Ich wünschte, ich hätte eine Antwort. Doch leider konnte die mir niemand geben.
Während das Wasser geräuschvoll in die Maschine gluckerte, schloss ich die Augen und versuchte mich an ihre Worte zu erinnern.
An ihre Gesten.
Ihre Stimme.
Alles schien so weit weg. Dennoch war ich mir ganz sicher, dass ich mir Laura nicht eingebildet hatte. Sie würde mit mir reden. Früher oder später. Vielleicht in meinen Träumen. Oder wenn ich mal wieder ohnmächtig war? Lieber wäre es mir, wenn sie sofort auftauchen und vor allem bleiben würde.
Letzteres war unmöglich; ich wusste das.
Seufzend nahm ich eine Tasse aus dem Schrank und füllte sie mit dem köstlich riechenden, dampfenden Getränk, dessen wohlwollendes Aroma verlockend an meinen Sinnen zupfte. Die Maschine hatte ihn auf meine Programmierung hin bereits mit Milch und Zucker versetzt. Ich brauchte heute Zucker. Viel davon! Außerdem war mir nach einem riesigen Steak und diversen anderen Dingen, die ich allesamt nicht vorrätig hatte. Und dass, nachdem ich bereits eine riesige Ladung Eierkuchen vertilgt hatte. Missmutig schielte ich auf den leeren Teller, der auf dem Tisch stand. Mein Magen knurrte hungrig. Anscheinend mutierte ich durch meine Nahtoderfahrung zu einem gefräßigen Etwas.
Der Kaffee belebte meine Sinne, rollte weich und heiß über meine Zunge, meine Kehle hinunter und durchflutete mich mit wärmender Energie.
Himmlisch.
Seufzend trank ich einen weiteren Schluck und stellte mir vor, wie es wäre ihn unter schöneren Umständen zu genießen.
Es gelang mir nur kläglich.
Zu viele Dinge schwirrten in meinem Kopf herum, die jegliche, wundervolle Illusion zerstörte. Alans Stimme riss mich aus dem Versuch, wenigstens eins der schönen Trugbilder aufrecht zu erhalten. „Ich habe sämtliche Jobs der nächsten Wochen abgesagt. Bingham wird sich dafür verantworten müssen.“ Schön. Sämtliche Jobs, ha. Dass ich nicht lache. Wenn er einen in zwei Monaten annahm, war das schon fast eine Premiere. Kein Wunder, bei dem Geld was man ihm für einen Job anbot. Besonders, da sich sämtliche Agenturen um ihn rissen.
Glaubte Alan ernsthaft, er könnte Bingham aufspüren?
Ich bezweifelte es.
Noch mehr bezweifelte ich, dass Bingham in seinem burgähnlichen Anwesen auf die Rache des Gestaltwandlers wartete. Mehr als ein schwaches Nicken brachte ich nicht zustande. Wo sollte ich mich vor Bingham verstecken?
Was, wenn er es nochmal tat?
Was, wenn er es diesmal nicht auf die langsame Art versuchte, sondern mir gleich das Genick brach?
Ich schauderte bei dieser Vorstellung.
Gleichzeitig schauderte es mich bei dem Gedanken, wieder bei Alan wohnen zu müssen. Gab es denn keine andere Lösung? „Er wird es bereuen, meine Gefährtin angegriffen zu haben.“
Alan sprach so leise, dass sich bei mir sämtliche Nackenhaare aufstellten. Ah... die Sache mit der Gefährtin. Noch eine dieser unerfreulichen Angelegenheiten, die ich gern verdrängte. Bingham hatte das sicher nicht gewusst.
Was brachte es Alan also, jetzt das Kriegsbeil auszugraben?
Genau das hatte er am Telefon nämlich getan.
Nicht, dass ich Bingham verteidigen wollte, aber ich hatte die untrügerische Vermutung, dass der Wandler ihn möglicherweise mehr unter Kontrolle gehabt hatte, als wir alle vermuteten. Jetzt rächte er sich für dessen Tod. Möglicherweise hatte er gesehen, wie ich den Wandler, der Romans Aussehen angenommen hatte, ins Jenseits gesprochen hatte. Gesprochen – jawohl. Als movere besaß ich unter anderem die Fähigkeit, die Namen von Energiepunkten zu erkennen. Mit Hilfe meiner Stimme konnte ich durch das Aussprechen eben dieser Namen gewisse Vorgänge aktivieren beziehungsweise erzwingen. Selbst den Tod.
Hm.
Nein.
