Margarete Hachenberg
Die steinernen Türme
Hexenverfolgung in der wiedischen Grafschaft
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Inhaltsverzeichnis
Das Schloss Runckel an der Lahn
….150 Jahre zuvor
Mit aufgeschlagener Bibel saß Heinrich Kramer grübelnd in seinem einfachen Gemach. Ein Holzkreuz hing an der grauen Wand. Kramer hielt eine Schreibfeder in der Hand, ein Tongefäß mit schwarzer Tinte stand rechts auf dem mit Moos bewachsenen Pult. Eine Pechfackel flackerte über seinem Kopf. Der Mönch erhob sich, nahm einige Bogen Papier von einem dunklen Regal. Die legte er auf die Platte des Tisches, die Flamme tauchte den Platz in schummriges Licht. Die weiße Kutte warf lange Schatten an die Wand, als er in der Heiligen Schrift blätterte. Die Worte, die er las, konnte er kaum fassen. Er schüttelte seinen Kopf, auf dem das Barrett saß. In Mose 2, 3 hieß es:
Die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem Felde, die Gott, der Herr gemacht hatte und sprach zu dem Weibe; Ja, sollte Gott gesagt haben, ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten? Da sprach das Weib zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten, aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon, rührt sie auch nicht an, dass ihr nicht sterbet! Da sprach die Schlange zum Weibe: Ihr werdet keineswegs des Todes sterben, sondern Gott weiß an dem Tag, da ihr davon esset, werden eure Augen aufgehen, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist. Und das Weib sah, das von dem Baum gut zu essen wäre und das es eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte. Und sie nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Mann….
„Ich hab´s!“ schrie Kramer erregt. „Die Frau verführte den Mann zur Sünde und stand mit dem Teufel im Bunde!“
Dann las er weiter. In 1. Mose 19 hieß es in Vers 17 bis 26:
„Und als sie ihn hinausgebracht hatten, sprach der Eine: Rette dein Leben und sieh nicht hinter dich, bleib auch nicht stehen in dieser ganzen Gegend. Auf das Gebirge rette dich, damit du nicht umkommst! Aber Lot sprach zu ihnen: Ach mein Herr! Siehe, dein Knecht hat Gnade gefunden in deinen Augen, und du hast deine Barmherzigkeit groß gemacht, die du mir angetan hast, als du mich am Leben erhieltest. Ich kann mich nicht auf das Gebirge retten, es könnte mich sonst das Unheil ereilen, so dass ich stürbe. Siehe, da ist eine Stadt nahe, in die ich fliehen kann, und sie ist klein, damit ich am Leben bleibe. Da sprach er zu ihm: Siehe, ich habe auch darin dich gesehen, dass ich die Stadt nicht zerstöre, von der du gerade geredet hast. Eile und rette dich dahin, denn ich kann nichts tun, bis du hineinkommst. Daher ist diese Stadt Zoar genannt. Und die Sonne war aufgegangen auf Erden, als Lot nach Zoar kam. Da ließ der Herr Schwefel und Feuer regnen vom Himmel herab auf Sodom und Gomorra und vernichtete die Städte und die ganze Gegend und alle Einwohner der Städte und was auf dem Lande gewachsen war. Und Lots Weib sah hinter sich und ward zur Säule….
Kramer schaute vom Lesen auf.
„Auch Lots Frau zweifelte an Gottes Worten! Frauen zweifelten und leugneten Gott. Er jedoch war ein treuer Diener Gottes, ein folgsamer Mann der Kirche.
Erschüttert begriff Heinrich Kramer das Ausmaß der gelesenen Worte. Erregt erhob er sich vom Stuhl und schritt in der Kammer umher, die Bretter knirschten auf dem Boden.
„Die Sünden einer jeden Frau müssen vernichtet werden. Die Zauberei muss ein Ende finden. Hinweg mit dem Satan!“ Seine Gedanken jagten. „Alle Geistlichen der Kirche müssen davon Kenntnis erlangen!“ Wütend polterte seine Faust auf das Pult.
In der Nacht lag Kramer auf einer Pritsche, die dünn mit Stroh ausgelegt war. Er dachte nach. Ruhelos stand er wieder auf, setzte sich an seinen Schreibtisch, nahm einen Bogen Papier und schrieb alles nur Erdenkliche auf. Zuerst waren es nur Notizen, Verlauf seiner Ideen und Gedankengänge, Skizzen von Dämonen und dem gehörnten Teufel. Flink tauchte der Dominikanermönch den Gänsekiel in die Tinte. Die Feder kratzte über das Papier.
„Keine Gestalt des Feuers, kein Brausen des Windes noch die Furcht erregende Gewalt des schleudernden Geschosses ist so zu fürchten, wie wenn die verlassene Ehefrau vor Erbitterung glüht und hasst.
Die Pechfackel an der Wand verbreitete nur noch klägliches Licht. Sie flackerte mit jedem Windzug, der durch das offene Fenster des Raumes zog, ließ den vor ihm liegenden Papierbogen mal erhellen, dann wieder verdunkeln. Über seine Handschrift gebeugt - es war bereits weit nach Mitternacht – schlief der Mann ein. Lautes Stöhnen wechselte mit gesprochenen Worten ab und erfüllte die Kammer.
Am frühen Morgen ertönte vom Misthaufen an der Klostermauer der erste Hahnenschrei. Alle Mönche des Dominikanerklosters versammelten sich auf einem grasbewachsenen Hügel. Von dort traten sie den Weg ins Gebetshaus an. Kutte klebte an Kutte, die Köpfe bedeckt mit Kapuzen. So zogen die Mönche in Zweierreihen ihren Weg. Die Glocken läuteten schallend zur bevorstehenden Messe und zum ersten Gebet des Tages. Im Gebetshaus angekommen senkten sich die Häupter vor dem großen hölzernen Kreuz. Dann erhoben sich die Mönche wieder – einer nach dem anderen – um dem Abt zu lauschen.
„Seuchen breiten sich aus, Krankheiten töten Mensch wie Vieh. Nichts wächst mehr in den Gärten und den Feldern. Der Teufel lebt auf dieser Erde. Es stellt sich die Frage, wer dafür verantwortlich ist. Sünder leben mitten unter uns und eins ist ganz gewiss: Diese Sünder werden eines Tages in der Hölle brennen!“
Die Stimme des Redners mit hoch erhobenen und weit ausgestreckten Armen hallte in den steinernen Mauern wider. Voller Furcht vor der ungewissen Zukunft lief das Gesicht des Abtes rot an.
„Wer nicht den Worten Gottes folgt und gehorsam ist, dem steht dieses unwiderrufliche Schicksal bevor! Wie um Himmels willen, soll es nur weitergehen?“
Einer der Mönche wirkte nicht nachdenklich, denn er kannte