Medea. Ellen Groß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ellen Groß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844255843
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umarmt sie zärtlich, berührt dankt er ihr für die Fürsprache. Denn seit seinem Rausschmiss vor einigen Jahren bei der Europol Paris, wo man ihn suspendiert hat – mit der Aberkennung des Dienstgrades Capitano, konnte er nur noch als freier Mitarbeiter bei der Europol einspringen. Was ihn natürlich sehr mitgenommen hat. Der Grund für die Degradierung war, dass er nach dem Tod seiner Frau nicht mehr er selbst war. Alkohol und Drogen waren damals seine ständigen Begleiter.

      Marielena und Jacques verlassen die Bar und trennen sich. Denn Jacques Weber muss zum Airport, morgen ist sein erster Arbeitstag in Rom.

      Er folgt Marielena mit den Augen. Marielena ist eine selbstbewusste, tüchtige Frau, oder wie die Italiener so schön sagen: Una donna in gamba. Jacques Weber lächelt vor sich hin, Marielena geht meist kompromisslos ihren Weg, auch wenn man nicht verhindern kann, dass sie die eigenen Weisungen schnell über Bord wirft. Ich glaube, denkt Jacques beruhigt, um Marielena muss ich mir nicht allzu viele Sorgen machen. Jacques geht zu Fuß bis zur Pont-Neuf, hält ein Taxi an und braust gestikulierend an Marielena vorbei.

      Marielena freut sich auf die Zusammenarbeit mit Jacques Weber in Rom. Sie weiß, dass sie sich auf ihn verlassen kann. Er ist ein herausragender Spezialist und ein liebenswerter Freund. Obschon ihre Freundschaft etwas überschattet wird, denn Jacques ist seit Jahren in Marielena verliebt. Eine Liebe, die sie nicht erwidern kann.

      2.

      Der graue, wolkenverhangene Himmel öffnet sich, die Sonne dringt durch die Wolkendecke. Marielena kauft sich einen Café au lait.

      Auf einer Parkbank am Seineufer genießt sie das Flair von Paris.

      Still, kaum hörbar trippelt eine Schar von Sperlingen heran, bis vor ihre Füße. Ohne Scheu blicken die kleinen Wichte mit runden dunklen Augen fragend zu ihr auf, in der Hoffnung, etwas Genießbares zu erhaschen.

      Sie rühren Marielena an.

      Doch mit einem Mal dringt ein schriller Klingelton gnadenlos ein und stört ihre Besinnlichkeit. Am Telefonino ist Roberto – Silvios Bruder hat erfahren, dass Marielena sich in Paris aufhält. Er fragt, ob sie ihn heute Abend zu einem Modeevent, von Amedeo di Positano begleiten möchte. Marielena willigt gerne ein.

      Roberto ist ein Mann, der mit eiserner Stirn, gestählt durch den ständigen Kampf mit seiner Mutter, seinen Weg geht. Signora Alba hat mit straffer Hand die Familie Amato im Griff und verlangt, dass die Brut nach ihrem Diktat lebt. Mit Bedacht geht Alba nur mit Silvio, ihrem Erstgeborenen, um. Seit einigen Monaten ist Roberto Amato der Rechtsanwalt des weltberühmten Designers Amedeo di Positano. Was einige Konflikte ausgelöst hat, denn die Präsidentin des Modeunternehmens, Margareta di Positano, lehnte Roberto wegen seiner gleichgeschlechtlichen Neigung ab, schon deshalb, weil ihr Sohn Amedeo auch homophil veranlagt ist. Doch Amedeo setzte sich durch – ernannte seinen Jugendfreund zum Anwalt des Hauses di Positano.

      Marielenas Gedanken schweifen ab zu Bruno. Sein Hausboot liegt nicht weit entfernt. Die Abendsonne spiegelt sich in der Seine, durch das Berühren von Wasser und Sonne kommt es zu einem stimmungsvollen Wechselspiel, das zum Träumen einlädt. Das könnte die Stunde null sein, der Neubeginn ihrer Liebesbeziehung. Ganz und gar nicht – zügelt sie sich. Hast du schon vergessen, wie viel Chaos Bruno in dein Leben im letzten Winter gebracht hat. Schrecklich! Diese Beziehung verlieh mir Flügel – kurz darauf zog sie mich nach unten. Der erste Blick in Brunos Augen stimulierte und wärmte mich auf wie ein Glas Bordeaux – ich spürte sein Begehren.

      Marielena erhebt sich und geht in Richtung Hausboot. Sie ist befangen. Bruno versteht es, sie zu verunsichern. Sie zweifelt, ist irritiert, je näher sie dem Boot kommt.

      Begrüß ihn, stimuliert sie sich.

      Nur Mut! Jedoch sie hält sich zurück.

      Muss ich Distanz wahren? Bruno Sagen ist immerhin ein Kollege in einem höheren Rang. Nein, ganz und gar nicht, findet sie. Bruno ist schwer zu durchschauen. Erinnerungen machen ihr zu schaffen, sie legte im letzten Winter zu viel Hoffnung, Sehnsucht, die eine oder andere Illusion in diese Begegnung. Sie liebten sich leidenschaftlich. Über alles sprachen sie, nur nicht über ihre Beziehung.

