Medea. Ellen Groß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ellen Groß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844255843
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Buchte spontan einen Flug nach Paris. Doch anstatt sich in der Anonymität von Paris zu verkriechen, sank sie in die offenen Arme von Bruno Sagan, der ihr über den Weg lief.

      Marielena hat Alba bis zum heutigen Tag nicht wiedergesehen.

      Marielena kehrt in die Wirklichkeit zurück, zu Alba. Die ist immer noch beeindruckt von dem Appartement, besonders hat es ihr der Innenhof des Palazzo angetan, mit den Orangen- und Zitronenbäumen.

      In diesem Moment schaltet sich die indirekte Beleuchtung ein, was die Anlage noch stimmungsvoller erscheinen lässt. Alba wendet sich nun zur Straßenseite hin, durch die hohen Fenstertüren zur linken Seite sieht man das Colosseum und zur Rechten die Piazza Venezia.

      Sie setzen sich auf die Terrasse. Alba sieht berührt zum Forum Romanum hinüber, ehrfürchtig murmelt sie: „Che bella e Roma!“ Es klingt, als ob sie Roms Heiligstes zum ersten Mal sähe. Marielena ist verwundert, so sentimental kennt sie Silvios Mutter nicht.

      Alba greift in die Tasche, stellt eine Flasche Prosecco auf den Tisch. „Aus unserem Weinkeller in Frascati“, hebt sie stolz hervor.

      Marielena beunruhigt Albas artiges Benehmen; sie sehnt Silvio herbei, doch der ist noch nicht aus Mailand zurück.

      Alba öffnet geschickt die Flasche. Erhebt das Glas: „Salute Marielena“, sagt sie etwas betreten. Marielena erwidert lammfromm, was bleibt ihr auch anderes übrig: „Grazie, Signora Alba, für ihren Besuch.“ Alba nickt kaum wahrnehmbar mit dem Kopf, das Glas immer noch in der Hand: „Marielena, ich habe dir in den letzten Jahren das Leben nicht leichtgemacht.“ Hält inne, blickt nachdenklich vor sich hin, dann fährt la Signora fort: „Wenn du selbst einmal Kinder hast, was ich hoffe, wirst du feststellen, dass man für seinen Sohn nur das Beste wünscht.“ Alba hält Marielena ihr Glas entgegen: „Ich möchte dir das Du anbieten.“ „Alba“, sagt Marielena, aus dem Konzept gekommen. Ihre Augen bekommen einen sichtlichen Glanz, nicht weil sie Alba von jetzt auf gleich lieb hat, nein, eher aus Rührung oder besser – Sentimentalität.

      Nachdem Marielena die Sprache wieder gefunden hat, kann sie es nicht lassen, nachzufragen, was die plötzliche Veränderung bewirkt habe.

      Marielena kennt Silvios Mutter gut genug, um bedenkenlos an ihren Worten Gefallen zu finden.

      „Figlia mia, meine Tochter“, wiederholt sie etwas atemlos. Ich brauchte eine Weile, um einzusehen, dass du zu uns gehörst. Ich glaube nicht, dass Silvio mir noch eine andere Schwiegertochter bringen wird, denn er liebt dich sehr, basta.“ Marielena setzt ein hintergründiges Lächeln auf, sagt sich, bevor ich nicht über Albas unerwartetes Entgegenkommen den wahren Grund herausgefunden habe, werde ich auf der Hut sein. In einem freundlich geneigten Ton bedankt sich Marielena für das Vertrauen – prostet Alba wohlwollend zu.

      Marielena fragt, wie es ihrer Tochter Laura gehe.

      Da verändern sich Albas Gesichtszüge. „Meine Liebe“, beginnt sie traurig, „was mache ich nur falsch? Ich habe das Vertrauen meiner Kinder verspielt, außer Silvio sind alle gegen mich“, gesteht sie besorgt. „Laura hatte sich an Weihnachten von ihrem Mann Adolfo getrennt.

      Und in diese Woche ist sie, gegen meinen Willen, zurück zu ihm gekehrt. Silvio hat seine Schwester darin bestärkt. Er findet, dass die Kinder den Vater brauchen.“ Ruhig hört Marielena zu, sie weiß, dass Alba niemanden hat, bei dem sie sich ausweinen kann. „Laura ist durch die Therapie, die sie im Winter gemacht hat, eigenständiger geworden. Den Beruf als Sommelier will sie beibehalten. Adolfo hat sie zum Hausmann ernannt, was kein Verlust für die Finanzwelt ist, denn ein erfolgreicher Banker war er nicht.“ Bei dem Gedanken an den eleganten Adolfo als Hausmann muss Marielena lachen und Alba stimmt mit ein.

      „Auch Roberto ist ein Sorgenkind, mit seiner Homosexualität habe ich meine Last“, seufzt Alba. „Warum ist der Junge nicht veranlagt wie sein Bruder Silvio, frage ich dich?“ Bei allem Respekt, Roberto ist Marielenas Freund, hier muss sie eingreifen: „Alba, es ist keine Kunst, einen Sohn liebzuhaben, der sich in deine Vorstellung einordnet.“ Albas dunkle Augen weiten sich, doch Marielena lässt sich nicht einschüchtern.

