Unten auf dem Bau wird fleißig gearbeitet. Es wimmelt von Maurern, Zimmerleuten und Handlangern. In diesem Jahr wird noch nichts Neues gebaut, nur wohnlich wird das Wohnhaus gemacht.
Als ich mir die Geschichte näher ansah, hatte ich ein langgestrecktes altes Fachwerkhaus von Herrn Pendel gekauft, das äußerlich gar nicht übel aussah. Früher – es soll 1848 nach einem großen Brand erbaut worden sein – war es ein Zweifamilienhaus, zwei Landarbeiterfamilien wohnten darin. In den letzten Jahrzehnten hatte aber immer nur eine Familie darin gewohnt: ein Viehhändler, ein Seradella-Händler, schließlich Herr Pendel, von dem noch zu reden sein wird. Alle diese Leute hatten wenig Forderungen an Behaglichkeit gestellt. Daß keine Wasserleitung im Hause war, ist verständlich, natürlich gab es überhaupt keine Wasserleitung im ganzen Dorf, nur Brunnen. Daß aber dieser Brunnen bei uns direkt neben einem grün schillernden Jauchetümpel lag, war weniger schön. Auch die bewußten Herzhäuschen direkt bei der Küche gefielen mir nicht so recht, ich mußte immer an die muntere Zirkulation der Fliegen denken. Keine Diele war heil, nur zwei Stuben heizbar, die Räume entweder preußischblau oder schweinfurtergrün gekalkt, soweit der Kalk noch an den Wänden saß. Zum Boden führte eine wacklige Stiege empor. Dort oben gab es Heureste, einen zertretenen Lehmboden und einen Verschlag für das etwaige Mädchen.
Heil war nichts, aber auch gar nichts, in Haus und Hof. Selbst das Vieh – von der Erikuh erzähle ich an anderer Stelle – war voll Überraschungen und Tücken. Noch ein Jahr später lachten Suse und ich, wenn wir irgend etwas aus dem Besitz des Herrn Pendel in die Hand bekamen: es war so sicher kaputt, wie das Amen in der Kirche fällig ist. Da war kein Schaufelstiel, der nicht angebrochen, kein Baumpfahl, der nicht abgefault war. Von den Hämmern flogen die Köpfe durch die Luft, die Wagen wieder waren mit Stricken geflickt und brachen boshaft zusammen, sobald man eilig zur Bahn mußte, die Klositze rutschten überraschend unter einem fort.
Die vornehmste Leidenschaft des Herrn Pendel aber hatte den Nägeln gegolten. Er muß eine wahre Leidenschaft für Nägel gehabt haben. Wo ein andrer Mensch einen Nagel eingeschlagen hätte, schlug er deren zehn ein – worauf die Sache bestimmt nicht hielt. Man mußte sich verdammt vorsehen: überall spießten Nagelspitzen. War man unachtsam, hatte man sie gleich in irgendeinem Körperteil.
Er nagelte alles, was es nur auf der Welt gab: Tische, Stühle, Zäune, Schaufelstiele, Sensen, Fässer, Klodeckel, aber vor allem Obstbäume. Ich ahne es heute noch nicht, warum dieser Mann Dutzende von Nägeln in jeden Obstbaum gehauen hat. Vielleicht reagierte er seinen Zorn auf diese Welt, in der er nicht zurechtkam, damit ab. Manchmal stelle ich ihn mir vor, wie er nach seinem (gänzlich mißglückten) Tagwerk des Abends in den Garten geht, ein gutes Nagelsortiment in der Tasche, einen loseköpfigen Hammer in der Hand. Und nun fängt er an zu nageln, Kirschen, Pflaumen, Äpfel, Birnen – es kam ihm nicht darauf an. Diesen Nagel für die Sense, die in einen Stein ging. Und diesen für die Erikuh, die mich schlug. Und diesen für die Hella, die wieder mal gebockt hat. Und diesen und diesen und diesen für die Patzigkeit meiner Frau!
Noch nach vielen Monaten fanden wir immer neue Nägel in den Obstbäumen. Ja, als wir längst damit durch zu sein glaubten, als der böse Winter 39/40 viele unserer Obstbäume erfrieren ließ, die wir dann zerschnitten, geriet unsere Säge noch tief im Innern der Bäume auf längst verwachsene Nägel. Dann dachte ich wieder an Herrn Pendel …
Mit Bewußtsein habe ich Herrn Pendel ein erstes und einziges Mal bei der Übergabe seines Besitzes an mich gesehen. Da machte er keinen schlechten Eindruck, ein großer Mann Mitte der Dreißiger, mit einem schwarzen Bärtchen. Ich kam nicht auf den Gedanken, daß dies der Urtypus eines nicht glückhaften Menschen sei. Er hatte ein sonores Organ, er kam mir recht sicher vor. Aber er war es nicht, noch weniger als ich, der bei dieser Übergabe immer von dem Gedanken geplagt war, Herr Pendel könne vielleicht doch gemerkt haben, daß ich ihn und meinen Besitz zum erstenmal sah.
