„Du hast deine Arbeit gut gemacht, Joswig. Unseren Dank dafür!“, sagte Hinrich anerkennend. Joswig nahm seinen vereinbarten Obolus entgegen und versicherte uns nochmals seine vollste Verschwiegenheit. Wir tranken unser Bier und Joswig verabschiedete sich eilig und verschwand so schnell wie er gekommen war. Hinrich und ich sahen uns an und wussten genau, dass nun der schlimmste Teil des heiklen Vorhabens auf uns zukam. Wir mussten Vater und Josephine davon in Kenntnis setzen. Und zwar sehr behutsam, um die gerade wieder gewonnene Eintracht der Familie nicht aufs Spiel zu setzen. Zuerst sprachen wir mit Josephine, die wir mit aller Geduld überzeugen wollten.
In einem unserer Meinung nach günstigen Moment sprachen wir sie in der Küche an, als Vater noch im Hafen weilte. Doch leider war ein wenig Zorn im Spiel und die Katastrophe nahm ihren Lauf.
„Wir erfuhren von den Geschäften des Freiherrn von Bräsow. Man sagt, er schmuggelt Waffen nach Preußen. Er tarnte seine Wagen mit Weizensäcken. Dies alleine ist schon ein Verrat gegen sämtliche Reichsdeutschen, weil Friedrich II. doch gegen unseren Wiener Kaiser und gegen andere Deutsche marschierte. Doch auch noch Waffen dem Kriegstreiber zu zuschieben ist unverzeihlich! Wir meinen, der Mann ist nicht der richtige Umgang für unsere Schwester. Sag uns, wie du darüber denkst. Vater haben wir noch nichts gesagt und wir hoffen insgeheim, dies auch nicht tun zu müssen“, sagte Hinrich zwar in ruhigem Ton, aber ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen.
„Welchen Umgang ich pflege, müsst ihr mir überlassen. Da ihr zudem keine Beweise habt, sondern nur etwas glaubt gehört zu haben, sollten wir ihn fragen, wenn Bernhard wieder in Hamburg ist. Nicht wahr! Oder kennt ihr jemanden, der den Weizen gesehen hat?“, antwortete Josephine und stocherte nervös im Suppentopf herum. Hinrich schaute mich kurz ratlos an.
„Josephine, es ist so, dass Joswig den Weizen und die Waffen im Boizenburger Hafen gesehen hatte. Und zwar kurz vorm Ausschiffen elbaufwärts. Es gibt leider keinen Zweifel, Bernhard schmuggelt Waffen nach Preußen.“
„Tu nicht so scheinheilig, Caspar! Euch beiden würde es niemals leidtun, wenn es so wäre. Mein Lebensglück ist euch doch ein Dorn im Auge. Ich frage mich, was Joswig in Boizenburg macht, der sollte doch nur nach Stormarn fahren. Könnt ihr mir das erklären, ihr scheinheiligen Heuchler?“
„Gut Schwester, wir legen die Karten auf den Tisch. Wir haben Joswig hinterhergeschickt, weil wir von Bernhard von Bräsows Getreideschmuggeleien gehört hatten. Ist ja jetzt auch egal. Er ist jedenfalls ein Spion und ein Schmuggler der übelsten Sorte, und ich behaupte, dass er dich nur heiraten will, um einen Zugang zur Hamburger Kaufmannschaft zu erhalten“, fügte Hinrich druckvoll hinzu. Josephine fing an, mit Gegenständen nach uns zu schmeißen, die selbstredend in der Küche in ausreichender Zahl zur Verfügung standen.
„Ihr verlogenen Heuchler! Alle beide. Ihr droht mir, Vater alles zu sagen und ihr hintergeht mich, wolltet mich tölpelhaft überrumpeln. Haut ab aus meiner Küche und lasst euch hier nicht mehr blicken!“, brüllte sie und warf weitere Teller und Töpfe auf uns, die von immer größeren Ausmaßen waren und immer dichter auf uns zu flogen. Wir hatten alles vermasselt und fühlten uns bald elendig und schuldig, hatten wir doch langfristig das Unglück von unserer geliebten Schwester fernhalten wollen. Doch es kam noch viel dicker.
Plötzlich ging die Tür zum Dachboden auf und Lisa schaute vorsichtig mit dem Kopf durch die Tür.
„Ihr sitzt hier ja immer noch“, sagte sie überrascht und traute sich anschließend mit dem ganzen Körper in den Raum. Sie zündete Kerzen an, die zahlreich auf der hell gebeizten Anrichte standen, da es inzwischen an Tageslicht mangelte.
„Setz dich zu mir!“, befahl Cornelius verschlafen und schaufelte ein paar Kissen vom Kanapee, um für den notwendigen Platz zu sorgen.
„Habt ihr schon zu Abend gegessen?“, fragte Lisa besorgt.
