Medea. Ellen Groß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ellen Groß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844255843
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Lichtfülle, die auf Amedeo gerichtet ist, zieht immer größere Kreise, wird nun verstärkt, sodass er geblendet zur Seite sieht.

      „Da ist sie!“, deutet Roberto mit einer Kopfbewegung zu der Dame hin, die jetzt im Rampenlicht erscheint. Die Präsidentin, Geschäftsführerin des Unternehmens, Margareta di Positano, hält die Arme hinter dem Rücken verschränkt, blickt ohne Anstrengung, herausfordernd, in das grelle Licht der Scheinwerfer, ohne Scheu.

      „Santa cielo“, ruft Marielena leise aus und wiederholt sich, „heiliger Himmel, was für eine Frau!“ „Tja“, äußert sich Roberto einsilbig, in seinem Gesicht liegt Wehmut.

      „Roberto, weshalb ist Amedeos Mutter, Margareta di Positano im Management des Unternehmens tätig?“ Roberto versucht die familiären wie die beruflichen Zusammenhänge der Positanos, Marielena nahe zu bringen.

      „Margareta aus der Firmenleitung heraus halten? – Nein! Das wäre undenkbar. Die Präsidentin hält die Zügel fest in der Hand, nimmt sich die Freiheit, nach ihren Regeln das Unternehmen und den Sohn zu leiten, um nicht zu sagen, zu beherrschen. Margareta ist das unabwendbare Problem in Amedeos Werdegang. Sie hat ihn daran gehindert, jemand zu werden, der auf eigenen Füßen stehen kann“, fasst Roberto das komplizierte Leben des Amedeo di Positano in einfache Worte.

      „Ja, manchmal pressen Familienbande einen in Schubladen, in die man nicht passt“, geht Marielena auf Roberto ein.

      „Den Grundstein des Erfolgs“, fährt Roberto fort, „legte die Präsidentin, indem sie praktischerweise in eine Satoria einheiratete.“ „Wieso in eine Schneiderei“ fragt Marielena überrascht.

      „Ja, Amedeos Vater besaß eine Satoria. Margareta bestand darauf, dass aus dem künstlerisch ambitionierten ragazzo Amedeo ein Schneider und Mann von Welt wurde.“ „Dieser Frau sieht man an, dass sie eine Kämpferin ist – ihr ausgeprägter Siegeswille ist bestechend“, nimmt Marielena Margareta di Positano ins Visier. „Was ist es, das einen Menschen zu einem Giganten seiner Zunft werden lässt?“ Ohne Robertos Antwort abzuwarten: „Talent natürlich, Fleiß ganz gewiss, aber auch immens viel Glück. Doch es muss mehr sein“, grübelt sie weiter. „Ich glaube, Leidenschaft ist das Zünglein an der Waage.“ „Leidenschaft“, erwidert Roberto, „hat Amedeo hinreichend.“ „Ist Amedeo dein bester Freund?“ „Ja, das ist er! Abgesehen davon, dass wir uns von Kindheit an kennen, haben mich sein überaus künstlerisches Talent, seine liebenswerte Art und Bescheidenheit immer tief beeindruckt.“ Roberto holt tief Luft. „Margareta hat an Amedeos Erfolg immer geglaubt und sich dafür eingesetzt, irgendwann mit dem Sohn an der Spitze zu stehen. Was Entbehrung und harte Arbeit bedeutete.“ „Das hört sich an, als wären Selbstzweifel Margareta fremd.“ „Marielen...“, weshalb nur verschluckt man in Italien gerne bei vertrauten Personen, Vokale und Konsonanten, denkt Marielena abgelenkt. Roberto spricht weiter, „sie weiß, dass sie gut ist! Diese Gewissheit strahlt sie nicht nur aus, die nutzt sie auch für sich aus.“ „Die Präsidentin“, nickt Marielena, „hat sich durch den Sohn selbst verwirklicht! Und dadurch einen Platz in der Gesellschaft errungen.“ Margareta di Positano tritt nun vor das Mikrofon.

      „An dieser Frau scheiden sich die Geister“, flüstert jemand von hinten.

      Margareta macht in ihrer Ansprache die Gäste neugierig auf Amedeos jüngste Kreationen. Selbst ihr wäre es nicht erlaubt gewesen, die Haute Couture Modelle des Sohnes vorher zu sehen – ihm gehe es nur, wie Amedeo betonte, bei dieser Kollektion um frivole Eleganz, beteuert die Präsidentin siegessicher.

      Nach der Show ist die Welt der Mode in Bewegung, die Branche steht Kopf, ist fassungslos. Denn Amedeo hat alle Stilregeln gebrochen.

      Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, Beifall zu spenden, flüstert Marielena Roberto zu, das hier war verhalten. Aber auch höhnisch hält Roberto besorgt fest. An stehende Ovationen ist gar nicht zu denken.