Ein wenig sehr geldgierig kam er mir vor. Ich hatte Haus und Hof mit allem lebenden und toten Inventar gekauft, und ich hatte sofort, ohne alles Handeln, den Preis bewilligt, den er gefordert hatte. Nun aber, bei der Übergabe, kam Herr Pendel mit einer langen Liste von Dingen hervor, die ich noch extra kaufen sollte, die nicht zum Hofinventar gehörten, die sein persönlicher Besitz seien:
Zum Beispiel: der Hofhund, der ein rauhhaariger Airedale war und darum den schönen Namen »Rautendelein« führte.
Zum Beispiel: die Kette zu dem Hofhund.
Zum Beispiel: die Hütte zu dem Hofhund.
Zum Beispiel: der Futternapf für den Hofhund.
Zum Beispiel: die Hundesteuer.
Zum Beispiel: eine Obstbaumspritze, die nachher nicht ging.
Zum Beispiel: ein Ruderboot – später erwies es sich als verfault.
Zum Beispiel … Zum Beispiel … Zum Beispiel …
Mit einer geradezu schafsmäßigen Geduld kaufte ich alles; ich wollte mit Herrn Pendel fertig werden, ich wollte endlich Selbstherrscher aller Reußen sein.
Zum Schluß kam Herr Pendel noch mit einem kleinen, flachen, blauen Karton an. Er tat sehr geheimnisvoll mit diesem Karton. »Da habe ich noch etwas ganz besonders Schönes für Sie – gerade weil Sie Schriftsteller sind!«
Der Inhalt des blauen Kartons erwies sich als eine Kupferplatte zum Druck von Ansichtspostkarten, darstellend das »Haus Pendel am Mahlendorfer See«.
»Von einer ersten Künstlerin gestochen«, flüsterte Herr Pendel aus seinem schwarzen Bart. »Ganz was Künstlerisches – gerade für Sie!«
Und er drückte mir den Karton in die Hand.
»Danke schön, Herr Pendel«, sprach ich. »Es freut mich, daß Sie mir das verehren wollen!«
»Alles will ich Ihnen nun aber auch nicht verehren«, sprach Herr Pendel gekränkt, aber sonor. »Die Platte kostet dreißig Mark!«
Dies mir, dem er eben sein verfaultes Boot angedreht hatte! Und ich bezahlte die dreißig Mark! Später, als ich einmal wirklich Ansichtskarten nach der Platte drucken lassen wollte, zeigte sich natürlich, daß sie einen Riß hatte! Bei Herrn Pendel war eben nichts heil.
Er war einer jener unseligen Stadtmenschen, die eine tiefe Liebe zum Lande haben und doch nicht das geringste Geschick für das Landleben. Er war schon zu sehr verstädtert. Als er sich den kleinen, hoch mit Hypotheken belasteten Besitz gekauft hatte, war er wohl des Glaubens gewesen, er könne mit Weib und Kind von sechs und einem halben Morgen Land leben. Bald sah er ein, daß dies für einen Landwirt nicht möglich war, vielleicht aber für einen Gärtner. So legte er ein Frühbeet an und zog Gemüsepflanzen zum Verkauf. Aber in dieser ländlichen Gemeinde gab es keine Käufer für Gemüsepflanzen, oder aber die Gemüsepflanzen mißrieten auch; bald verfaulte das Frühbeet.
So hat Herr Pendel noch manches angefangen, er nahm Sommergäste und Ferienkinder, er verlegte sich aufs Angeln, schließlich holte er sich die sogenannte kleine Konzession und machte einen Kaffeegarten auf. »Haus Pendel« lag so schön am Mahlendorfer See, die Sommergäste aus Bergfeld mußten doch kommen. In den Obstgarten wurden geliehene Gartentische und Stühle gesetzt, Kaffeegeschirr wurde angeschafft, Selterswasser und Brause beim nächsten Bierverleger entnommen, Ansichtspostkarten gedruckt – alles war bereit, nur die Gäste blieben aus.
Es ist rührend und kläglich anzusehen, wie sich solch unglückhafter Mensch tausendfach abmüht, und erreicht doch weniger als der erste beste Dummkopf. Die Leute im Dorf haben’s mir später erzählt, wie es bei Pendels zuging, wenn sich doch einmal eine kaffeedurstige Familie in den Pendelschen Garten verirrte. Kaffeebohnen waren nie im Haus, dafür war die Kasse zu klein, also eilte Frau Pendel fliegenden Fußes ins Dorf und borgte von einer Nachbarin ein Achtelchen oder ein Sechzehntel Bohnen. Unterdes entfachte Herr Pendel ein Feuer im Herd, ließ das Wasser sieden und stürzte mit einem Sahnekännchen in den Stall, eifrig bemüht, der widerspenstigen Erikuh ein wenig Milch abzulisten. Kuchen war nie da. Zum Schluß hatten die Kaffeegäste für achtzig Pfennige verzehrt und die Wirtsleute zwei