Das Aussehen des Wandlers schien keine Rolle zu spielen. Roman Bingham hatte ich kein Haar gekrümmt, was Bingham Senior wissen müsste. Gab es sonst jemanden, den ich massakriert haben könnte?
„Sam, du wirst mit mir kommen. Ich werde es nicht riskieren, dich diesem Vampir auszuliefern. Einen weiteren Angriff wirst du nicht überleben.“ Das war mir auch klar.
Doch alles in mir sträubte sich, mich von ihm bevormunden zu lassen. Oder ihn pausenlos um mich herum zu haben.
Ohne Freiraum.
Er beanspruchte mehr von mir, als ich bereit war ihm zu geben. Zumindest auf geistiger Ebene. Mein Körper hatte in seiner Nähe die Tendenz meine Vernunft zu übertrumpfen. Ich erinnerte mich sehr wohl an den Abend, an dem Roman – unter dem Einfluss des Wandlers – Alan aus seinem Haus entführt hatte. Wäre das nicht geschehen, wäre ich mit ihm im Bett gelandet. Oder gleich auf dem Teppichboden des kleinen Salons. Eine leichte Röte überzog meine Wangen, als ich mich daran erinnerte. Hoffentlich fiel das Alan nicht auf. „Nein, werde ich nicht. Ich habe andere Möglichkeiten.“ Humphrey zum Beispiel. „Mach dich nicht lächerlich, Sam. Du wirst mitkommen. Ohne Diskussion.“ Er träumte wohl! „Nein. Du kannst mich nicht zwingen.“ Alan schnaubte anzüglich. „Kann ich nicht?“ Schneller als ich blinzeln konnte, stand er hinter mir und biss mir in den Nacken, so dass mir die Tasse mit dem Kaffee klirrend aus den Händen fiel. Meine Knie gaben nach. Hätte er mich nicht festgehalten, wäre ich der Tasse gefolgt.
Mir war zum Heulen zumute.
Ich hasste es, wenn er das machte.
Ich hatte einen freien Willen, verdammt nochmal!
Doch durch seinen Alphastatus beziehungsweise seine Fähigkeit als Gestaltwandler, raubte er mir diesen, indem er mir einfach meine Bewegungsfähigkeit nahm.
Beinah so wie Bingham, der mir die Möglichkeit genommen hatte mich gegen ihn zu wehren. Konnten sie das nur tun, weil ich ein Mensch war?
Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass Alan auch andere Möglichkeiten hatte mich zum Gehorsam zu zwingen.
Ohne mit der Wimper zu zucken oder das Chaos in meiner Küche zu beseitigen, warf Alan mich über seine Schulter und trug mich nach draußen. Dort ließ er mich auf den Beifahrersitz seines Autos plumpsen und schnallte mich an. Er rannte zurück zum Haus, verschloss die Tür, kam zurückgerannt, riss die Fahrertür auf, hob vorsichtig meinen Kopf an, der nach vorn gefallen war – weil ich ihn nicht aufrecht halten konnte – streichelte mit dem Daumen über meine Wangen und lehnte meinen Kopf vorsichtig an die Stützen. Er sagte kein Wort, als er das Auto startete und wie ein Irrer durch die Stadt bis zu seinem Anwesen raste.
Noch immer konnte ich mich nicht rühren und auch nichts dagegen unternehmen, dass er mich erneut wie einen Kartoffelsack über seine Schultern warf und mit mir ins Haus stürmte, in dem er mich direkt in den kleinen Salon auf die Couch verfrachtete. Obwohl ich unfähig war zu sprechen, sagte ihm mein Blick hoffentlich mehr als tausend Worte. „Ich werde mich dafür nicht entschuldigen, Sam. Hasse mich, wenn dir dabei wohler ist. Aber zweifle niemals meinen Entscheidungen an. Ich bin nun mal, was ich bin.“ Als ob mich das interessierte!
Hatte mich jemand nach meiner Meinung gefragt?
Nein!
Hatte ich ein Mitspracherecht?
Offensichtlich nicht.
Verflucht, was war nur mit meinem Leben passiert? Was war meine Existenz wert, wenn ich nicht mehr selbst entscheiden durfte?
Sicher: Alan war ein Hingucker von einem Mann. Groß, mit den richtigen Proportionen, langen Beinen, einer breiten Brust, wohl definierten Muskeln, einem göttlichen Gesicht, beeindruckenden Augen, sinnlichen Lippen und einer Stimme wie Samt und Honig. Sex, verpackt in einer stattlichen männlichen Hülle, unter deren Oberfläche die Gefahr lauerte.
Im Moment brodelte die so deutlich, dass ich liebend gern einige Kontinente zwischen uns gehabt hätte. Doch es loderte