Er erinnerte sich genau, wie er es sich gedacht hatte: Da sich die Familie den Fluch durch den Mord eines Geistlichen zugezogen hatte, so würde er auch wieder von ihr genommen werden, wenn einer von den Hångerleuten Geistlicher und ein heiliger Mann Gottes würde.
Später als Jüngling und als Mann hatte er allerdings diese Gedanken fallen lassen, aber sie hatten dennoch seinem Leben die Richtung gegeben.
Als er zu studieren angefangen hatte und ihm alles wohl gelang, hatte er aufgehört zu glauben, daß ein besonderes unglückseliges Geschick der Männer seines Geschlechtes warte. Das kam alles nur von einer schweren und unlenksamen Gemütsart und einer schwermütigen Angst, sie dürften ihr Eigentum nicht behalten. Vor einem, der klug war und sich beherrschte, würden die Selbstmordgedanken schon weichen. »Ich werde der sein, der beweist, daß ein Rhånge von Hånger sterben kann wie andere Leute,« hatte er zuweilen gedacht. »Und dadurch werde ich jedenfalls dem alten Aberglauben ein Ende machen.«
Es war ihm auch wirklich gelungen, allen Jugendverführungen zu widerstehen, sich selbst zu beherrschen und ein tadelloses Leben zu führen, ausgenommen in dem Verhältnis zu seiner Frau.
Plötzlich fuhr er auf, wie aus einem Traum erwacht. Einige Augenblicke war er weit weg gewesen von seinem Unglück, jetzt aber, wo er an seine Frau dachte, überfiel es ihn wieder in seiner ganzen Gräßlichkeit. Gerade darum, weil er Geistlicher war und ein tadelloses Leben führen wollte, empfand er die kommende Schande, das Gerede und die Lächerlichkeit wie Knutenhiebe.
»Es wäre besser gewesen, wenn sie niemals zurückgekommen wäre,« dachte er in seinem Grimm. »Sie hat mich daheim unmöglich gemacht. Wir werden auswandern müssen, das sehe ich wohl ein.«
Aber merkwürdig, seine Gedanken wendeten sich bald wieder von seiner Frau ab und beschäftigten sich wieder mit dem alten merkwürdigen Hofe.
Sein Vater war es gewesen, der ihm von Hånger erzählt hatte, und er hatte ihm noch von vielem anderen, als nur von Mord und Strafurteilen zu erzählen gehabt.
Daß niemand wisse, woher die Hångerleute stammten, hatte der Vater seinem Sohne berichtet. In dem Kirchspiel, auf dessen Markung der Hof lag, waren einstens plötzlich fünf Brüder aufgetaucht, alle große, starke, schöne Männer, aber von unbekanntem Geschlecht und aus unbekanntem Lande, die auch eine unbekannte Sprache redeten.
Man hatte geglaubt, es seien die Abkömmlinge eines Riesen und eines in den Berg entführten Mädchens; und wahrlich, ihre Wildheit und Streitlust, ihr Mut und ihre Schlauheit, ihre Sonderbarkeiten und ihre unbeugsame Sinnesart, und vor allem das Glück, das sie beim Erwerb von Geld und Gut hatten, ließen diese Annahme gar nicht unglaublich erscheinen.
Diese Männer, die als arme Dienstknechte in die Gegend gekommen waren, hatten sich in wenigen Jahren zu Herrenleuten aufgeschwungen, zuerst auf Hånger, wo der älteste von ihnen saß, und später noch auf vier anderen Bauerngütern.
Es tat dem Pfarrer wohl, an seine Vorfahren zu denken. Sie waren nie gewesen wie andere Bauern. Sie hatten sich prächtig gekleidet und eine stolze Haltung gehabt. Sie hätten Herren sein können, allein danach hatten sie nie gestrebt. An diesem Nachmittag hatte der Pfarrer etwas nötig, was ihm das Selbstgefühl stärkte, und er richtete sich ein wenig an dem Gedanken auf, daß er einem reichbegabten und berühmten Geschlecht angehörte.
Genau betrachtet war er diesen Vorfahren vielleicht gar nicht so unähnlich. Lotta Hedman hatte ihn mit einem Riesen verglichen und ihn daran erinnert, daß er von einem Geschlecht wilder Männer abstamme.
Wie, wenn er nicht Geistlicher gewesen wäre, und wenn sich der Kraftmensch in ihm nicht jederzeit selbst in Zucht gehalten hätte!
Er dachte an jenen Abend, wo er den fliehenden Amtsrichter gejagt hatte, damals war es wohl das alte Riesenblut gewesen, das sich in ihm regte.
