Ein Islam ohne Prophet. Mohammed Khallouk. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mohammed Khallouk
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844272017
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gelingt, der eigenen Zielgruppe die geforderte gesellschaftliche Position zu erkämpfen, zugleich aber anderen als vermeintlichen Sympathisanten der Gegenseite ein Negativstigma angehaftet wird.

      Förderer eines Kulturdialogs oder Ausgräber von Stereotypen?

      Um von Ressentiments geprägte Sichtweisen, die zur Diskriminierung verleiten, zu überwinden, wird von den verschiedensten Seiten ein Dialog mit den Repräsentanten der fremden Kultur und Weltsicht angemahnt. Christliche Kirchenvertreter beispielsweise verlangen einen besonderen Einsatz für die Akzeptanz von Juden und Muslimen in der europäischen Gesellschaft.[1] Gewerkschaftsfunktionäre und Betriebsräte fordern Gebetsräume und Dialogforen am Arbeitsplatz. Der Bundesinnenminister initiiert Konferenzen, auf denen Repräsentanten des Islam ebenso vertreten sind wie bekennende Säkularisten mit muslimischem Migrationshintergrund.[2] So lobenswert dieses Engagement im Sinne eines gegenseitigen Verständnisses sich öffentlich darstellt, so sehr tragen gerade jene führenden Eliten nicht selten zum Gefühl des Ausgegrenzt seins bei den entsprechenden Minoritäten bei.

      Wenn der Papst in öffentlichen Redebeiträgen islamfeindliche Äußerungen eines byzantinischen Kaisers aus dem 14. Jahrhundert zitiert,[3] mag er damit in keiner Weise seine eigene Sichtweise wiedergeben, er präsentiert sich jedoch im Bewusstsein der Muslime eben nicht als Repräsentant des humanen Miteinanders der Religionen, der ihnen die Hände ausstreckt, sondern als Ausgräber von Stereotypen eines traditionellen ressentimentbeladenen Islambildes in der europäischen Intellektualität, die sich in der Historie als geeigneter geistiger Nährboden erwies, um die Kreuzzüge und später den europäischen Kolonialismus zu rechtfertigen.

      Die gelegentlich im akademischen Milieu auftauchende Bekundung, der Islam sei eine „kollektive Zwangsneurose“[4], mag ursprünglich nicht als allgemeine Verunglimpfung einer Religion beabsichtigt gewesen sein, von wissenschaftlich geschulten Funktionären und Hochschulprofessoren, die sich dem Abbau von Voreingenommenheit gegenüber fremden Religionen und Weltanschauungen verpflichtet haben, ist jedoch ein wenig mehr Einfühlungsvermögen und das Vorausschauen der Konsequenzen ihrer der Öffentlichkeit präsentierten Statements zu erwarten.

      Gerade Pauschalisierungen und Verallgemeinerungen dieser Art, die in intellektuellen Kreisen bei der weniger gebildeten Bevölkerung zu Recht als Grundlage von Rassismus und Kulturalismus beklagt werden, wenden einige Repräsentanten der sich multikulturell darstellenden Eliten in anderem Zusammenhang selbst an und stellen sich damit sozusagen als „organische Intellektuelle“[5] im Sinne Gramscis in den Dienst einer auf der Freund-Feind-Polarisierung basierenden Weltsicht, die einen Wertekonsens der verschiedenen Religionen und Kulturkreise und erst recht die angestrebte Beseitigung von Ausschlussidentitäten konterkariert. Sie bilden vielmehr die geistigen Wegbereiter für rechtspopulistische Bewegungen, die auf ein Residuum von gesellschaftlichen Gruppenressentiments für die eigene Profilierung zurückgreifen können, und sobald sie an Einfluss gewonnen haben für kritisch denkende Intellektuelle ebenso eine Bedrohung darstellen wie für die von ihnen stigmatisierte Minorität.

      Kritische Selbstreflektion oder interessengeleitete Agitation?

      Um die Wirkung des eigenen Handelns in der Gesellschaft angemessen einschätzen zu können und künftigen Missverständnissen vorzubeugen, wird zurecht immer wieder ein Hinterfragen des bisher verfolgten Weges angemahnt. Zum einen erfordert es, den Beweggrund einer öffentlichen Bekundung dem tatsächlich erzielten Ergebnis gegenüberzustellen. Zum anderen gilt es, bei symbolischen Gesten ein Gespür dafür zu entwickeln, in wie weit sie von den Adressaten in der erstrebten Weise aufgenommen werden. Diese Reflektion findet jedoch nur dort fruchtbare Ergebnisse vor, wo der Abbau in der Gesellschaft bestehender Ressentiments zum realen Bestreben des Akteurs zählt.