„Nein, aber ich könnte …“ Cornelius bremste sich aus.
„Ich gehe runter und hole etwas herauf“, entgegnete sie und verschwand genauso schnell, wie sie gekommen war. Eigentlich hätte sie ihren Sohn nur ansehen müssen.
„Die Armenspeisung geht weiter … “, frotzelte Caroline in gewohnter Manier.
„Ja, wir sind arm dran, wenn wir Hunger haben … “, grinste Cornelius. Ich versuchte den Faden nicht zu verlieren und erzählte unbeirrt weiter.
Wenig später kam Johann Ludwig Kock nachhause und Josephine hatte sich zunächst wieder beruhigt. Allerdings sprach sie mit uns kein Wort mehr. Vater schaufelte völlig ausgehungert Josephines mit Speck angereicherte Gemüsesuppe in sich rein, und sagte nichts ahnend nach einiger Zeit:
„Leider habe ich schlechte Nachrichten für dich, Josephine. In der Commerzdeputation sprach man von Herrn von Bräsow. Es sickerte der Name des Schiffes durch, dessen Eigner er anteilsmäßig sein soll. Die Fregatte heißt Hellesand. Wohl wissend war es nicht mehr schwer herauszufinden, in welcher Absicht das Schiff unterwegs ist. Die Hellesand befördert Sklaven von der Guineaküste nach Westindien! Dein feiner Herr aus Mecklenburg ist lupenreiner Sklavenhändler! Was das bedeutet, brauche ich wohl nicht näher zu erklären, oder?“
„Nun fängst du auch noch an, Vater! Ihr habt euch alle gegen mich verschworen!“, platzte es aus meiner Schwester heraus, die sich nun erst recht in die Enge getrieben fühlte. Wutentbrannt verließ sie den großen Tisch der Diele und war am selben Tage nicht mehr zu sehen gewesen.
„Hast du denn nichts gewusst von alledem? Willst du dieses unmenschliche Handeln unterstützen?“, brüllte er ihr wütend hinterher, „wir können auch ohne das Leid der schwarzen Menschen aus Afrika unser Geld verdienen!“ Bald hatte er sich wieder beruhigt, und Hinrich fühlte sich verpflichtet, ihm noch den Rest der Misere zu erzählen.
„Nun müssen wir es dir sagen, Vater. Er ist auch in anderen abscheulichen Dingen unterwegs.“
„Sag schon, was macht Herr von Bräsow denn noch so?“
„Er schafft Weizen nach Preußen und außerdem versorgt er König Friedrich mit Waffen über unseren Hafen! Joswig hat die Ladung in Boizenburg gesehen, kurz vor der Verschiffung, die der Freiherr aus dem Hamburger Hafen dorthin schaffte“, erwiderte Hinrich.
„Und ihr habt ihm Joswig nachgeschickt?“
„Ja!“
„Jetzt verstehe ich zumindest Josephines heftige Reaktion. Nun, ich glaube, das Problem wird sich von alleine lösen. Oder rechnet ihr damit, dass der Kerl nochmals hier auftauchen wird?“
„Viel wichtiger ist doch jetzt Josephines Einsicht. Sie braucht Zeit darüber nachzudenken und ich hoffe, mit ein wenig Abstand zieht sie die Konsequenzen. Schließlich haben wir uns nur zum Wohl der Familie und aus moralischen Gründen in ihre Privatsachen eingemischt“, fügte ich beschämt hinzu. Ich ärgerte mich über unsere Unfähigkeit, ihr die Dinge nicht schmerzfrei beibringen zu können.
„Wenn Sklaven- und Waffenhändler sich unter meinem Dach bewegen, ist das keine Privatsache mehr, Caspar!“ Vater hatte unmissverständlich die Sache auf den Punkt gebracht. Dennoch hatten wir Josephine einem unzumutbaren Wortschwall ausgesetzt, der ihre Gedanken im Keim erstickte und sie zu manchen unüberlegten Sätzen veranlasste. Vater hatte immer vermieden, seine Tochter schlechter zu behandeln, als die beiden Söhne und so sollte es eigentlich auch bleiben.
Am nächsten Morgen war Josephine nicht mehr da. Später erhielten wir eine Mitteilung von ihr. Darin stand lediglich, dass sie geheiratet hatte und ihr neuer Name lautete: Josephine Freifrau von Bräsow. Ich habe dem nichts hinzuzufügen. Es erklärte sich alles von selbst. Natürlich haben wir alle Josephine vom ersten Tag ihres Fernbleibens vermisst. Ihre frohe Natur und ihre quirlige Lebensart erfüllten ab sofort nicht mehr die elterlichen Räume in der Katharinenstraße. Natürlich machten wir uns große Vorwürfe, weil wir ihr es nicht gerade behutsam beigebracht hatten. Zwar taten wir unser Bestes und das war einfach viel zu wenig, um unserer Schwester gerecht zu werden.