Der Gedanke ließ mir keine Ruhe. Im Bademantel, mit nackten Beinen, schlich ich zum Stall hinüber. Der Mond stand klar am Himmel, es ist der 31. März. Wir haben wieder fünf Grad Frost, noch immer läßt der Frühling auf sich warten. Noch kein Samenkorn in der Erde, noch keine Furche gepflügt! Sorgen. Sorgen. Durch eine dünne Wand von mir getrennt, brüllt die Kuh. Es klingt erschütternd in der Nachtstille. Ja, ich weiß, du hast Hunger, Olsch, ich würde dir gerne helfen. Jetzt fresse ich erst mal dein Sauerfutter, ich mache es dir vor, Olsch, ich, die Krone der Schöpfung!
Es schmeckt gar nicht unangenehm, schwach säuerlich, ein bißchen salzig. Nicht die Spur von Bitterkeit, mit dem Saatgut bin ich nicht angeschmiert. Du hast unrecht, Olsch! Du mußt nachgeben, dazu bist du verpflichtet, nach allen Fütterungsregeln und nach der ganzen modernen landwirtschaftlichen Wissenschaft!
Ich liege wieder im Bett. Das ungewohnte Sauerfutter grummelt und brummelt in meinem Magen. Mit dem Schlaf wird es wohl nicht mehr viel. Ich überlege, wie lange wir es wohl noch so aushalten, die Olsch und ich. Beinahe möchte ich ein Stoßgebet zum Himmel senden, wie mein alter Futtersmann. Ist man ganz hilflos, erinnert man sich wieder, wie schön es doch damals war, als man noch ungläubig-gläubig beten konnte: »Lieber Gott, ich weiß, ich habe dreizehn Fehler im Extemporale. Mach doch bitte, daß es nur fünf sind, ja? Sonst kriege ich eine Vier!«
Seit ich als sehr junger Mann Elevendienst auf einem thüringischen Rittergut tat, habe ich eine aufrichtige Vorliebe für Kühe. Da der Zug, der unsere Milch zur Stadt brachte, morgens um sechs Uhr fuhr, fing das Melken schon um drei Uhr an. Ich hatte die Aufsicht über das Melken, und so mußte auch ich jeden Morgen, alltags wie sonntags, um drei Uhr morgens im Stall sein.
Völlig verschlafen kam ich aus dem warmen Bett in den warmen Stalldunst. Am liebsten hätte ich mich zwischen zwei Kühen ins Stroh gehauen und hätte weitergeschlafen. Aber das ging nicht. Ich war Aufsichtsperson, ich hatte die Stallschweizer zu ordentlichem Melken anzuhalten.
Sie waren nicht weniger verschlafen als ich, und oft waren sie geneigt, ihre üble Laune an den Kühen auszulassen. Dann hallte der ganze Stall von unserm Geschimpfe wider, dazu brüllten die Kühe aus voller Kraft. Sie sehnten sich nach ihrem Futter, das erst gegeben wurde, wenn ausgemolken war.
Ich hatte Stichproben zu machen: ich hockte mich unter eine Kuh und strippte das Euter nach, ob die Schweizer auch den letzten Rest Milch ausgemolken hatten. Oder ich jagte nach den Katzen. Zur Melkzeit war der Kuhstall das Stelldichein sämtlicher Gutskatzen. Aus allen Ecken und Winkeln kamen sie geschlichen, begierig auf die kuhwarme Milch. Unser Inspektor, der auf den schönen Namen »Kurzhals« hörte, hatte mich dafür verantwortlich gemacht, daß die Katzen nicht an die Milch gingen. Das sei eine Schweinerei. Er hatte mir auch einen künstlichen Griff gezeigt, wie man solch eine Katze, dieses zähe Tier, dem sieben Leben nachgesagt werden, im Bruchteil einer Minute erledigte, in aller Stille.
Auf die Stille kam viel an, denn jede umgebrachte Katze führte zu endlosen Streitereien, Krach, Feindschaft. Ich habe diesen künstlichen Griff nur einmal versucht, mit völligem Mißerfolg. Die Katze jammerte gellend, und gellend entrann sie mir. Von da an war ich für alle Leute der Katzenmörder, jede verschwundene Katze wurde mir in die Schuhe geschoben, und auf diesen Katzen ging es sich nicht wie auf Rosen. Oh, ich war bald der unbeliebteste Jüngling des Dorfes. Von Jugend ab ist mir die schöne Gabe abgegangen, fünf gerade sein zu lassen, und ich erntete oft die Früchte davon. Ich litt schrecklich unter meiner Unbeliebtheit und konnte es doch nicht lassen, unermüdlich die sechs Gänge des großen Stalles mit seinen hundertzwanzig Kühen auf der Jagd nach naschenden Katzen abzustreifen.
Aber in meiner Unbeliebtheit und Verlassenheit waren mir schließlich die Kühe ein tiefer Trost. Sie waren so geduldig und sanft, sie hatten nicht das geringste gegen mich einzuwenden. Ich lernte sie lieben. Wenn ich mich unter eine von ihnen hockte, den Kopf in ihre Weiche stemmte, die Hände um die Striche des Euters legte – wenn dann der laue, weiche Milchdunst zu mir aufstieg, die Kuh den Kopf wandte und mit ihren großen blauen Augen nach dem ungewohnten Melker sah, der keine rotweiß gestreifte Jacke trug, und wenn sie dabei ein wenig fragend muhte – dann fühlte ich mich geborgen.
