Ein Islam ohne Prophet. Mohammed Khallouk. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mohammed Khallouk
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844272017
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auf, woraufhin das nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerium ihn von der Ausbildungsfunktion für islamische Religionslehrer entband. Da man ihm zugleich einen eigenen Lehrstuhl für Religionspädagogik zugesagt hatte, bedeutet dies jedoch keineswegs die Verbannung aus dem bundesdeutschen Hochschulbetrieb. Dennoch hat diese ministerielle Entscheidung in der deutschen Öffentlichkeit zu einer aufgeregten Debatte geführt. Prominente Wissenschaftler und Publizisten, die schon seit jeher für eine gegenüber dem Islam reservierte Positionierung bekannt sind, darunter die Rechtsanwältin Seyran Ates, die Marburger Religionswissenschaftlerin Ursula Spuler-Stegemann und der Göttinger Orientalist Tilman Nagel, haben Solidaritätsbekundungen mit Kalisch unterzeichnet.[9]

      Man gibt sich sogar besorgt um sein Leben, da ihm unter aufrechten Muslimen das Verlassen der göttlichen Offenbarung attestiert werde, worauf die Todesstrafe stehe.[10] Konkret ist jedoch noch keine Fatwa, die zur Tötung Kalischs auffordert, von irgend einer Seite verhängt worden, von einem Plan oder gar einem unmittelbaren Versuch zur Ermordung des Religionswissenschaftlers ist erst recht nichts bekannt geworden. Wenn man bedenkt, dass selbst Salman Rushdie trotz einer gegen ihn Seitens Khomeinis in den späten Achtziger Jahren verhängten Fatwa[11] zwanzig Jahre lang sich unbehelligt in Europa bewegen konnte, so erscheinen derartige Befürchtungen in Bezug auf Kalisch künstlich heraufbeschworen und lediglich dazu zu dienen, die Medienaufmerksamkeit um seine Person aufrecht zu erhalten und zu verstärken.

      Wissenschaftlicher Standpunkt oder öffentliche Provokation?

      In der Tat erlaubt es die Religions- und Meinungsfreiheit in Deutschland auch, Aussagen wie jene zur angeblichen Nichtexistenz des Propheten Mohammed öffentlich zu äußern. Eine andere Frage ist, ob eine solche kleinkarierte luftleere Behauptung, nur weil sie aus dem Munde eines Hochschulprofessors stammt, wert ist, mit wissenschaftlichen Argumenten dazu Stellung zu beziehen. Hier erscheinen Zweifel angebracht. Abgesehen davon, dass Bekundungen dieser Art von jedem ernsthaften Muslimen ähnlich wie die in den letzten Jahren erschienenen Propheten-Karikaturen in dänischen und anderen westeuropäischen Zeitungen als Verhöhnung seiner Religion aufgefasst werden müssen, schaden sie dem Ansehen der Religionswissenschaft als ernsthafter akademischer Fachrichtung insgesamt und entwerten die Vertreter dieses Faches, die in der überwiegenden Majorität - vom Lehrstuhlinhaber bis zum einfachen wissenschaftlichen Mitarbeiter - in jahrelanger mühevoller Quellenanalyse das Wesen, die historische wie auch gegenwärtige Aussagekraft des Islam und anderer Religionen herauszustellen bemüht sind.

      Kalisch sollte sich zudem fragen lassen, warum er sich erst bewusst einer bestimmten Religion zugewandt hat, um als späterer öffentlicher Repräsentant dieser Religion ihre Kernaussagen zum Mythos zu erklären. Hier scheint er offenbar weniger von wissenschaftlicher Diskursfreudigkeit als mehr von Geltungssucht und dem Drang nach Medienaufmerksamkeit geleitet zu sein. Vergleiche lassen sich in der jüngeren Geschichte bei einigen evangelischen Theologen wie Lüdemann finden, der als Repräsentant des deutschen Protestantismus Jesus als von Naherwartungen getäuschten „Magier“ abzuqualifizieren trachtet[12] oder bei Uta Ranke Heinemann, die nach der Konversion vom Protestantismus zum Katholizismus es dort zur ersten weiblichen Theologin brachte, um von dieser Position aus wesentlichen katholischen Glaubensaussagen entgegenzutreten und sich daraufhin zu beschweren, die Lehrerlaubnis der nun als „frauenfeindlich“ charakterisierten Kirche wieder entzogen zu bekommen.[13]

      Extrempositionen schaden dem Islambild der Deutschen

      Mit jeder öffentlichen Stellungnahme von repräsentativen Organen wie dem Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland (KMK) oder anderen anerkannten Vertretern des Islam oder der Religionswissenschaft wird dieses, bei Kalisch offenbar über das Normalmass hinaus vorhandene menschliche Bedürfnis nach Anerkennung befriedigt und zugleich noch bestärkt. Dass ein bewusster Anzweifler islamischer Kernaussagen nicht angemessen Lehrer für einen Islamunterricht ausbilden kann, versteht sich von selbst. Mit der anhaltenden öffentlichen Debatte über Aussagen wie jener zur vermeintlichen Nicht-Existenz Mohammeds und anderer Propheten wird vielmehr vom für die deutsche Gesellschaft notwendigen Diskurs über den geeigneten Weg einer Integration des Islam und der 5 Millionen in den vergangenen Jahrzehnten dort hineingelangten Muslime, sowie der Gleichstellung des Islam als Religion und Körperschaft öffentlichen Rechts neben den bereits seit Jahrhunderten in Deutschland ansässigen Juden- und Christentum abgelenkt.

