Wir machten uns bekannt, nachdem auch Arian, Hannes und Peter unser Kauderwelsch hörten und ich erfuhr, dass durch die Adventure die Offiziersfrauen in Fort Western bei ihren Männern bleiben werden. Die Festung Fort Western war erst 1754 entstanden, nachdem erkannt wurde, dass gegenüber den Franzosen eine klare Position im Tal bezogen und das Tal gesichert werden musste. Man brauchte die Zeit, um auch Quartiere für die Familien der Soldaten zu bauen. Doch nun, drei Jahre später, sollte es soweit sein und man wollte übermorgen die Fertigstellung der Behausungen in Fort Western gebührend feiern. Nachdem wir die Hintergründe unserer Reise erzählten, musste ich Mrs. Weller natürlich aus ihrer Heimat berichten, die nur einen Steinwurf von Hamburg entfernt lag, bevor sie ihre Geschichte von ihrer Ausreise erzählte:
„Lars Goldmann hatte von seinen Eltern einen kleinen Bauernhof am Stadtrand von Altona geerbt. Er warf nicht viel ab. Es reichte gerade zum Überleben für uns. Bald darauf sollte auf unserem Anwesen eine neue Kaserne für die königliche Garnison der Stadt gebaut werden. Lars weigerte sich heftig, den elterlichen Hof aufzugeben. Schließlich stellten die Unterhändler des Königs ein Ultimatum. Die Zeit verstrich gnadenlos. Wir führten heftige Diskussionen, ob weiterer Widerstand sinnvoll oder nicht sinnvoll sei. Doch schon allein wegen unserer Kinder musste bald eine Lösung her. Am entscheidenden Tag stand der Unterhändler mit einem großen Bautrupp und zusätzlichen Soldaten vor der Tür. Lars und ich sollten beeindruckt und eingeschüchtert werden, was ihnen leider auch gelang. Wir hatten eine halbe Stunde Zeit das Nötigste zu packen. Ein Säckchen mit Goldmünzen reichte man uns, mit dem Hinweis, dass wir noch Glück hätten …“
„Dann war das keine freiwillige Entscheidung, sondern Erpressung!“, stellte Hannes fest und Katharina Weller fuhr schluchzend fort:
„Das Geld reichte, um über England die Überfahrt nach Boston zu bezahlen. Doch wie sich bald herausstellte, war es keine gute Idee von uns gewesen.“
Sie machte eine Pause. Mrs. Weller atmete schwer und große Tränen kullerten über ihre Wangen. Mrs. Evans legte ihren Arm um sie. Nach einer Weile hatte sie sich wieder gefangen. Ohne von uns gedrängt zu werden, erzählte Katharina weiter, während über unseren Köpfen eine laut schnatternde Schar Wildgänse flog:
„Meine beiden Söhne starben auf dem Schiff, noch bevor wir die amerikanische Küste sahen. Wir konnten sie nicht einmal vernünftig beerdigen ... und zwei Tage nach unserer Ankunft starb Lars an dem gleichen tödlichen Fieber …“ Mrs. Weller vergrub ihr zartes Gesicht an der Schulter von Mrs. Evans. Wir waren sehr bewegt, denn wer öffnete sich so schnell fremden Menschen gegenüber? Nun bot Mrs. Livingston ihre Hilfe an, indem sie den Rest der Geschichte erzählte:
„In Boston lernte Katharina meinen Vetter Kenneth Weller kennen. Schon bald hatte er mehr abgefallene Knöpfe an seiner Uniform, als es überhaupt nur möglich war. Später erfuhren wir, dass er auch die Uniformen der Kameraden in die Nähstube brachte! Zumal die Sachen eigentlich in der Kaserne geflickt werden. Doch dazu muss man wissen, dass die hübsche Katharina Goldmann mit ihrem allerletzten Geld aus Altona eine kleine Nähstube eröffnet hatte, die sie erfolgreich in der Stadt betrieb. Jedermann wusste von ihrem Schicksal und so war es nicht verwunderlich, dass vor allem Männer sie aufsuchten, auch um ihr einen Höflichkeitsbesuch zu machen. Seit nunmehr zwei Jahren sind Kenneth und Katharina glücklich verheiratet.“
„Was wurde aus der Nähstube?“, fragte Peter spitzbübisch.
„Die habe ich vor einem halben Jahr verkauft. In der neuen Heimat am Kennebec geht die Kleidung auch kaputt, da bin ich ganz sicher!“, antwortete Katharina selbst, nachdem sie die Flut ihrer Tränen überwunden hatte.
„Ihr Mann Kenneth ist zu beneiden, eine so starke Frau an seiner Seite in der Wildnis. Meinen Respekt, Frau Weller!“, schmeichelte Arian seiner ehemaligen Landsmännin mit friesischen Obertönen, die seiner Sprache eine schöne Färbung beimischte.
„Wir sind da!“, schrillte Mrs. Livingston und schaute halb links auf eine Bucht, die mit meinen Augen so aussah wie alle anderen auch. Hannes und Peter liefen mit den Kindern von Mrs. Evans zum Bug, während die Matrosen routiniert die Segel des Schoners strichen. Auf der Backbordseite sah ich langsam die Umrisse einer Flussmündung, die mit dem breiten Kennebec zusammentraf und in ihrer Mitte eine stattliche Landzunge bildete. Die Gestade waren mit einer Anlegestelle samt Brücke überbaut, die den regionalen Schiffsverkehr aufnehmen konnte. Ein Schoner, mehrere Schaluppen mit einfachen Masten, Hausboote und flache Lastensegler, die für die Weiterfahrt zum Fort Halifax geeignet waren, lagen hinter dem Anleger. Eine breite Brücke und Holzstege führten zu den höher gelegten Bereichen des befestigten Ufers, sodass bei Hochwasser die Füße zum Fort trocken blieben. Nun sah ich auch die Umrisse des Forts, die aus dem nahen Wald schwer erkennbar wurden. Aufrecht in den Boden gerammte grobe Holzpfosten bildeten die Begrenzung der Anlage, während Gebäude, Türme, Lagerhäuser und ein lang gezogenes Haupthaus zu sehen, beziehungsweise zu erahnen waren. Die Kinder von Mrs. Evans konnten das Anlegemanöver gar nicht abwarten und turnten gefährlich nah an der Reling des Schiffes herum, bis Piet sie ermahnte. Ich sah mich um und stellte fest, dass die Uferbereiche überall bewaldet waren. Hier hatten die Menschen noch keine großen Felder zum Anbau von Feldfrüchten geschaffen. Alles schien noch in dem ursprünglichen Zustand zu sein. Auf der Brücke zum Ufer bemerkte ich zahlreiche Kanus, die unterhalb auf dem angespülten Sand nebeneinander wie die Hühner auf der Stange dalagen. Sie waren von gleicher Bauart wie die Baumrindenkanus, mit denen ich selbst beinahe quer durch Kanada paddelte. Nach zwei Tagen Seefahrt auf der Adventure hatten wir unser erstes Etappenziel erreicht. Nun kam es darauf an, hier die richtigen Leute zu treffen, nachdem wir uns von Mr. Dwight und seiner Besatzung erholt hatten.
D. Die Neue Welt – Caspars Route
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