Graf Hermann II hob sein Haupt mit der Lockenperücke. Bisher brannte weder in Thierdorff noch in den Nachbarorten ein Scheiterhaufen. Trotz vieler Bitten konnte er sich bisher noch nicht dazu entscheiden, einen Hexenausschuss auszurufen. Jetzt blieb ihm keine andere Wahl. Er stand unter Druck, denn die Bürger drohten damit, Hexen und Unholdinnen mit ihren Holzäxten auf den Gassen zu erschlagen.
„Vielleicht“, so überlegte der Graf, der am Sekretär der Bibliothek saß und den Brief gelesen hatte, „ist es wirklich so, dass der Teufel uns regiert und mitten unter uns lebt, denn all das Elend kann doch nicht der Wille Gottes sein. Auch ich will mich auf die Seite unseres Herrn stellen, denn wer will schon ewig im Feuer der Hölle schmoren, wenn wir eines Tages diese Erde verlassen müssen? Dazu will ich auf keinen Fall gehören.“ Er runzelte die Stirn und überlegte fieberhaft.
Da gab es den Krieg, die Verwüstungen durch die einfallenden Soldaten, die Leute, die zu Tode gekommen waren, der Hunger, die Missernten und die Kälte, dazu noch die Pestilenz. Alle die, die sich mit dem Teufel und seinen Helfern einließen und sich mit ihm verbündeten, sollten zur Verantwortung gezogen werden. „Gottes Wille kann das wirklich nicht sein“.
Er dachte auch an die letzte Predigt in der Kirche. Was hatte der Priester noch gepredigt? Da ging es doch darum, dass es wohl hauptsächlich die Frauen sind, die für alle die Schäden zuständig sind, da sie sich mit dem Teufel einlassen. Wer weiß? Vielleicht ist da ja auch was Wahres dran.
„Um den geforderten Ausschuss zu bilden, bedarf es eines Amtsmannes, zwei Geschworener, eines Henkers und seines Knechtes, der die denunzierten Personen von Zuhause abholt und sie in den Kerker bringt“, so wanderten die Gedanken des Grafen weiter. „Wer kommt alles dafür in Frage?“ schoss es Hermann II durch den Kopf. Er stand auf und rief nach seinem Rat. „Jakob!“ schallte es durch die Mauern der Burg. Er drehte sich zur Türe aus Eichenholz und wartete auf eine Reaktion.
Forsche Schritte huschten über den Gang, ein Klopfen erschallte, dann öffnete sich die Türe zur Bibliothek.
„Eure Durchlaucht hat nach mir gerufen?“ ließ Jakob hören.
„Ich will einen Hexenausschuss bilden. Wer von den Bürgern Thierdorffs ist mir treu ergeben? Wer bringt regelmäßig und ohne Eintreibung sein Lehen?“ fragte er weiter. „Wer von den Bürgern ist gebildet und wer hat einen sehr guten Leumund?“
Jakob dachte nach. Seine Stirn legte sich in Falten. „Da gibt es nur einige wenige Leute, die dafür in Frage kommen. Für den Hexenausschuss eignen sich am besten Nikolaus Kohligsohn, Bastian Steltz, der Johann Rothback. Es sind Männer ganz ohne Tadel und zudem reiche Bauern. Ich muss darüber nachdenken, wer dafür noch in Frage kommt.“
Schnell bestimmte der Graf genau diese Leute für den Ausschuss, der fortan im Mittelturm Gericht halten sollte. Damit aber war der Ausschuss noch nicht vollständig, das würde der Graf noch nachholen.
Agathe eilte zum Lager, um den Männern des Heeres Brotlaibe zu bringen. Prasselnd loderte das Feuer am Friedhof gleich hinter der Kirche, über dem ein Eisenkessel an einer Holzstange hing. Zelte dienten als Nachtlager und als Schutz vor Regen, Hagel oder Graupel. Stroh lag aufgeschichtet, Pferde standen da, die mit Leinengurten an Pfosten gebunden waren. Tilly, der Feldmarschall und Heerführer gehörte der katholischen Liga an und seine Flagge, die im Wind wehte, zeigte die Gestalt der Heiligen Maria.
Ganz in der Nähe stand ein kahler Baum mit ausgestreckten Armen, an denen Menschen an knirschenden Stricken hingen. Vögel piekten mit ihren Schnäbeln an den Augen der auf Pfählen aufgespießten Köpfe. Diese Räuber waren von einem Richter zum Tode verurteilt worden, vor Gott mussten sie sich noch einmal rechtfertigen für ihre Schandtaten auf Erden. Sie waren Mahnmal für die Bürger der Stadt.
„Da geht sie wieder und macht gut Wetter. Huprecht, diese Hexe treibt ihr Unwesen nicht nur mit uns, auch mit diesen Söldnern. Selbst jetzt in diesem Krieg weiß sie sich noch aus jeder Schwierigkeit herauszuwinden.“ Greth sah Agathe nach und schüttelte ihren Kopf. Die Haube auf ihrem hochgesteckten Haar wandte sich mal nach rechts, dann nach links.
