Ein Islam ohne Prophet. Mohammed Khallouk. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mohammed Khallouk
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844272017
Скачать книгу
ebenfalls große Teile der biblischen Berichte nicht mehr unhinterfragt als historische Tatsachen angesehen, sondern aus dem Kontext des Autors heraus interpretiert und mit archäologischen Funden und den Ergebnissen umfangreicher historischer Quellenanalyse in Einklang zu bringen versucht.[16] Angesichts von archäologischen Indizien, die von den koranischen aber auch alttestamentlichen Berichten zum Auszug der Israeliten aus Ägypten abweichen, folgert Kalisch z.B, dass jener Exodus so nicht stattgefunden habe oder nur „theologisch wahr“ sei.[17]

      In der Tat lassen sich gewisse Divergenzen zwischen den biblischen und koranischen Schilderungen und neuzeitlichen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht übersehen, es bestehen jedoch ebenso archäologische und andere historische Quellen, die einen Exodus prinzipiell für wahrscheinlich erscheinen lassen.[18] Diese übersieht Kalisch hier offenbar und schließt aus Erkenntnissen über einen in Teilbereichen divergenten Ablauf des Geschehens auf eine generelle Nichtexistenz des Ereignisses. Die Historisch-Kritische Methode, wie Rudolf Bultmann oder Herbert Braun sie verstanden haben, ist in Kalischs Vorgehensweise nicht festzustellen als vielmehr eine Grundtendenz zur Pauschalisierung und Verallgemeinerung – durchaus vergleichbar den religiösen Fundamentalisten und Dogmatikern, gegen die er sich glaubt, argumentativ zur Wehr setzen zu müssen. Man kann sich des Eindrucks nicht verwehren, es gehe Kalisch weniger um die Etablierung einer modernen Wissenschaftsmethode als um ein bewusstes Zerstören religiöser Glaubensinhalte, aus denen Muslime ebenso wie Juden und Christen Hoffnung und ihre Identität ableiten.

      Bekenntnisorientierter Unterricht als Aufforderung zum Nicht-Bekenntnis?

      In Kalischs methodischem Vorgehen kann nicht das Ziel eines religionswissenschaftlichen Diskurses liegen und schon gar nicht die intellektuelle Basis für einen bekenntnisorientierten Religionsunterricht an allgemeinbildenden Schulen, für welchen Kalischs Lehramtsstudium, bewusst in Abgrenzung vom bisher in Nordrhein-Westfalen an staatlichen Schulen üblichen, bekenntnisfreien Islamunterricht, die Grundlage zu bereiten beansprucht. Wenn zu letzterem überhaupt ein qualitativer Unterschied besteht, dann wohl jener, dass die Majorität der „konfessionsneutralen“ Lehrerinnen und Lehrer sich offener zum Islam und seiner Lehre bekennen und bekannt haben als ein von Kalisch indoktrinierter „moderner“ Religionspädagoge dies vermögen wird.

      Vor diesem Hintergrund verwundert es wenig, dass Lamya Kaddor, die bereits über langjährige praktische Erfahrung als islamische Religionslehrerin an Schulen in Nordrhein-Westfalen verfügt[19], im März 2008 die Assistentenstelle in Kalischs Centrum für Religiöse Studien an der Universität Münster, das sie mit ihm gemeinsam aufgebaut hatte, nach mehrjähriger Mitarbeit gekündigt hat.[20] Sie bescheinigt Kalisch nicht nur, seine Meinung in den letzten Jahren radikal geändert zu haben, sondern darüber hinaus für die Ausbildung islamischer Religionslehrer ungeeignet zu sein.[21] Einen bekenntnisorientierten Islamunterricht stellen sich Schüler, Eltern und offenbar auch die meisten Lehrer jedenfalls als das absolute Gegenteil dessen vor, was Kalisch mit seiner Lehre am Centrum für Religiöse Studien zu erreichen und zu formen beabsichtigt.

      Die deutsche Islamwissenschaft der Gegenwart zwischen historisch-kritischem Anspruch und Drang nach öffentlicher Aufmerksamkeit

      Moderne Erkenntnisgewinnung oder Bestätigungsinstrument ressentimentgeleiteter Mutmaßungen?