Wieder waren seine Gedanken zurückgekehrt zu seinem Heim und zu seiner Frau. Wieder empfand er einen qualvollen Seelenschmerz. Er dachte daran, wie ihm das ganze Frühjahr hindurch Kummer und Gewissensbisse das Herz zerrissen hatten. Aber wie peinvoll diese Qual auch gewesen war, so war es doch noch viel bitterer, zu wissen, daß Sigrun ihn kaltblütig und ohne zwingenden Grund zu dieser Qual verurteilt hatte. Und doch, das Bitterste und das Schlimmste war noch etwas anderes: daß sie sich bis zum Betrug erniedrigt, sich auf eine so unheimliche Art von ihm freigemacht, sich einem elenden Landstreicher anvertraut hatte und zuletzt in die Hände eines solchen Menschen, wie Sven Elversson, gefallen war, eines Menschen, den er selbst aus seiner Kirche verbannt hatte, das machte die Schande vollkommen.
»Da ist sie gerade an den Rechten gekommen,« dachte er. »Sie eine Verstorbene, und er ein Verfemter, der sich nicht unter den Menschen sehen lassen darf.«
Aber von diesem rasenden Schmerz hinweg wurden seine Gedanken zu dem Bauerngut seiner Vorfahren zurückgeführt.
Über die baumlose Hochebene hin, durch die er fuhr, sauste scharf und schneidend der Westwind, der starke Meereswind.
»Hier oben ist es sehr kalt,« dachte er, »aber sicherlich ist es jenseits des Berges besser. Auf Hånger, das geschützt am östlichen Bergabhang liegt, ist es an so einem Abend gewiß warm und frühlingsmäßig.«
Jetzt waren seine Gedanken wieder bei den Vorfahren.
Allen war ein gewisser besonderer Zug eigen gewesen, durch den sie sich von ihrer Umgebung unterschieden.
Einer von ihnen hatte ein Pferd gehabt, das er über alles liebte, und man sah ihn selten anders als hoch zu Pferd. Er tat seine Arbeit und genoß sein Vergnügen zu Pferd, und zuletzt war er eines schönen Sonntags in die Kirche hineingeritten und hatte begehrt, das Abendmahl auf dem Pferde zu empfangen.
Beim Gedanken an diesen sonderbaren Auftritt zuckte ein schwaches Lächeln über das Gesicht des Pfarrers. Es hatte ihm früher öfters Vergnügen gemacht, sich jenen Auftritt vorzustellen, doch hatte er diese Überlieferung nie im Ernst geglaubt, sondern sie für eine Erfindung und Dichtung gehalten.
Dieser Pferdemensch hatte einmal einen Zwist mit seiner Frau gehabt. – »Man sollte hie und da auch einmal seinen Verstand zu Wort kommen lassen und nicht nur auf seine Kraft pochen,« hatte die Frau gesagt. Aber der Mann war böse geworden, hatte sie ergriffen und sie rittlings auf den Firstbalken gesetzt. – »Jetzt hat dich meine Kraft da hinaufgesetzt,« sagte der Mann. »Versuch nun, ob dir dein Verstand wieder herunterhilft!«
Es war vielleicht nicht immer ganz leicht gewesen, mit einem der alten Hångerriesen verheiratet zu sein. Sie waren Gewaltmenschen gewesen, eifersüchtig und eigensinnig. Ungewöhnlich tüchtig und kraftvoll, gastfrei und großzügig waren sie gewesen, dazu noch mit einer Art von grober Scherzhaftigkeit behaftet, die angreifender werden konnte als vieles andere.
Einer von ihnen hatte den Vogel gehabt, er müsse alles paarweise besitzen. Es durfte nicht nur eine Uhr im Zimmer stehen, sondern gleich zwei. Kein Zimmer durfte nur ein Fenster haben, es mußten zwei oder vier oder sechs sein. Zwei Schornsteine, zwei Tore, zwei Scheunen, zwei Tennen. Niemals nur ein Knecht oder eine Magd, sondern stets zwei oder vier. Man hätte es ja für eine unschuldige Marotte erklären können, aber er war nahe daran gewesen, ganz Hånger mit Umbauten und Veränderungen zugrunde zu richten.
Im Stall wollte er ebenso viele Stiere wie Kühe haben, und von seiner Frau hatte er verlangt, sie solle ihm immer abwechselnd einen Jungen und ein Mädchen gebären, und so weiter in schöner Ordnung. Und wenn sie nicht tat, was er wollte, war mit ihm nicht zu spaßen.
Wieder lächelte der Pfarrer. Nein, es war nicht immer angenehm, auf Hånger Hausfrau zu sein.
Da war einer unter ihnen gewesen, der unaufhörlich sang. Er kam singend zur Kirche, fuhr singend wieder davon, sang seine Antworten, wenn er angeredet wurde, sang, wenn er sich zu Bett legte und wenn er aufstand.
Aber