Die steinernen Türme. Margarete Hachenberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Margarete Hachenberg
Издательство: Bookwire
Серия: Die wiedische Grafschaft
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742771117
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Worten erstarrte Agathe.

      „Eure Mütter, Schwestern, Tanten und Eure Cousinen, Eure Weiber, keinem könnt Ihr mehr trauen. Sie alle sind so leicht zu beeinflussen. Schaut ganz genau auf das, was sie tun, achtet auf alle Schritte, auf jede Handlung. Ich versichere Euch hier vor dem Kreuze unseres Herrn, dass sich jedes Weib mit dem Teufel verbündet und sich von Gott abwendet. Glaubt Ihr, Gott hätte dieses Elend auf dieser Erde gewollt? Nichts mehr ist in Ordnung. Wir alle leiden Hunger, wir werden ausgeplündert, die Soldaten nehmen uns alles weg. Dann ist da noch die Beulenkrankheit und viele Menschen, aber nicht nur die, auch unser Vieh stirbt daran, dann diese bittere Kälte mit Wolkenbrüchen, Graupel- und Hagelschauer sowie der Sturm. Das können nur die Weiber getan haben, die mit dem Teufel buhlen. Sie schließen einen Bund mit ihm und kommen so in die Lage, Schadenszauber zu begehen.“ Die Stimme erhob sich derart gewaltig, dass die Männer entsetzt lauschten und die Weiber vor Scham erstarrten.

      Nun war es nicht nur die Kälte draußen und innerhalb dieser Mauern, sondern es waren die schrecklichen Worte des Dionysius Franzius, der mit tiefster Überzeugung gesprochen hatte. Agathe schaute sich um und sie sah das Entsetzen in den Augen vieler hier stehender Frauen.

      „Achtet darauf, wer von den Weibern einen schlechten Ruf hat. Wartet auf keinen Fall länger und zeigt sie alle an! Diese Weiber müssen vom Teufel befreit und ihre Seelen rein werden! Unsere Weiber sind voller List, sie sind rachsüchtig und sie sind gierig und jähzornig und welcher Mann will das schon?“

      Thönges Augen wanderten zu Agathe hinüber, die neben ihm stand. Sie war noch ein Mädchen, fast noch ein Kind. Traf das, was der Priester da redete, wirklich auf sie zu? Ob auch Agathe den Teufel schon gesehen, ihn vielleicht schon getroffen und mit ihm gebuhlt hatte? Wo mag sie sich mit ihm getroffen haben? Ludwig ahnte davon nichts.

      Wind war aufgezogen, die Wolkendecke grau verhangen, als die kleine Familie die Kirche wieder verließ. Die Gassen waren kaum zu erkennen, dicker Hagel fiel auf den Lehm. Ein Unwetter war aufgekommen. Agathe zog sich das Tuch über den Kopf und die Familie eilte der Hütte entgegen.

      Der vergangene Winter hatte sich mit unerbittlichem Frost gezeigt und eisiger Kälte, das Frühjahr hielt Einzug mit Hagel und Frost. Es war so kalt, dass die Saat, die Thönges ausgestreut hatte, nicht aufgehen würde. Auch im Garten würde es dieses Jahr kein Gemüse geben, auf dem Acker weder Hafer noch Weizen und auch Obst würde nicht an den Bäumen gedeihen. In dieser Zeit war sich jeder selbst der Nächste.

      „Gott straft uns mit Plagen, mit dem Unwetter und dem Krieg, Agathe.“ Thönges hatte mit seiner tiefen Stimme das Wort ergriffen. „Ein Unglück jagt das nächste.“

      „Was haben wir denn verbrochen?“ Agathes Stimme brach, sie hielt ihre Tränen zurück.

      „Ihr hört ja, was der Priester von der Kanzel predigt. „Habt Ihr auch schon den Teufel gesehen und mit ihm gesprochen?“

      „Nein, Thönges. Wo denkt Ihr hin?“ Agathe konnte nicht glauben, dass Thönges so etwas von ihr dachte. „Ich liebe Euch.“ Sie stellte sich auf ihre Zehen, umarmte ihren Mann und küsste ihn.

      „Mama, Hunger!“ Ludwig, der kleine Blondschopf, packte mit seiner kleinen Hand an die Wange seiner Mutter und erinnerte sie sanft an ihre Pflichten. Agathe lachte herzlich, sie liebte ihren Sohn. Sie setzte Ludwig wieder in seine Ecke, in der er eben noch gespielt hatte und ging in den Garten. Der strömende Regen durchnässte in nur wenigen Augenblicken ihr Kleid. Mit beiden Händen hob sie die nasse Erde zur Seite. An dieser Stelle hatte sie im vergangenen Jahr den Boden mit Holz ausgelegt und sich da einen Vorrat an Korn, Erbsen und Pilzen angelegt. Das holte sie sich, denn sie hatten Hunger. Das Korn legte Agathe in eine Schale aus Holz, stellte sie neben sich und füllte dann eine andere Schale mit den Erbsen.

      Das Jahr zuvor hatte eine sehr reiche Ernte gebracht. Nach langer Zeit hatte es warme und auch heiße Zeiten gegeben, die sich mit dem Regen abgewechselt hatten. Das war ein Segen des Herrn. Hafer wie auch Weizen wuchsen dicht an dicht auf ihrem Acker. Um ihn zu pflügen, spannte sich Thönges selbst vor den Pflug, denn die Soldaten hatten sein einziges Pferd gestohlen.