      Mit seiner Aufsehen erregenden These von der angeblichen Nicht-Existenz des Propheten Mohammed hat der Münsteraner Islamologe Muhammad Kalisch nicht nur islamische Verbände und große Teile der deutschen Öffentlichkeit gegen sich aufgebracht, sondern zugleich eine Diskussion um das Selbstverständnis der deutschen Islamwissenschaft insgesamt entfacht. Dabei beansprucht Kalisch für sich, die historisch-kritische Methode, die in der deutschsprachigen christlichen Theologie mit bedeutenden Namen verbunden und aus dem modernen theologischen Diskurs kaum noch wegzudenken ist, für die Islamwissenschaft neu zu etablieren. Worin liegt das innovative Element jener historisch-kritischen Methodik, mit der sie sich von der reinen Textexegese abhebt? Kalisch konstatiert: Die Erklärung wesentlicher biblisch erwähnter Charaktere und Begebenheiten, die historisch nicht einwandfrei belegt seien, zu „Mythen“, stelle das „Revolutionäre“ hierbei dar. Verwiesen wird auf die Repräsentanten des sogenannten „Biblical Minimalism“ und dazu angemerkt: „Die Zeit der Patriarchen, Moses, der Exodus, die Zeit der Richter, David und Salomon, ja selbst das Babylonische Exil werden als Mythen verstanden.“[22]

      Mit der Bewertung jener Extrempositionen der „Biblical Minimalism“ innerhalb der christlichen Theologie als repräsentativ für die historisch-kritische Methode verkennt Kalisch jedoch das Hauptziel der historisch-kritisch arbeitenden Theologen, die als „christliche“ Theologen sich durchaus um eine Rechtfertigung und Erläuterung zentraler Glaubensinhalte ihrer Religion, die nicht zuletzt durch die Heilige Schrift vorgegeben sind, bemühen. Ihre Nachforschung zu biblisch beschriebenen Ereignissen beschränkt sich allerdings nicht auf eine Erläuterung aus dem Schrifttum, sondern bezieht außerbiblische, ja vielmehr explizit nicht religiöse Quellen, möglichst aus der zu untersuchenden Zeitepoche, ein. Diese Quellen können in der Tat eine Abweichung der historischen Realität vom biblischen Bericht für plausibel erscheinen lassen, wie sie allerdings auch umgekehrt eine Bestätigung in der Heiligen Schrift erwähnter Ereignisse als historisch nachweisbar bereits ermöglicht haben. Im Falle von Divergenzen zwischen der biblischen Darstellung und den Beschreibungen anderer Zeitzeugen, zielt man auf eine Aufklärung des hinter der Erwähnung stehenden Zweckes der biblischen Autoren mittels außerbiblischer Quellenanalyse und archäologischer Erkenntnisgewinnung ab, eine berechtigte wissenschaftliche Absicht, die sich ebenso auf den Koran und die Schriften der Sunna anwenden ließe.

      Die pauschale, bereits im Vorhinein getroffene Abqualifizierung der gesamten, im Alten und Neuen Testament ebenso wie im Koran beschriebenen Begebenheiten als „Mythen“ wird jener wissenschaftlichen Untersuchungsmethode in keinem Fall gerecht, vielmehr würde sich damit jede weitere wissenschaftliche Analyse sowohl als Textexegese als auch als historisch-kritischer Quellenabgleich erübrigen. Besonders problematisch erscheint die historisch-kritische Quellenanalyse dort, wo – wie von Kalisch für die ersten zwei islamischen Jahrhunderte bewusst hervorgehoben wird - kaum Quellenmaterial außer dem eigentlichen religiösen Offenbarungstext vorhanden ist.[23] Jegliche Aussage bekommt dadurch spekulativen Charakter – sowohl die unreflektierte auf den Buchstaben fixierte Übernahme des bestehenden Textes, die Kalisch zu Recht den Fundamentalisten vorhält, als auch die von ihm gezogene Schlussfolgerung, jene hier beschriebenen Ereignisse entbehrten jeglicher historischer Grundlage. Letztere belegt darüber hinaus, dass die als Charakteristikum historisch-kritischer Analyse anzusehende Zweckeergründung des Autors überhaupt nicht ernsthaft vorgenommen wurde. Weshalb sollte jemand ohne erkennbares Motiv sich Mythen ausdenken und jene als „islamische Offenbarung“ in die Öffentlichkeit tragen?

      Eigenständige Offenbarungsreligion oder Kopie jüdisch-christlicher Mythen?

      Kalisch hebt auf vorhandene mutazilitische Quellen ab, die im Laufe der islamischen Historie verschwunden seien, was er sich aus darin mit den verbreiteten Grundansichten späterer Gelehrter nicht vereinbarten Inhalten erklärt.[24] Unterstellt, die dogmatische Einstellung der Rechtsschulen habe tatsächlich jene Quellen aus machtpolitischer Absicht aus dem Verkehr ziehen lassen, ändert dies nichts an der Tatsache, dass jene Texte in der Gegenwart unbekannt sind und folglich hieraus weder Schlussfolgerungen in der einen noch in der anderen Richtung getroffen werden können. Von der späteren Lehrmeinung abweichende, darin beschriebene Sachverhalte dürfen zudem in keiner