„Erbarme dich, Gütiger!“ Kopfschüttelnd stampfte Graf Hermann II durch sein Gemach. Am hölzernen Tisch saßen die Grafen von Sayn und Westerburg. „Ständige Erpressungen, Plünderungen, Belagerungen – es geht nicht mehr!“ Bei jedem Schritt knarrten die Bretter auf dem Boden. Humpen aus Zinn, gefüllt mit Bier, standen vor den hohen Herren mit den lockigen Perücken und den Schnallenschuhen.
Vornehm sahen die Herren aus. Über einem weißen Hemd mit einem großen, den Hals umschließenden Spitzenkragen trugen die Grafen ein enganliegendes Wams mit Ärmeln. Ein Rock mit glitzernden Streifen und Mustern umschloss die Beine.
Diese Burg lag etwas entfernt von der lehmigen Straße , die auf der rechten Seite nach Coblentz führte und links nach Altenkirchen. Hier rumpelten ratternd, wenn Markttag war, die Karren mit den vorgespannten Kühen in beide Richtungen. Kaufleute, Bauern und Handwerker machten sich früh morgens auf den Weg, um ihre Waren zu verkaufen. An manchen Tagen waren die Gassen unbefahrbar, immer dann, wenn es in Strömen geregnet hatte. Durch diese Wolkenbrüche bildeten sich Rillen im Boden. Da rumpelten Fuhrwerke daher mit Gewürzen, Zitronen und Apfelsinen, mit Johannisbrot und Zimt, Baumwolle, Pfeffersäcken und Muskat, Safran, Rosinen, Ingwer, Papier zum Schreiben, die schönsten Stoffe hatten sie geladen und noch vieles mehr. Diese Dinge blieben verdeckt unter einer Plane.
Jeder einzelne Raum in dieser Burg glich einer Halle. Die Bibliothek, in der die Grafen ihr Gespräch führten, war mit Pechfackeln an der Wand hell erleuchtet.
Im Erdgeschoss gab es eine riesige Küche und sogar ein Zimmer, in dem gebacken wurde. Die angereisten Grafen würden wohl in den Kammern nebenan übernachten und morgen in den Wäldern jagen.
Knechte huschten über den Hof, eilten von den Wirtschaftsgebäuden direkt zur Küche, sie holten Fleisch, Kräuter und andere Lebensmittel. Am Brunnen schöpften sie Wasser in Zinneimern und schleppten Holz zum Heizen der Kochstelle. Die Grafen wollten bewirtet werden.
Die Notlage der kleinen Stadt, die sehr gelitten hatte, wollten die Grafen miteinander besprechen und versuchten, eine Lösung zu finden, die Soldaten zur Ruhe zu bringen.
„Wir müssen weitere Übergriffe und Einfälle auf jeden Fall verhindern. Ich habe sehr viele Pferde an diese Armeen verloren und habe kaum noch Schweine. Die letzte Kuh aus dem Stall hat sich die Horde auch noch genommen. Es ist ein Jammer!“ sagte Hermann II zu seinen Gästen.
„In unserem Hoheitsgebiet haben die Häuser keine Dächer, keine Türen und keine Tore mehr. Alles wurde eingeschlagen oder in Brand gesetzt!“ Es war der Graf von Sayn, der seine Lage schilderte. Aus seinem Humpen nahm er einen großen Schluck und ließ den Krug polternd auf den Tisch fallen. „Da habt Ihr es gut, Eure Burg ist noch unbeschädigt.“
„Diese Bande hat die Glocken aus dem Kirchturm gestohlen und das Gebäude so beschädigt, dass es repariert werden muss, sonst kann Dionysius Franzius, unser Pfarrer, keinen Gottesdienst an Weihnachten halten. Um das zu bezahlen, muss ich mir Geld leihen. „Thierdorff hatte im vergangenen Jahr nur 100 Gulden Einnahmen.“ Es war Graf Hermann, der jetzt redete.
„Bei uns ist es dasselbe Übel. Dieses Kriegsvolk hat unser Korn von den Äckern gemäht, alles, was unsere Bauern aussäten, verfütterte die Horde an ihre Pferde. Wir haben nur noch zwei Pferde, zwei Kühe und ein paar Hühner in der ganzen Stadt. Nichts ist uns geblieben.“ Das Elend stand dem Grafen von Westerburg ins Gesicht geschrieben. Auf seiner Stirn bildeten sich Sorgenfalten.
„Alles wird teurer, unsere Scheunen und die Ställe sind ausgeräumt. Was können wir machen, damit die Soldaten mit den Erpressungen und Plünderungen aufhören?“ Die Gedanken des Grafen zu Wied quälten ihn und er war froh, gerade jetzt nicht alleine zu sein.