      Liebe, Leidenschaft und Geheimnisse, das alles kann Bruno mit Gesten und Mimik andeuten. Ohne Worte: was zum Spekulieren einlädt, doch oft in die Irre führt. Natürlich hat sie nur eine Sache im Kopf – in seinen Armen zu liegen! Sehnsucht kann tiefgreifend sein. Ein Zustand, der durch ein unerfülltes Gefühl sich entfaltet. Diese Erkenntnis, Psicologa, ist so banal, dass es nicht lohnt, sich dafür herumzuplagen. Charmanten Vagabunden muss man sich entziehen, selbst wenn es schwerfällt, sich treu zu bleiben, redet sie sich ins Gewissen. Bruno Sagan ist ein Mann, der Angst vor Vereinnahmung hat. Der sich gerne zwischen Nähe und größtmöglicher Distanz bewegt. Nach dieser bewussten Nacht, erinnert sie sich, kehrte am nächsten Tag abrupt der Alltag ein. Beim Abschied, im Pariser Winter, bemerkte sie in Brunos Augen eine herzlose Leere.

      Er hat sich in all den Monaten nicht gemeldet, kein Anruf, nicht einmal ein Brief – nichts. Ohne sich Bruno zu zeigen, verlässt Marielena das Seineufer, streift ziellos durch die Straßen von Paris.

      Am Place Pigalle herrscht buntes Treiben. Frauen in traditionellen afrikanischen Gewändern geben dem Straßenbild ein exotisches Flair. Der Duft von gebratenem Lamm und Couscous steigt Marielena in die Nase. Nun weiß sie, was sie in diesem Moment am liebsten möchte – Gelüste stillen.

      Unter der Tür des Restaurants Kairo steht ein wohlbeleibter Mann. Er trägt einen imposanten schwarzen Schnurrbart und einen roten Turban. Der Empfangschef verneigt sich ergeben vor Marielena, diese einladende Geste animiert sie zum Eintreten. Essen und Trinken, predigt ihre Berliner Großmutter Käthe zu jeder Gelegenheit, hält Leib und Seele zusammen. Da hat Nonna Käthe ausnahmsweise recht.

      Nach dem Essen geht Marielena gestärkt in ihr Hotel, um sich für den Abend mit Roberto aufzuputzen.

      3.

      Die Medien berichten schon seit Tagen: Am Montagabend wird Paris leuchten, die Welt auf die Mode-Metropole blicken! Was für ein Spektakel, denkt Marielena. Sicherheitschecks wie auf dem Airport. Fotografen verdichten sich zu einem meterlangen Wall, buhlen auf dem roten Teppich um die Aufmerksamkeit der Prominenz.

      Die Kreativszene spielt am Brennpunkt der Eitelkeit exzessiv, erwähnt ein Paparazzo ironisch.

      Die Kronleuchter und Marmorböden blinken. Mädchen mit weißen Schürzen servieren Champagner. Die Plätze sind limitiert, man weist Marielena und Roberto Stühle in der letzten Reihe an.

      Ob man bei dem Spektakel sich wie ein VIP oder überflüssig vorkommt, ist eine Frage des Selbstvertauens, flüstert Marielena ironisch.

      „Der Beginn der Show verzögert sich“, sagt eine nervöse Frauenstimme durch den Lautsprecher an: „Eine internationale Modejournalistin wird sich leider verspäten.“ Amedeo di Positano, in schwarzem Cape und Hut, eilt fast unbemerkt die hinteren Reihen entlang in die Kulissen. Nun werden sofort die Lichter gedimmt. Die Sfilata kann beginnen. Marielena ist neugierig auf die Show. Als der Vorhang sich öffnet, tritt unter tosendem Applaus Amedeo di Positano ins Rampenlicht. Verneigt sich scheu – sein murmelndes „merci“ ist kaum zu hören. Fahrig greift er immer wieder in die langen Haare. Die illustre Gesellschaft der ersten Reihe erhebt sich aus Respekt vor dem Maestro von den Stühlen. Konzentriert, aber viel zu schnell, in fließendem Französisch, heißt er die Gäste willkommen. Der Applaus berührt ihn. „Merci“, bringt er nur mühsam hervor.

      „Du musst doch zugeben“, flüstert Roberto, „allein der Name Amedeo di Positano beeindruckt alle.“ Amedeos Wangen sind weich und ausgezehrt. Ein Schimmer von Bart profiliert sein Gesicht. Nicht zu übersehen ist die Melancholie, die ihn umgibt. Er geht seltsam betreten über den Laufsteg, so, als wäre er hier fehl am Platze.

      „Wie gefällt dir Amedeo di Positano?“, fragt Roberto Marielena.

      „Man kann diesen Mann schwer einordnen. Attraktiv…? Nein, ist er nicht! Die Augen sind zu dunkel in dem blassen Gesicht. Er wirkt sehr unerotisch, wenn er die Brauen angestrengt nach oben zieht.“ „Die Aufregung vor