      Birnen und auch Äpfel, sogar Pflaumen erntete Thönges im Herbst und der Garten brachte einige Leinensäckchen voller Erbsen. All das reichte, um die Soldaten, die am Friedhof ihr Lager aufgeschlagen hatten, für einige Zeit zu versorgen und auch auf dem Markt konnten sie verkaufen. Alles andere vergrub Agathe im Garten.

      Im vorigen Jahr, daran erinnerte sich Agathe, neigte sich der Sommer so langsam seinem Ende zu, als sie in den Wald ging, um Pilze zu suchen. Wann immer es ihre Zeit zuließ und es in diesen Kriegszeiten möglich war, machte sie sich auf die Suche nach essbaren Pilzen.

      Schon als kleines Mädchen hatte sie die Großmutter an der Hand mitgenommen und so lernte Agathe auf diese Weise recht schnell, die guten Pilze von den giftigen zu unterscheiden. Alle Pilze sprossen aus dem mit Nadeln oder Laub bedeckten Boden. Regen und Sonne mussten sich zu gleichen Teilen abwechseln, sonst brauchte sie im Wald gar nicht zu suchen.

      „Das hier sind Pfifferlinge“, richtete die Großmutter das Wort an Agathe. „Seht Ihr hier die schmalen Lamellen, die am Stiel herunterlaufen? Die Pfifferlinge selbst leuchten orange, der Hut nach innen zum Stiel gewölbt. Daran erkennt Ihr sie. Schaut Ihr ganz genau hin, seht Ihr sie an dieser markanten Farbe.“ Diese Pilze wuchsen im Laubwald.

      „Das hier, Agathe, sind Champignons. Bei denen müsst Ihr ganz genau hinschauen, denn sie sehen von oben ganz genauso aus wie die Knollenblätterpilze. Nur wenn Ihr unter den Hut schaut, erkennt Ihr den Unterschied. Während die Knollenblätterpilze einen weißen Hut und weiße Lamellen haben, sind die Lamellen junger Champignons rosa und die der großen braun. Hier seht Ihr es.“ Die Großmutter hielt in jeder Hand einen Pilz, beide mit den Stielen in der Hand, so dass Agathe die Unterseite betrachten konnte.

      Dann gab es noch die Habichtpilze mit den großen weißen Schirmen und Agathe staunte damals nicht schlecht. Auf diesen Schirmen waren braune Muster, die dem Gefieder eines Habichts ähnelten. „Den Stiel davon dürft Ihr nicht essen. Den Hut zieht Ihr durch ein verquirltes Ei und dann durch Mehl. Das schmeckt köstlich, wenn Ihr das in einem Topf bratet. Dieser Pilz ersetzt ein Stück Fleisch.“

      An einer anderen Stelle wieder fand Agathe mit ihrer Großmutter Maronen und Steinpilze, beides Pilze mit braunen Hüten und gelben Schwämmen. Der Fuß des Steinpilzes sah sehr interessant aus. Er verbreiterte sich nach unten und sah aus wie ein zu klein geratener Baumstamm. „Das Gegenstück dazu“, erklärte die Großmutter, „ist der Gallenröhrling. Während der Steinpilz einen gelblichen oder olivgrünen Schwamm auf der Unterseite hat, ist der bei dem Gallenröhrling rötlich. Lasst die Finger von diesem Pilz, er ist bitter wie Galle.“

      Langsam, immer noch in Gedanken, ging Agathe zurück in die Küche. Sie entfachte ein Feuer auf der Brandstelle in der Mitte der Küche, über der ein großer Topf an einer eisernen Kette baumelte. Da hinein gab Agathe etwas Wasser, Salz und die Erbsen. Nun zu dem Mehl dachte Agathe und schritt zu einem dunklen Regal. Sie holte sich zwei Reibsteine von einem Regal aus Holz. Müde rieb sie sich die Augen und setzte sich auf einen Schemel an dem großen Holztisch vor der Feuerstelle. Das Korn hatte sie bereits auf dem Tisch liegen. Sie nahm die Steine und drückte damit das Korn entzwei und rieb die Steine über das Korn, bis es zu Mehl wurde. Mit ihrer Hand stäubte sie dann das Mehl in eine hölzerne Schale, gab Wasser dazu und knetete es zu einem festen Teig. Der kam dann ins Feuer. Das Brot würden sie zu dem Erbsenbrei essen. Solch eine Mahlzeit gab es jeden Tag. Nur an Ostern und Weihnachten aß die kleine Familie Fleisch dazu.

      Nahendes Unheil

      „Es ist leider, Gott erbarme, nicht nur in den Nachbarorten, nein, auch hier das grobe hochstrafbare Laster der Zauberei. Menschen wie Vieh werden bezaubert, vergiftet und umgebracht, worüber hier in Thierdorff oft geklagt wird. Diese Menschen müssen ermittelt und bestraft werden nach weltlichen und göttlichen Rechten. Darum bitten wir. Bisher geschah nichts auf diese Klagen und Bitten hin. Die Unholde trachten nach der Nahrung anderer und deshalb bitten wir, der Graf möge in Thierdorff einen Ausschuss bestellen. Dieser Ausschuss soll auf Kosten der Hexen und Hexenmeister genau diese ergreifen