„Die Auswüchse des Elends nehmen überhand und es wird immer ärger! Die Leute verkaufen das, was ihnen noch geblieben ist.“ Der Graf von Sayn schlug aufgeregt mit seiner Hand auf den Eichentisch.
Die Zustände, die im Moment in der unteren Grafschaft Wied herrschten, müssen irgendwie abgewendet werden. Die Frage, die sich dazu stellte: Wie? Wie schaffen wir das?
Graf Hermann II genoss bereits als kleiner Junge eine wissenschaftliche Ausbildung, für die er mit vier Jahren sein Elternhaus verlassen musste. Auf das, was jetzt in den letzten Jahren geschehen war, war er nicht vorbereitet. Hätte er doch bloß genügend Geld, würde er es dem Heer zur Verfügung stellen, aber genau daran mangelte es ihm. Alles hatten sich die Soldaten bereits genommen und Unmengen an Geldsummen erpressten sie. Woher sollte er die geforderte Summe denn nur nehmen?
Tag und Nacht hatte er darüber nachgedacht, doch Gott wollte ihm keinen einzigen klaren Gedanken schicken.
„Die Bürger unserer Städte müssen uns Steuern zahlen. Etwas ist da sicher noch zu holen und wie wäre es, wenn sich auch Euer Bruder aus Runckel daran beteiligt, Geld aufzutreiben, um die Soldaten mit dem Geld von den Angriffen abzuhalten?“ Hoffnung schöpfend sprach der Graf von Westerburg.
„Glaubt Ihr denn, dass dann die Soldaten wirklich Ruhe geben und nicht noch mehr Geld verlangen?“ Es war Graf Hermann II, der seine Zweifel äußerte.
„Wir werden sehen. Uns bleibt nichts anderes übrig, als es darauf ankommen zu lassen. Je mehr Leute wir sind, desto mehr Geld bringen wir letztendlich zusammen.“ Das war der Graf von Sayn.
Die Bediensteten des Grafen brachten geschmorten Truthahn auf silbernen Schalen, tischten das zusammen mit Eiern und Senf auf, dazu gab es dann Äpfel und Nüsse.
„Lasst Euch das munden, gnädige Herren.“ Graf Hermann II forderte seine ebenbürtigen Gäste auf zu speisen. Sollte da etwas übrig bleiben, würden seine Knechte das unter den Thierdorffern verteilen.
Die Kirche Sankt Jacobus bestand ebenso wie die Stadtmauer aus verschieden dicken Steinen und einem Glockenturm. Das Dach glich einem schiefgelegten Viereck, mit Schiefertafeln bedeckt. Agathe war gemeinsam mit Thönges und dem zweijährigen Ludwig auf dem Weg zum Gottesdienst. Es war Sonntag.
Angst und Schrecken breiteten sich aus, denn dieser Krieg nahm kein Ende, die Pestilenz raffte Mensch wie Vieh dahin und dann noch diese frostige Kälte, die kein Korn und keine Frucht gedeihen ließ. Elend und Not, vor allem der Hunger ließ die Bürger verzweifeln. Es war Mai und die Blätter der Bäume schwarz vom Frost.
Blitze jagten über den mit aufgetürmten Wolken übersäten Himmel und es regnete in Strömen. Das Wasser stand hoch im Weizen der Felder. Dieses Unwetter dauerte Wochen an, das Korn zerfiel, Schweine, Rinder und Schafe ertranken in den Fluten.
Gleich würde der Gottesdienst beginnen. Agathes Blick streifte den Turm mit den zwei nebeneinanderliegenden Bögen in den Giebeln. Der Klang der Glocken, der von dieser Stelle kam, lud die Thierdorffer zur Messe ein.
Im Inneren der Kirche gab es ein Langhaus mit einem viereckigen Chor. Kalt war es innerhalb der Mauern, Agathe zog ihr grob gewebtes Tuch fester um ihre Schultern. Eine weiße Haube bedeckte ihren Kopf. Ihr Leinenkleid war dunkel mit weißem Kragen und Armaufschlägen. Sie zitterte. Ludwig quengelte: „Mama, Arm.“
Agathe bückte sich zu ihrem Sohn und nahm ihn auf den Arm. „Sei ganz ruhig. Mama ist ja bei dir“, flüsterte sie. Zärtlich legte sie seine Wange an die ihre. Kleine Locken um seine Stirn kitzelten ihre helle Haut. Ein Lachen zeigte sich in ihrem Gesicht und ihre Augen funkelten vor Freude. Wie sein Vater trug auch der Junge eine dunkle Kniebundhose und ein weißes Wams.
Der Priester betrat den Raum. Die Kirche hatte sich gefüllt, auch andere aus Thierdorff hatten sich eingefunden. Der Mühlsteinkragen fiel über die Schultern des bodenlangen Gewandes des Geistlichen,