      „Zu viele Rüschen, zu hohe Frisuren und zu schwere Roben. Um es mit einfachen Worten auszudrücken“, äußert sich eine Journalistin hinter vorgehaltener Hand. „Koketterie verbrämt mit Kitsch.“ „So, als wenn Marie Antoinette ihre üppigen Röcke rafft, um sich in einen Transvestiten zu verwandeln“, meint ein anderer Zyniker der schreibenden Zunft.

      Der Skandal der Saison hat einen Namen – Amedeo di Positano.

      Eine in rosa Organza gehüllte Amerikanerin findet, dass Amedeo mit seinen Rüschen und Reifröcken die Frau von heute beleidigen wolle. „Das sollen die Trends für den kommenden Sommer sein“, ruft sie fassungslos aus.

      „Mode will getragen und verkauft werden“, mischt sich eine Italienerin in den Disput ein, „an den Export hat er wohl nicht gedacht.“ Es sind desillusionierte Kunden, die ihrem Herzen Luft machen.

      Mit dieser Kollektion wird er großes Aufsehen erregen in der Branche – und das nicht nur im positiven Sinne. Darüber ist sich die Fachwelt einig.

      „Amedeo“, findet Roberto mit gedämpfter Stimme, „ist eben immer für eine Überraschung gut.“ „Mir scheint, er hat in die Archivkiste des 18.Jahrhunderts gegriffen“, sagt Marielena herablassend.

      Tout le mond drängt sich nach der Show hinter die Kulissen, um den Exzentriker zu begrüßen. Obwohl es kein Erfolg war, tänzeln alle ergeben um Amedeo herum. Heucheln ist für den Jetset – oder wie man auch ironisch sagt, „gauche-caviar“, ein Evangelium.

      Models, Fotografen und Modejournalisten stehen mit einem Aperitif in der Hand wie Skulpturen da. Virtuos säuseln sich die Kosmopoliten den neuesten Klatsch ins Ohr. Der Kauderwelsch verschiedener Sprachen, hört sich an, wie eine künstliche Weltsprache.

      Es ist obskur, nimmt Marielena das Modevolk unter die Lupe, wie sie ohne Ausnahme ihr extrovertiertes Gehabe zelebrieren. Marielena und Roberto verfolgen mit Distanz das Spektakel.

      Die Präsidentin steht neben ihrem Sohn. Mit eingefrorenem Lächeln macht la Signora gute Miene zum bösen Spiel.

      „Wie war es möglich, dass vor den Augen von Margareta sich so ein Debakel anbahnen konnte?“ „Ich weiß es nicht!“, Roberto schüttelt betrübt den Kopf. „Ich bin schon seit geraumer Zeit um Amedeo besorgt! Er ist in letzter Zeit rebellierend und versessen auf Eigenständigkeit. Diese Kollektion sollte nach dem aktuellen Trend der Saison eine Renaissance des Purismus werden.

      Doch das hier Gezeigte ist das Gegenteil und kann ihn in den Ruin führen. Bisher hat sich Amedeo um die Verantwortung im Unternehmen nie bemüht. Das Kaufmännische erledigt bisher seine Mutter für ihn. Diese Entmündigung kam ihm einerseits gelegen, weil es bequem ist.“ „Anderseits“, beendet Marielena Robertos Satz, „hat das sein kreatives Schaffen beeinträchtigt.“ „Du bringst den Irrwitz auf den Punkt. Weshalb, frage ich dich, buhlt er ausgerechnet jetzt auf so bizarre Weise um Selbstbestimmung? Was oder wem will er damit etwas beweisen?“ Darauf hat Marielena auch keine Antwort, nicht einmal eine Vermutung parat. Seit geraumer Zeit fällt ihr auf, dass Amedeo sie nicht aus den Augen lässt. Der Maestro verlässt nun seine Mutter und kommt auf Roberto und Marielena zu.

      „Madame“, das Haupt neigend, begrüßt er Marielena. „Mein Lieber, wer ist diese bezaubernde junge Dame?“ „Marielena ist die Freundin meines Bruders Silvio, Dottoressa Marielena Floris, Kriminalpsychologin bei der Europol Rom“, stellt Roberto sie vor. „Oh, das sind Sie, dann habe ich schon viel von Ihnen gehört. Denn Sie sind der Gesprächsstoff zwischen meiner Mutter“, dabei zeigt er auf die Präsidentin, „und Signora Alba, seiner Mutter“ – und weist auf seinen Freund Roberto hin.

      „Marielena, wie gefiel Ihnen die Show?“ Er blickt ihr dabei ironisch lächelnd in die Augen. „Ich fand sie gewagt“, antwortet Marielena.

      „Nein, meine Liebe – sie ist visionär! Mode ist eine Geisteshaltung! Sonst wäre die Welt farblos. Jeder hat seine Glückstage, gestaltet so gut er kann“, flüstert Amedeo ihr ins Ohr. Es klingt, als würde er ihr ein Geheimnis anvertrauen. Er kokettiert! Marielena nimmt dem Designer nicht ab, dass er sich diesen Unsegen des heutigen Abends nicht eingestehen will. Oder, fragt sie sich, war es Absicht? War das Fiasko von Amedeo mit Bedacht geplant? Ich könnte es mir vorstellen.