Agathe hatte es sehr gut angetroffen mit Thönges, ihrem Mann. Seit sie mit ihm verheiratet war, ging es ihr gut, sie war reich und angesehen trotz des Elends in dieser Zeit.
„Diese Schlange verhext sogar die Soldaten und verdreht ihnen die Köpfe. Fast täglich sehe ich sie dort.“ Huprecht flüsterte, so als könne Agathe seine Worte hören. „Ihr wisst doch sicher noch, wie Ihr sie vor ein paar Wochen im Wienawer Gebück beim Tanzen gesehen habt.“
„Na klar. Soll ich Euch das mal genau berichten?“ Greth drehte sich mehr zu ihrem Mann hin. „All das, was Gott erschaffen hat, vernichtet diese Hexe. Wisst Ihr was? Ich sah, wie Agathe sich in eine Eule mit solchen Glotzaugen verwandelte und auf einem Besen zum Hexentreffen flog.“ Greth zeigte ihrem Mann die Größe der Eulenaugen.
„Ich will alles genau wissen, jede Einzelheit.“ Huprecht platzte vor Neugier.
„Also gut. Es dämmerte bereits, die Nacht zog heran und ich sah an der Stelle Frauen, die sich sitzend um den Teufel scharten. Die Bäume waren kahl, gespenstig sah alles aus mit den knorrigen Ästen und Zweigen, die Stämme dick und gedrungen. Dort fand der Tanz der Hexen statt.“ Greth schaute ihrem Mann fest in die Augen.
„Wen hast du denn außer Agathe noch alles erkennen können?“ wollte Huprecht wissen.
„Da war die Resi, die alte Magd, die so gebeugt nach vorne ging. Auch sie fand sich zu dem Treffen ein. Alle anderen saßen mit dem Rücken zu mir. Die Gesichter habe ich nicht gesehen. Da gab es Hexen, die mit einem Besen durch die Luft flogen und mit dem der Satan ein Fest feierte.“ Greth überlegte und legte eine Pause ein. „Holz lag aufgestapelt auf dem Flecken zwischen den Bäumen, Feuer knisterte in der Dunkelheit. Als ich mich dann weiter umschaute, saß der Teufel aufrecht zwischen den Hexen in der Gestalt eines schwarzen Ziegenbockes mit geschwungenen Hörnern und einem Lorbeerkranz. Über dem Geschehen zog die Sichel des Mondes vor die schwarze Wolkendecke und die Sterne leuchteten. Schwarze Fledermäuse habe ich da fliegen sehen und hinter einer dieser Frauen sah ich einen Spieß, auf denen Leichen von nackten Kindern steckten.“
„Was hat sie denn auf dem Kerbholz?“ wollte Huprecht wissen und sah Greth mit großen Augen an.
„Agathe packte die Kuh des Johann Schmidt an einem ihrer Hörner, strich ihr mit der Hand etwas ins Maul. Die Kuh fiel um und war tot. Sie hat diese Kuh bezaubert.“ Greth schauderte.
„Da war der Teufel im Spiel! Das kann gar nicht anders sein.“ Huprecht konnte es gar nicht fassen. „Der Satan wütet auf der Erde herum und steckt auch in Agathe.“ Greth und Huprecht beobachteten alles ganz genau, was sich da im Lager abspielte. Agathe hielt gerade ihre Schürze auf.
„Diese Dirne! Gibt sich diesem Gesindel hin. Wo bleibt ihr Anstand?“ Greth glaubte nicht, was sie da sah.
Agathe indessen freute sich innerlich darüber, einen Weg gefunden zu haben, von diesem Krieg nicht aufgefressen zu werden. Ihrem Ludwig zuliebe brachte sie immer etwas von ihren Vorräten in das Lager, so blieben sie unversehrt und konnten ihrem Tagewerk nachgehen ohne ausgeplündert zu werden oder räuberischen Angriffen ausgeliefert zu sein. Ihr wäre es viel lieber gewesen, ihr Mann wäre gegangen und hätte die Lieferung ins Heereslager gebracht. „Wenn Thönges mich jedoch schickt, bin ich ihm ein gehorsames Weib.“ Ängstlich und zitternd trat sie den Rückweg an.
Greth und Huprecht beobachteten, wie Agathe ihren Rock des Kleides etwas nach oben raffte, damit der Saum nicht den nassen Lehm berührte.
Thierdorff lag in Trümmer, kein Haus war mehr vollständig, die Dächer abgebrannt, das Holz zertrümmert durch die Äxte und Beile der Soldaten, die Menschen erstarrten aus Furcht. Die Hütte von Agathe und Thönges hatte in all den langen Jahren des Krieges kaum Schaden gelitten.
„Schau mal, was macht denn Agathe jetzt?“ Greth blickte ihr verdutzt nach, Agathe stand gebückt in ihrem Garten und scharrte in der Erde.
Greth und Huprecht wussten in ihrer Not nicht mehr, was sie noch essen sollten. In