      Indem man Vertretern mit extremen Randpositionen – seien es radikale Fundamentalisten oder Ignoranten jeglicher, als allgemein verbindlich geltender religiöser Glaubensinhalte – eine primäre Stellung in der Öffentlichkeit zubilligt, wird ein Zerrbild vom Islam vermittelt und Ressentiments, die aus der gewöhnlichen alltäglichen Konfrontation mit Muslimen heraus bei der nichtmuslimischen Majorität in Deutschland nicht entstehen können, werden künstlich hervorgerufen. Ein aus eigener Initiative der Muslime erfolgender und sich bisher als weitgehend erfolgreich erweisender Integrationsprozess wird auf diese Weise konterkariert.

      Historische Fakten werden ignoriert

      Wenn eine ernsthafte universitäre Ausbildung zum islamischen Religionslehrer an staatlichen Schulen in Deutschland bisher nicht erreicht worden ist, so liegt dies nicht zuletzt auch daran, dass die deutschen Hochschulen den Repräsentanten des islamischen Mainstream den Zugang zu Forschung und Lehre künstlich erschweren, weil sie an ihrer Stelle Vertretern ideologischer, irrationaler, ohne wissenschaftlichen Gehalt aufgestellter, sowie dem allgemeinen Konsens entgegenstehender Behauptungen eine Karriere in ihren Institutionen zugestehen. Ein wesentlicher Beitrag zur Integration wäre bereits geleistet, wenn diese Einstellungspraxis deutscher Lehranstalten reflektiert und überdacht wird.

      Am meisten wird die Reflexion ihrer Aussagen von den Wissenschaftlern aber selbst erwartet und vorausgesetzt. Niemand sieht sich gezwungen, die religiöse Stellung, die Muslime ihrem Propheten zugestehen, für sich zu übernehmen – ob er sich dann noch als Muslim bezeichnen kann, stellt eine andere Frage dar. Ein erklärter Nichtmuslim wird auf jeden Fall Mohammeds Ansichten und Äußerungen keine Bedeutung für sein eigenes Leben und darüber hinaus beimessen. Dies ist sein gutes Recht. Die Anzweifelung jeglicher Existenz der Person Mohammeds kann jedoch nur als bewusste Provokation der Muslime und letztlich als Ignorieren historisch erwiesener Fakten gewertet werden. Schließlich bestehen zahlreiche Textquellen von Nichtmuslimen, vor allem von Christen seiner Zeit, die auf Begebenheiten mit ihm hinweisen, welche in Koran und Sunna ebenfalls eingehend beschrieben sind.[14] So mag ein Nichtchrist die zahlreichen biblisch beschriebenen Wunder Jesu wie die Speisung der Fünftausend oder den Gang auf dem See Genezareth und nicht zuletzt seine Auferstehung vom Tode als mythologische Verklärung der Evangelisten interpretieren, die Existenz Jesu als Person kann jedoch auch er nicht beschreiten, denn nichtchristliche Zeitzeugen wie der Römer Tazitus haben gleichermaßen darauf Bezug genommen.[15]

      Wenn neuerdings anerkannte Hochschulprofessoren solche Berichte einfach übersehen oder für nicht aussagekräftig abqualifizieren, so lassen sie erkennen, dass es ihnen nicht in erster Linie um die argumentative wissenschaftliche Auseinandersetzung mit für die Religionen bedeutenden Autoritäten geht, sondern hier kommt eine Aversion gegen die Religion selbst und ihre Repräsentanten zum Ausdruck, mit denen man vielleicht negative Erfahrungen verbindet, für die man im Unterbewusstsein sich zu rächen versucht. Ein universitärer Lehrstuhlinhaber sollte jedoch einerseits in der Lage sein, die gesellschaftlichen Auswirkungen seiner öffentlichen Äußerungen abzuschätzen und andererseits zu zwischen seinen persönlichen Erfahrungen mit einer Religion, seinem individuellen Glauben und historisch belegten Tatsachen differenzieren, die auf sich allein gestellt noch keine Bewertung des religiösen Glaubensinhalts darstellen. Anderenfalls hat er sich für den akademischen wissenschaftlichen Diskurs insgesamt und bezüglich Religion im besonderen disqualifiziert.

      Historisch-archäologische Quellenanalyse oder verallgemeinernde Pauschalisierung?

      Kalisch rechtfertigt seine umstrittenen, von bisher als unumstößlich geltenden islamischen, aber auch jüdischen und christlichen Glaubensaussagen abweichenden Positionen gerne mit