitt aus der Werkstatt hatte die Kreidezeichnung auf dem Boden entfernt. Nichts erinnerte mehr an das Unglück. Bildschirm und Drucker verweilten im Stand-by-Modus. Brink öffnete die Haube, nahm das Testobjekt heraus und betrachtete es. In seiner Hand wuchs es, so weit mit bloßem Auge erkennbar, unter Beibehaltung der Form, genau auf die doppelte Größe an. Inwieweit die vorgesehenen Maße für den gewünschten Temperaturbereich exakt eingehalten wurden, mussten die genauen Untersuchungen zeigen. Bei dem Exemplar handelte es sich um ein Objekt, das keine konkrete Anwendung fand. Es diente lediglich als Kalibrierstandard zur Überprüfung des Druckverfahrens.

      Brink verbrachte fast den gesamten Arbeitstag im Büro, um einen Überblick über das operative Geschäft zu gewinnen. Ständig musste er dabei an Stefan denken, der das Ganze mit seiner lockeren Art bewältigt hatte. Er selbst hatte Mühe, sich in die Thematik hineinzudenken. Zum Glück kam Daniela, die Halbtagskraft, an vier Tagen in der Woche für mehrere Stunden. Sie kannte sich zumindest mit den Steuersachen und der Materialbeschaffung aus.

      Gegen Abend rief Brink das 4-D-Einrichtungsprogramm auf. Er hatte den Druck eines künstlichen Herzens vorbereitet. Nachdem er einige Parameter optimiert hatte, startete er den Druck. Der Job würde am nächsten Morgen fertig sein.

      Er verließ die Firma wie gewöhnlich als Letzter. Die Mitarbeiter Schmitt und Backmacher hatten um 16.00 Uhr Feierabend. Aber wenn es erforderlich war, blieben sie länger. Bei Engpässen standen sie ohne Murren auch an Wochenenden zur Verfügung. Doch zurzeit war das nicht erforderlich.

      Zu Hause angekommen, schob Brink eine Fertigpizza in den Backofen und setzte sich mit einer Flasche Bier vor den Fernseher. Es gab Fußball: Deutschland gegen Italien. Italien lag mit eins zu null in Führung. Er nahm seinen Tablet-PC auf den Schoß und wählte sich in das Firmennetz ein, um zu kontrollieren, ob der Druck ordnungsgemäß ausgeführt wurde. Es schien alles in Ordnung zu sein.

      Das Spiel war langweilig, und die Pizza schmeckte wie Pappe. Immerhin erzielte Deutschland kurz vor Spielende ein Tor, und die Mannschaften gingen mit einem Unentschieden auseinander. Im Grunde war