Kapitel 5
Sophie erwartete ihren Gemahl mit sauertöpfischer Miene. Wie konnte er es wagen, sie wie eine Magd zu sich zu befehlen? Wo blieb er überhaupt? Was hielt ihn so lange auf? Als ihr Gemahl eintrat, wollte sie schon zu einer Tirade ansetzen, aber der seltsame Gesichtsausdruck Albrechts hielt sie davon ab.
„Was ist? Hast du ein Gespenst gesehen, weil du so seltsam schaust?“
„Ich wünschte, es wäre nur das gewesen“, antwortete der Markgraf. „Gerade habe ich einen Brief erhalten, den ein Vertrauter mir schickte. Heinrichs Befehle waren wohl eindeutig. Dieser Hurensohn hat es doch tatsächlich gewagt, mir, einem der mächtigsten Fürsten des Heiligen Römischen Reiches einen Aufpasser hinterher zu schicken.“ Albrecht atmete schwer. Ein kaltes Lächeln, das seine Augen nicht erreichte, stahl sich über sein Gesicht. „Es ist ihm nicht gut bekommen.“
Sophie sah ihren Mann entsetzt an. Sie brauchte nicht zu fragen, wem etwas nicht gut bekommen war. Sie kannte das aufbrausende Naturell ihres Gemahls. Dennoch fragte sie leise: „Was hast du getan?“
„Ich habe ihn blenden lassen.“
Sophie keuchte entsetzt auf. „Das wird dir der Kaiser nie verzeihen, Albrecht. Wie konntest du nur? Willst du uns alle endgültig ins Unglück stürzen? Reicht es dir nicht, dass Heinrich dich bereits in Ungnade hat fallen lassen, willst du, dass er dir das Lehen entzieht, dass er dich davonjagt, wie einen räudigen Hund?“
„Das wird er nicht wagen. Noch stehen mächtige Fürsten an meiner Seite. Der sächsische Herzog Bernhard, mein Vetter, Markgraf Otto von der Ostmark…“ Die Stimme Albrechts wurde immer leiser, gerade so, als würde er selbst nicht recht überzeugt sein, dass die Genannten ihm zur Seite stehen würden. Gerade war er noch so voller Optimismus gewesen, dass er die Angelegenheiten in den Griff bekäme, war ihm der Gedanke mit dem jungen Lichtenwalde als die ideale Lösung erschienen. Aber vielleicht hatte er ja später noch „Verwendung“ für den Burschen.
Sophie konnte nicht glauben, was Albrecht ihr da erzählte. Sie hatte ihn gewarnt, sich am Reichsgut zu vergreifen. Doch Albrecht in seinem Jähzorn hatte sich nicht damit zufriedengegeben, mit seinem Bruder um das Erbe zu streiten, nein, er musste auch den Kaiser bedrohen und sich dessen Güter, die sich auf dem Gebiet der Mark Meißen befanden, bemächtigen. Das musste natürlich den Zorn der Reichsministerialen hervorrufen, deren Aufgabe es war, den kaiserlichen Besitz zu wahren und zu verteidigen. Nun hatte Albrecht einen dieser mächtigen Staatsdiener gefangengenommen und blenden lassen. Das würde ihm Heinrich nicht durchgehen lassen. Zudem wurde er auch noch erneut von seinem Bruder bedrängt, der zusammen mit dem Landgrafen von Thüringen vor den Toren Meißens stand und die Stadt schwer attackierte.
Gerade setzte er dazu an, Sophie auch das zu beichten, als es zaghaft an die Tür klopfte. Ein Diener steckte unaufgefordert den Kopf herein und schaute seinen Herrn herausfordernd an.
„Was willst du? Du besitzt die bodenlose Unverschämtheit hier hereinzukommen, ohne dass ich dich dazu aufgefordert hätte. Das lasse ich nicht ungestraft durchgehen.“ Albrecht war kurz davor, vor Wut zu schreien und seine Wachen herbeizurufen, die den Frechling in den Kerker bringen sollten. Auspeitschen lassen wollte er ihn, endlich hatte er etwas, woran er seine Wut abreagieren konnte. Doch kaum hatte er den Mund zum Rufen geöffnet, unterbrach der Diener ihn. „Draußen steht ein Bote. Er kommt vom Bischof von Prag. Er will unverzüglich mit Euch sprechen. Meißen ist erobert. In der Stadt wütet das Chaos.“ So schnell, wie er gekommen war, verschwand der Lakai wieder, bevor ihn Albrecht weitere Fragen stellen konnte.