      „Roberto erwartet von dir, dass du ihn annimmst, wie er nun mal ist, um nicht zu sagen, er setzt es voraus. Seine Veranlagung ist sein Leben, ein Leben, das du ihm geschenkt hast.“ Alba findet nur mühsam die Fassung wieder. „Die Lektion, meine Liebe, ist bei mir angekommen, die muss ich erst einmal verdauen. Roberto kann froh sein, eine Freundin wie dich zu haben.“ Marielena fährt, ob es Alba passt oder nicht, im Szenario der Familie Amato fort. „Da haben wir, cara Alba, noch Paula.“ Alba unterbricht sie amüsiert: „Na gut, beenden wir mit dem Enfant terrible unserer Familie dieses Beisammensein.“ Marielena fährt unbeirrt fort: „Paula ist eine Rebellin in der Pubertät, die dich gerne provoziert, weil sie deine Aufmerksamkeit – auch dein Verständnis braucht.“ Alba wird jetzt nachdenklich: „Du hast ja recht, nach dem Tod meines Mannes glaubte ich, alles gut machen zu müssen. Marco, mein Mann, war in meinen Augen vollkommen, ich wollte sein wie er. Silvio erinnert mich sehr an seinen Vater.“ „Alba, deine Kinder müssen ihre eigenen Erfahrungen machen, ihren Weg finden. Sie können nicht alle Silvio nachschlagen, das musst du akzeptieren.“ „Marielena, du gibst mir heute allerlei zum Nachdenken mit auf den Weg.“ Alba bricht beschwingt auf. „Wir sehen uns am Wochenende auf Capri. Vergiss Silvios Geburtstag nicht.“

      Spät in der Nacht kommt Silvio von der Reise zurück. Marielena geht ihm entgegen, ihr gefällt, was sie sieht. Hinter seiner unnahbaren Fassade verbirgt sich ein sensibler Mann. Silvio ist ein Liebhaber, der höchste Lust erlebt, wenn Marielena glücklich ist. Oft trennt man sich von einer Liebelei und achtet dann den Partner eher.

      Die Gedanken an Bruno legt sie, „es war einmal“, ab, um sie verblassen zu lassen. Für einen Moment geht ihr ernsthaft die Frage durch den Kopf, ob sie bei klarem Verstand war, Bruno überhaupt in Erwägung gezogen zu haben.

      Silvio fällt aus allen Wolken, als er von dem Besuch seiner Mutter hört. „Warum warst du so verbindlich?“, fragt er verwundert. „Bei all dem, was sie dir in den letzten Jahren zugemutet hat.“ „Sie ist nun mal deine Mutter, Alba sehnt sich immer noch nach deinem zu früh verstorbenen Vater, das hat sie etwas gnadenlos werden lassen.“ Silvio nimmt sie liebevoll in die Arme. „Weißt du“, fährt Marielena fort, „man sollte im Leben Veränderungen nicht im Wege stehen.“ Sie geht nun im Zimmer auf und ab. Die zu ihr gehörende italienische Gestik mit dem typischen Hang zur Übertreibung liegt im Blut, ihre Jugend war von Einsamkeit geprägt, deshalb gibt Marielena ungern etwas von sich preis.

      „Ich bin zwischen Italien und Deutschland aufgewachsen. Die Eltern lebten ihr Leben, sie liebten sich sehr, mich schickte man hin und her, auf verschiedene internationale Schulen in Rom und Berlin. Eine ständige Aufbruchstimmung beeinflusste meine Kindheit.“ Silvio hört ruhig zu, denn Marielena hat bisher wenig von ihrer Familie erzählt, er weiß nur, dass ihr Vater ein bekannter Rechtsanwalt in Rom war und die Mutter eine gebürtige Berlinerin.

      „Als meine Eltern auf dem Weg von Rom nach Berlin leider tödlich verunglückten, war ich untröstlich, denn es waren noch so viele Fragen offen. Ich wusste zu wenig über sie“, gesteht Marielena. „Ein besseres Bild konnte ich mir von ihnen machen, als ich einen Packen Briefe und das Tagebuch meiner Mutter von Frau Käthe, meiner Großmutter aus Berlin, bekam. Da erst wurde das Leben meiner Eltern für mich transparenter. Außer Nonna Käthe habe ich keine Verwandten mehr – wenn ich es genau nehme, hatte ich nie eine richtige Familie.“ Marielena setzt sich neben Silvio, ergreift seine Hand. „Die Amatos sind weiß Gott nicht das Idealbild einer Familie – jedoch gewöhne ich mich langsam an sie! Wo gibt es, frage ich dich, eine beispielhafte Sippe?“ Silvio ist gerührt, er kann seine Emotionen nur mühsam verbergen.

      „Würdest du mich heiraten?“, fragt er übergangslos. Mit Tränen in den Augen bejaht sie seinen Antrag, nur mit einem Nicken.

      „Dann lass uns morgen auf Capri nicht nur meinen Geburtstag sondern auch unsere Verlobung feiern“, flüstert er überglücklich.

      6.

      Der Golf von Neapel liegt malerisch schön in der Sonne. Im Meer reflektieren Licht und Wellen.