»Ach nein!« antwortete Sven Elversson. »Ich glaube, sie hat es versucht, mich zu lieben. Sie kämpfte mit dem, was bei mir zu überwinden war, aber zuletzt wurde es ihr zu übermächtig, und da ging sie mit Gustavson auf und davon.«
»So war es nicht! So war es durchaus nicht!« entgegnete Sigrun hastig. »Deshalb ist sie nicht mit ihm gegangen. Nein, aber sie wußte, daß Sie eine andere liebten, Sie hatten sich auf irgendeine Weise verraten. Sie haben eine Gedichtsammlung, die beständig auf Ihrem Tische liegt. In dieser lesen Sie sehr oft, das hat mir Mutter Thala gesagt. Aber Sie lesen immer nur ein einziges Gedicht, einzig und allein das eine, ein Liebeslied von dem Isländer Bjarni Thorarensen.«
Sven Elversson sprang auf. Er griff sich an die Brust. »Wohin zielen Sie?« stieß er hervor, und es lag beinahe etwas Drohendes in seinem Tone.
Sigrun hob die Hand.
»Ich will von Ihrer Frau mit Ihnen reden,« sagte sie. »Morgen werde ich fort sein,« fügte sie besänftigend hinzu.
Geduldig und unterwürfig nahm er wieder Platz. Aber seine Augen hatten den freundlichen Schimmer verloren und schauten Sigrun ernst und streng an.
Der horchende Mann beugte sich in höchster Spannung vor. Er erkannte ja wohl Sigruns Stimme wieder, allein es war manches in ihrem Wesen, was ihm fremd erschien. Sie hatte jetzt etwas von dem gelassenen Selbstbewußtsein der reifen Frau an sich, das ihr sonst fremd gewesen war.
»Sie hat viel durchgemacht, seit ich sie zuletzt gesehen habe,« dachte er. »Noch nie hat sie eine solche Macht gehabt, den im Bann zu halten, mit dem sie spricht. Jetzt kann ihr niemand mehr widerstehen.«
»Wir wollen annehmen,« fuhr Sigrun fort, »Ihre Frau habe letzten Herbst deutlicher als jemals gemerkt, daß Sie sie nicht liebten. Vielleicht haben Sie jenes Gedicht häufiger als sonst gelesen. Was weiß ich? Und sie ging von Ihnen fort, aber so, daß Sie nicht zu glauben brauchten, sie sei aus Liebe gegangen, um Ihnen das Leben leichter zu machen. Darum ging sie mit dem Scherenschleifer. Ich habe mit Ihrer Mutter darüber gesprochen, und sie ist vollständig meiner Meinung. Und der Scherenschleifer hat mir auch dasselbe gesagt. – ›Sie ist zu mir gekommen, weil Sven Elversson sie nicht liebte,‹ sagte er.«
Abwehrend erhob Sven Elversson die Hände.
»Warum soll ich das anhören?« fragte er. »Meinen Sie etwa, es tue mir wohl, das zu wissen?«
»Ja,« erwiderte sie. »Das Bewußtsein, von einem guten Menschen so innig geliebt worden zu sein, tut immer wohl. Es tut Ihnen wohl, daß Sie sie nicht im Verdacht der Verstellung und Veränderlichkeit haben müssen. Sie verstehen: Sie war von derselben Art wie der Krieger, von dem wir vorhin gelesen haben. Sie hat mich gelehrt, wie man lieben kann,« fuhr Sigrun fort. »Von ihr hab' ich gelernt, wie die Liebe über allen Verstand gehen, wie sie die Seele bis zu dem Grad erfüllen kann, daß diese den eigenen Körper für nichts achtet.«
Sie stand auf und stellte sich hinter Sven Elverssons Stuhl. In ihrer jetzigen Stellung konnte ihr ihr Gatte hinter der Hecke gerade ins Gesicht sehen, und er wich fast zurück vor der überirdischen Schönheit, die in diesem Augenblick auf den herrlichen Zügen lag.
Sie sprach nun sehr rasch und entwickelte ihre Gedanken, ohne auf Antwort zu warten.
»Das Lied in Ihrem Gedichtbuch, das Sie beständig zu lesen pflegen, Herr Elversson, ist der ›Sang an Sigrun‹. Ob es des Namens wegen ist oder aus einem anderen Grund, eines ist gewiß: Ihre Frau glaubte zu wissen, wen Sie lieben.«
Sven Elversson wollte reden, Beteuerungen und Versicherungen abgeben, aber Sigrun wehrte ab.
