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Haar, die schöne Biegung des Nackens; jede Bewegung von Hand oder Arm bei ihrer Arbeit war ihm wohlbekannt.

      »Sie lebt!« flüsterte er ganz leise und faltete die Hände. »Es ist wirklich wahr, sie lebt!«

      Sein Herz schmolz vor Rührung. Er sah Sigrun wieder; aber dieses Wiedersehen war nicht so, wie er erwartet hatte. Er fühlte keinen Zorn, er wollte sie nicht zur Rechenschaft ziehen für alles, was er um sie gelitten hatte, er wollte nicht mit ihr von der Schande sprechen, die sie auf sich selbst gehäuft hatte, nur mit Tränen wollte er Gott dafür danken, daß sie noch am Leben war und zu ihm zurückkehren wollte.

      Er legte die Hand über die Augen und überlegte, was wohl aus ihm geworden sein würde, wenn sie wirklich tot gewesen wäre. Ein gehässiger alter Sonderling, der sich ohne Hoffnung durchs Leben schleppte, der sich nur immerfort ausschließlich mit seinen Erinnerungen beschäftigte, ein Mann, der die Gesellschaft anderer Frauen nur gesucht hätte, um sie zu verhöhnen, weil sie nicht waren wie sie, die Einzige. Bodenlos war der Abgrund, in dem er versunken wäre.

      Während des Herwegs hatte er in seiner Verzweiflung gewünscht, Sigrun hätte sich ihm lieber nicht zu erkennen gegeben. Ein grausamer und törichter Wunsch! Wie hatte er ihm nur Raum geben können?

      Dies alles ging ihm durch die Seele wie ein Sturmwind. In dessen Tosen erstarb die Stimme des Vorlesenden.

      Im ersten Entzücken hätte er sich beinahe erhoben und wäre zu Sigrun hingeeilt. Aber er bezwang sich.

      »Nein,« dachte er, »zwischen uns darf kein Zweifel oder Verdacht zurückbleiben. Um unseres Glückes willen muß ich bleiben, wo ich bin.«

      »Wir wollen heut abend nicht weiterlesen,« sagte Sigrun, als Sven Elversson mit dem Gedicht zu Ende war »Ich habe was mit Ihnen zu reden.«

      Ihre Stimme drang zu dem Lauscher hinter der Fichtenhecke mit dem vollen Klang des Lebens. Lieblich wie früher, leise und herzbewegend mit dem leichten Lispeln.

      Sven Elversson hob den Kopf von seinem Buche und kehrte sich ihr zu. Auch er war im höchsten Grade verändert, das sah der Pfarrer sofort. Er trug den Kopf aufrecht und hatte die freie, unbefangene Haltung des gebildeten Mannes. Das Aussehen eines Laienpredigers, die übertriebene Demut, die ihn sonst gekennzeichnet hatten, waren verschwunden.

      »Ja, eigentlich ist es schade, an solch einem Abend über ein Buch gebeugt zu sitzen,« sagte Sven Elversson. »Wir wollen uns lieber ein wenig unterhalten.«

      Sigrun zögerte, mit der Zwiesprache zu beginnen. Sie faltete ihre Arbeit zusammen, und erst, nachdem dies geschehen war, sagte sie mit fester und bestimmter Stimme:

      »Jetzt ist es geschehen, Herr Elversson.«

      »Was?« fragte er vollkommen unbefangen. »Ist Ihre Arbeit schon fertig?«

      »Nein, aber das, worum Sie mich jeden Tag gebeten haben, seit ich unter Ihrem Dach weile, ist jetzt geschehen.«

      »Haben Sie – – –«

      Er hatte sich ganz erregt erhoben und vollendete seinen Satz nicht.

      Aber Sigruns Stimme gab ihm fest und klar und ohne Beben Antwort.

      »Ich habe an Lotta Hedman geschrieben und sie gebeten, Eduard alles zu sagen. In diesem Augenblick weiß er schon, daß ich noch lebe. Morgen kommt er her und holt mich.«

      »Kommt er hierher?« fragte Sven Elversson. Seine Stimme klang nicht fest und klar; sie war schwach und hinsterbend.

      »Ja,« erwiderte sie, »ich habe ihn gebeten, hierher nach Hånger zu kommen, und ich werde Ihnen nachher sagen, warum. Jetzt möchte ich zuerst hören, ob Sie froh darüber sind.«

      Dem Pfarrer kam es vor, als ob der Mann vor seinen Augen Gestalt und Aussehen wechsle. Er sank zusammen, und das geduldige Lächeln legte sich mit voller Deutlichkeit um seinen Mund. Die vorher so munter blickenden Augen waren zu Boden gesenkt. Die Arme hingen schlaff an den Seiten des Körpers herunter. Und als er nun Sigruns Frage beantwortete, geschah es mit der alten peinlichen Unterwürfigkeit.