Sophie stieß einen entsetzten Schrei aus. Nun war es geschehen. Alle Welt hatte sich gegen sie verbündet. Was sollte nun werden? Ihre Familie konnte ihr nicht helfen. Sie hatten ihre eigenen Sorgen in ihrem Kampf um die böhmische Königskrone. Und dass jetzt auch noch Bischof Heinrich von Prag in Meißen einmarschierte, zeigte ihr, wie tief der Markgraf beim Kaiser in Ungnade gefallen war.
„Ich werde alle meine Streitkräfte zusammenziehen und meinem Bruder und seinen Busenfreunden entgegentreten.“ Die Stimme des Grafen riss Sophie aus ihren Gedanken.
„Und wie willst du das machen, nachdem wir hier eingeschlossen sind? Willst du deine Flügel ausbreiten und hinausfliegen, um deine Vasallen zu mobilisieren? Oder willst du dich durch den Latrinengraben schleichen, vorbei an den Feinden? Sicher ist der Burggraf auch schon auf Seiten des Kaisers. Oh, Albrecht, wie weit hast du es kommen lassen?“
Wütend drehte Albrecht sich zu ihr um. „Nicht ich war es, der damit angefangen hat, sich um die Mark Meißen zu streiten. Es war meine unselige Mutter. Sie hat sich vom Engelsgesicht meines kleinen Bruders blenden lassen, wollte von Anfang an für ihn die Markgrafenkrone. Sag mir, was habe ich getan, dass meine eigene Mutter mich so hasst? Warum nur hat mein Vater zugelassen, dass sein ältester Sohn so gedemütigt wurde und dem Gespött des Reiches zu Opfer fiel!“
„Vielleicht ist es deine Gier, immer alles besitzen zu wollen, dein Hang, über andere zu bestimmen“, sagte Sophie leise.
Albrecht starrte Sophie überrascht an. So hatte sie noch nie gewagt, mit ihm zu sprechen. Doch die Gräfin ließ sich von seinem Blick nicht beirren. Mit kräftigerer Stimme fuhr sie fort, ihrem ganzen Frust auf Albrecht, der sich im Laufe der Jahre angesammelt hatte, freien Lauf lassend.
„Du hättest dich mit deinem Vater friedlich einigen sollen, ihm beweisen müssen, dass du der stärkere, der bessere Sohn bist. Aber nein, du musstest ihn ja gefangen nehmen und einkerkern lassen wie einen gemeinen Dieb. Glaubst du, das hat die Liebe deiner Eltern zu dir zurückgebracht. Nein, nur dein aufbrausendes stolzes Wesen ist schuld daran, dass wir uns jetzt in dieser Situation befinden und alle Welt sich von uns abwendet. Nur dem alten Kaiser Friedrich hast du es verdanken, dass du damals mit dem Leben davongekommen bist. Aber es hätte ihm schlecht zu Gesicht gestanden, seine Pilgerreise ins Heilige Land mit dem Tod eines Grenzfürsten zu beginnen. Auch hatte er keine Zeit mehr für einen Prozess. In seinem Alter zählte jeder Tag, sich auf eine so beschwerliche weite Reise zu begeben.“
Albrecht wollte seine Frau scharf zurechtweisen, doch sie ließ sich nicht beirren. Wie in Trance sprach sie weiter, ihre geweiteten Augen starr auf die Wand hinter Ihrem Gemahl gerichtet. „Du konntest immer noch nicht genug haben. Du musstest dich auch noch nach seinem Tode an deinem Vater rächen und das Kloster schänden, das seine sterbliche Hülle beherbergte. Und statt dir deinen Bruder wohl zu sinnen, hast du ihn aus allen euren gemeinsamen Besitzungen verdrängt