»Ich muß ausreden dürfen, damit Sie einsehen, wie Ihre Frau im Leben liebte. Machen Sie einmal den Versuch, sie sich als eine Seele vorzustellen, die nur Liebe ist, und daß diese Seele beschließt, sich für den zu opfern, den sie liebt! Daß sie Mittel und Wege sieht, die kein anderer sich hätte denken können, daß sie sich des Willens eines anderen Menschen bemächtigt, diesen lenkt, leitet, führt, ihm Gedanken zuflüstert, ihm sagt, was er reden soll, und schließlich alles zwingt, sich ihrem Wunsche zu fügen.«
Sven Elversson schüttelte den Kopf. Er sagte mit seiner sanftesten Stimme, aber vollkommen abweisend:
»Das heißt reden wie Lotta Hedmann.«
»Ja,« sagte Sigrun. »Ich weiß, ich rede wie Lotta Hedman. Und ich leugne auch nicht, daß es Lotta Hedman ist, die mich gelehrt hat, an die Macht der Verstorbenen zu glauben. Aber woher wissen Sie denn, daß sie nicht recht hat? – Was war das für ein Leitstern, der die Sterbende gerade zu mir führte? Und woher stammte der Gedanke, der Macht über mich bekam? Sie wissen, wie ängstlich und empfindsam ich bin. Es ist wahr, ich dachte daran, davonzulaufen, aber warum sollte ich es auf diese Weise tun? Ich hätte noch andere Auswege gehabt. Aber von dem Augenblick an, wo Ihre Frau tot in meinem Bette lag, sah ich keine andere Möglichkeit mehr vor mir, konnte nichts anderes mehr denken. Warum konnte mir auch Lotta Hedman keinen Widerstand leisten? Warum kam der Scherenschleifer erst, nachdem ich schon meines Weges gegangen war? Warum war er an jenem Tage so still und nachgiebig? Warum wurden wir nicht eingeholt? Warum wurde mein Geld gestohlen? Warum wurde nichts entdeckt? Ich hatte doch wahrhaftig keine tiefen Pläne gemacht. Warum all dies, Herr Elversson, wenn nicht darum, weil die Frau, die Sie mit so unendlicher, gewaltiger Liebe liebte, beschlossen hatte, die Frau, die Sie liebten, zu Ihnen zu führen?«
Sie hatte eifrig gesprochen, beseelt, ganz hingenommen von dem Wunder, das, wie sie meinte, hier hereinspielte. Aber in ihrer Stimme fand sich keine Spur von Leidenschaft. Der Lauscher hinter der Hecke bemerkte das wohl. Sigrun sprach zu dem Manne, der sie liebte, in der festen Überzeugung, daß dieser Mann sehr gut begriff, daß sie ihn nicht wiederliebte.
Sven Elversson fühlte dasselbe. Seine Stimme klang verschleiert vor Bewegung, aber sie nahm keinen leidenschaftlichen Ton an.
»Gut. Da Sie es so wünschen, reden wir wie Lotta Hedman! Aber wenn die Seele der Verstorbenen Sie hierhergesandt hat, könnte es nicht ebensogut zur Plage und Strafe gewesen sein? Sie wußte ja, daß meine Liebe dadurch nur zunehmen würde, wie sie auch wußte, daß Sie mich niemals lieben würden.«
»Ja,« sagte Sigrun mit demselben besonderen Tonfall höchster Begeisterung, beinahe als spräche sie zu einem Bewohner der anderen Welt. »Natürlich wußte sie das. Und noch etwas wußte sie: wenn nicht etwas in Ihnen gewesen wäre, das Sie vor jeder anderen Liebe als der ihrigen schützte, hätten Sie mir nicht erlaubt, hier auf Hånger zu bleiben. Aber sie meinte vielleicht, Ihr eigenes Leben werde schöner und glücklicher, wenn Sie mich lehren könnten, wie ein Leben gelebt werden müsse. Nicht wahr, auch das könnte ihre Absicht gewesen sein? Später, wenn Sie alt sind, wenn all das Brennende und Verzehrende verkühlt ist, da werden Sie an diesen Winter auf Hånger als an eine Zeit des Glückes zurückdenken.«
Er schüttelte verneinend den Kopf.
»Nicht jetzt schon,« sagte sie, »aber später, und dann bis zu Ihrer letzten Stunde. Sehen Sie, ich glaube, es ist, wie ich vorhin gesagt habe, Sie sollten mich lehren, wie ein Leben gelebt werden muß, das war ihre Absicht. Was war ich vor einigen Monaten, ehe ich hierher kam? Ich war nicht böse, ich wollte jedermann wohl, aber ich war ängstlich; ich versuchte wohl, recht zu tun, aber ich tat es nur so aufs Geratewohl. Ich hatte keinen festen Lebensplan. Ich wußte nicht, daß es möglich ist, unter allen Umständen gut zu bleiben, wahr, treu und barmherzig zu sein. Das ist's, was ich hier bei Ihnen lernen sollte! Abscheu vor allem, was die Seele beschmutzt. Das werde ich mit mir nehmen in meine