      »Gewiß bin ich froh darüber, Frau Rhånge,« sagte er. »Es ist zu gütig von Ihnen, es so hinzustellen, wie wenn dies mein Werk wäre. Ich weiß ja, oder richtiger gesagt, ich glaube es bemerkt zu haben, seit sich die erste Erregung bei Ihnen gelegt hat, ist kein Tag vergangen, an dem Sie nicht Reue gefühlt und sich nach Hause gesehnt haben. Aber Sie denken vielleicht an Ihre Angst vor Ihres Mannes Zorn und an das harte Gericht der Welt, und daß ich versucht habe, Ihnen Mut einzuflößen, dem allem zu trotzen. Das ist das einzige, dessen ich mich rühmen darf.«

      Der lauschende Mann fing diese Worte nicht bloß mit den Ohren, sondern mit seiner ganzen Seele auf.

      »Was ist wahr und was ist falsch daran?« fragte er sich. »Gott helfe mir, die Wahrheit zu erfahren!«

      Sigruns Gesicht konnte er nicht sehen, aber es kam ihm vor, als zucke sie unmerklich die Schultern.

      »Nein, natürlich nicht. Mir zu etwas anderem zu helfen, hatten Sie nicht nötig gehabt.«

      »Es tut mir sehr wohl, daß ich das wirklich annehmen darf,« ließ sich Sven Elverssons milde Stimme vernehmen. »Sie haben beinahe sofort eingesehen, welch großes Unrecht Sie sich gegen Ihren Mann haben zuschulden kommen lassen. Es war undenkbar, daß Sie den Mann, der Sie liebte, zu lebenslanger Einsamkeit und Trauer sollten verurteilen wollen. Und Sie hätten diesen Schritt gewiß schon vor Monaten getan, wenn Sie nicht krank geworden wären; dies ist meine feste, meine innige Überzeugung. Bis jetzt haben Sie nicht Kraft genug gehabt, dem Aufsehen und den bösen Zungen die Stirn zu bieten. Ich bin der letzte, der Sie Ihres Zögerns wegen schelten möchte. Ich weiß, was es heißen will, unter seinesgleichen verworfen und ausgestoßen zu sein.«

      Etwas in Sigruns Haltung deutete auf Ungeduld, und ein leichter Spott lag in dem Tone, mit dem sie antwortete:

      »Ja, ja, Herr Elversson, ich wußte, Sie würden sich freuen. Aber da dies wohl unser letztes Zwiegespräch sein wird, so will ich Ihnen sagen, daß nicht Sie allein mich veranlaßt haben, wieder heimzukehren. Ich habe auch viele Hilfe von Ihrer Frau erfahren; vielleicht noch mehr Hilfe von ihr als von Ihnen. Ich glaube, sie hat über alle Grenzen geliebt,« fuhr Sigrun mit einem weichen Klang in der Stimme fort. »Von ihr hab' ich zu lernen gesucht, wie man lieben soll.«

      Ein Schatten flog über Sven Elverssons Gesicht.

      »Sie war eine gute Frau,« sagte er einfach, ohne seinen gewöhnlichen Wortreichtum. »Wir hielten sehr viel von ihr, solange sie unter uns lebte.«

      »Mutter Thala hat mir viel von ihr erzählt,« sagte Sigrun. »Sie soll am Tage, nachdem das Schulhaus abgebrannt war, nach der Grimö gekommen sein. Sie wollte Ihnen sagen, sie und der Schullehrer hätten ihr bestes getan, damit es den Kindern darin gefalle. Und sie ermahnte Sie, dieses Unglück nicht allzu schwer zu nehmen, Sie hätten sich durch Ihre Arbeit längst Freunde erworben. Die Leute fingen an einzusehen, was Sie für ein Mann seien.«

      Sven Elversson machte eine ergebene Bewegung, die andeuten sollte, daß er wünsche, mit weiterem über diesen Gegenstand verschont zu werden. Aber Sigrun fuhr fort:

      »Ich habe Ihre Frau in Applum gesehen, sie war sehr häßlich, dessen entsinne ich mich wohl. Vielleicht war es das, vielleicht auch etwas anderes, was Sie reizte, denn Mutter Thala sagt, Sie hätten sie angeschnauzt wie vorher noch nie sonst irgend jemand. ›Wenn ich jetzt käme und Sie fragte, ob Sie meine Frau werden wollen‹, hätten Sie höhnisch zu ihr gesagt, ›so würde ich ja sehen, wie Sie mich abfertigten.‹ Sie sei darauf weder rot noch blaß geworden, sondern geradezu aschgrau im Gesicht und sofort aufgestanden. ›Sie sagen das im Scherz und ohne sich etwas dabei zu denken,‹ habe sie gesagt. ›Wenn Sie mich das einmal im Ernst fragen würden, so wäre das der glücklichste Tag meines Lebens.‹ – Nachdem sie das gesagt hatte, sollen Sie ganz rot geworden sein, und ein paar Jahre später haben Sie sie wirklich geheiratet, weil diese Antwort ihnen gezeigt hatte, welch ein gutes und hochgesinntes Mädchen sie war.«

      »Ja, das ist wahr, sie war gut und hochherzig,« erwiderte Sven Elversson. »Ich lasse ihr alle Gerechtigkeit