      Wer die kollektive Akzeptanz von Juden, Muslimen und anderen Minoritäten innerhalb des deutschen Gemeinwesens zum Ziel erklärt, darf nicht nur die Reaktion seines Verhaltens bei den Betroffenen im Blick behalten, sondern sollte zugleich sein Feedback in demjenigen Umfeld aufmerksam beobachten, von dem er annehmen muss, dass dort die Negativassoziationen zu jener Klientel am stärksten verbreitet sind, für die er vorgibt, sich einzusetzen. Nicht selten führt ein moralisierender Unterton dort zu einer Verfestigung bestehender Aversionen und zur Zementierung eines ausschließlich auf Schwarz- und Weißtönen bestehenden dualen Weltbildes.

      Die Häufigkeit, mit der einige Repräsentanten aus der Bildungselite sich mit erhobenem Zeigefinger für die gesellschaftliche Gleichberechtigung einer bestimmten Zielgruppe in die Medienöffentlichkeit begeben, legt die Schlussfolgerung nahe, ihr eigentliches Interesse bestehe nicht in der Verringerung gesellschaftlicher Benachteiligungen, sondern in der Bedienung eines in bestimmten Kreisen existierenden Sammelsuriums von Ansichten, damit jene Klientel sich bestätigt fühle und einem weiterhin das Forum zur Verbreitung seiner Statements biete. Diese Art von interessengeleiteter Agitation zeigt sich nicht so offensichtlich wie jene in den Glossaren großer Tageszeitungen, die eine bestimmte weltanschaulich gesinnte Käuferschicht mit Kommentaren zufrieden zu stellen beabsichtigen, bei denen die Autoren davon ausgehen, dass sie über ein vorgegebenes Thema in entsprechender Weise denkt. Diese opportunistische Anbiederung beim erstrebten Publikum erfolgt hier auf subtilere Art, erweist sich jedoch als umso gefährlicher, weil ihre dahinter stehende Absicht von weniger gebildeten Konsumenten nicht unmittelbar erkannt wird.

      Kritische Selbstreflexion ist daher in gleichem Maße von den Empfängern von Information gefordert, die sich fragen müssen, ob sie die Botschaft in ihrem spezifischen Kontext verstanden haben. Erst hierüber werden sie in die Lage versetzt, die entsprechenden Schlussfolgerungen zu ziehen und einen eigenen Beitrag zur Überwindung einer auf Konfrontation mit einem kollektiven Gegenüber basierenden Weltsicht zu leisten. Hierbei können die Eliten ihnen Unterstützung bieten, indem sie ihre Kenntnisse der fremden Kultur, Religion oder Weltanschauung nutzen, um diejenigen Bereiche davon herauszustellen, die in der Vergangenheit bereits den Ausgangspunkt für ein humanes Miteinander darstellten.

      Indem ziviler Fortschritt als Gemeinschaftswerk aller in der Gesellschaft existierenden Strömungen und ihrer Weltanschauungen begriffen wird, woran jede gesellschaftliche Gruppe ihren Anteil besitzt, braucht sich keine zurückgesetzt zu fühlen. Für die Diskriminierung divergenter Kulturen und Religionen besteht ebenso wenig ein Motiv, da man erkennt, auf deren Mitwirkung im Dienste der gemeinsamen Zukunft angewiesen zu sein. Wenn sich die Gewichtung des intellektuellen Beitrags zur Förderung eines Miteinanders in heterogener Gesellschaft von der gegenwärtig im Vordergrund stehenden Warnung vor dem Ausschluss eines Pars pro toto hin zu einer Betonung von bereits existierender Leistungen von Individuen hieraus verschiebt, besteht die Perspektive für eine tatsächliche Progressivität, von der alle divergenten Bestandteile der deutschen Gesellschaft profitieren. Der Anspruch des modernen Pluralismus wird eingelöst. Für Neid und Missgunst ist damit ebenso die Basis entzogen wie für das Bewusstsein, aufgrund der Zugehörigkeit zu einem von bestimmten Merkmalen getragenen Kollektiv stigmatisiert und ausgegrenzt zu werden.

      Islam ohne Prophet?

      Dem Tod geweihter Ketzer oder neurotischer Selbstdarsteller?

      Für Millionen Muslime sind der Koran und das Vorbild sowie die Ansichten und Aussagen ihres Propheten Mohammed die wichtigsten Quellen ihres religiösen Glaubens und ihrer Identität – nicht so für Muhammad Kalisch, den Inhaber des ersten und lange Zeit deutschlandweit einzigen Lehrstuhls für Religion des Islam an der Universität Münster. Kalisch, ursprünglich aus nichtmuslimischem Hintergrund stammend[6], zweifelt nun, nachdem ihn die Karriereleiter bis zum angesehenen Islamkundler geführt hat, die Existenz des „letzten Propheten“ an und betrachtet diese, jeglicher menschlichen Vernunft entgegenstehende Behauptung als ernsthafte wissenschaftliche These, über die ein kontroverser akademischer Diskurs zu führen sei. „Ich glaube, das [die Existenz des Propheten (Anm. des Verf.)] kann man nicht eindeutig entscheiden, wenngleich ich zugebe, dass ich eine leichte Tendenz zu seiner Nichtexistenz habe. Aber das muss man sagen können und darüber muss man sich wissenschaftlich auseinandersetzen können.“[7]

      Der Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland (KMK)[8] sah