Auch in all den vielen Jahren – es sind nun schon dreißig –, die auf meinen ersten Stalldienst folgten, ist mein Verhältnis zu den Kühen ungetrübt geblieben: alle waren sie fromm und sanft. Ich mußte es erst zu einer eigenen Kuh bringen, um zu erfahren, daß es auch bösartige Kühe gibt, wahre Teufelinnen in einer Rindshaut. Eine solche Teufelin überließ mir Herr Pendel. Sinnig hatte er sie Erikuh genannt; es war eine große Schwarzbunte, die schon vier- oder fünfmal gekalbt hatte, den Lauf der Welt und also auch das Melken schon hätte kennen müssen.
Aber weit von dem! Sobald sich nur ein Mensch ihrem Euter nahte, legte sie die Ohren zurück, fing an zu schnauben, und faßte man das Euter nur an, so schlug sie aus – aber wie! Sie tippte nicht etwa ziellos mit dem Hinterhuf ins Gelände, wie es etwa Kühe tun, die eine Euterentzündung haben und denen darum das Melken Schmerz bereitet – nein, die Erikuh zielte haargenau, und dann schlug sie zu! Der Eimer rollte auf den Boden, das bißchen gemolkene Milch versickerte, und glücklich der Mann oder die Frau, die noch Hand und Arme ohne Schaden in Sicherheit gebracht hatten: der Schlag einer Kuh kann einem den Knochen zerschmettern!
Wir ließen das Euter der Kuh untersuchen: keine Entzündung, kein Schmerz, keine Verdickung. Erikuh war einfach böse, wahrscheinlich hatte sie der tüchtige Herr Pendel durch ungeschicktes Melken oder Schläge verdorben. Melken war der Erikuh ein erwünschter Kampf, dies Aas freute sich direkt daran, wie es uns heiß machte.
Leider war Herr Pendel, als ich diese Vorzüge der Erikuh entdeckte, bereits in ferne Bezirke unseres deutschen Vaterlandes verzogen. Wie aber hatte er die Erikuh gemolken? Wir hielten Nachfrage und erfuhren, daß Herr Pendel die Erikuh auf Raten gemolken hatte. Immer wenn Bedarf nach Milch im Hause war, hatte Herr Pendel ein Töpfchen ergriffen und war damit in den Stall gelaufen. Stehend, in einem achtungsvollen Abstand, soweit ihm seine Arme nur erlaubten, hatte Herr Pendel mit einer Hand am Euter gestrippt, mit der andern das Töpfchen darunter gehalten, stets bereit zur Flucht. So hat er eigentlich den ganzen Tag über gemolken, nun ein achtel Liter und jetzt ein viertel Liter, und der streitsüchtigen Erikuh hatte er damit bestimmt ebensoviel Vergnügen gemacht wie dem Hellapferdchen mit seinen Bergfelder Ausfahrten.
Aber für einen gelernten Landwirt wie den Schreiber dieser Zeilen waren das natürlich untragbare Zustände. Meine Kuh wurde dreimal am Tage gemolken, wie sich das gehörte. Wir wollten uns doch nicht lächerlich machen! Wir waren neu zugezogen am Ort, und das ganze Dorf amüsierte sich über den Stadtmenschen, der mit seiner Kuh nicht fertig wurde! Ich ließ bekanntmachen, daß, wer meine Kuh melken könne und wolle, einer fürstlichen Belohnung teilhaftig werden solle.
Und sie erschienen, die Melkfrauen aus dem Dorf. Triumphierend, mit dem Eimer klappernd, ein Lächeln aus Überlegenheit und Mitleid auf den Lippen, so verschwanden sie im Stall. Spätestens fünf Minuten später tauchten sie wieder auf, die Stirne schweißnaß, das Haar in Zotteln hängend, das Kopftuch verrutscht. Hinter ihnen drein klang das triumphierende Brüllen der Erikuh! Die Zornigen empfahlen mir, dieses Mistvieh mit einer Axt aus der Welt zu schaffen, die Sanften schworen darauf, das Aas sei verhext!
Oh, was haben wir mit der Erikuh herumexerziert! Es fand sich ein mutiger Mann, ich setze seinen vollen Namen hierher, er hieß Wilhelm Schmidt, er war schon bejahrt und von Beruf Landarbeiter. Jeden Tag dreimal bestand er den Kampf mit der Erikuh. Er kam aus diesem Kampf schweißtriefend, oft mit zerrissener Weste, mit blutender Hand. Ach, was hat ihm die Erikuh alles versetzt. Aber er hielt durch, er melkte sie dreimal am Tage, wie es sich gehörte! Ein wahrer Held!
Um ihm seine schwere Arbeit zu erleichtern, ersannen wir ein listiges System aus Seilen: um jedes Hinterbein der Erikuh wurde eine Seilschlinge gelegt, am Ende von jedem Seil stand ein Mann. Wollte Erikuh ausschlagen, riß der Mann am Seil dagegen, und Erikuh bekam das Bein nicht hoch. Aber sie war listiger, zog später jemand am Seil, so schmiß sie sich hin – und welches Theater, sie wieder hochzukriegen! Zudem ist das Melken einer Kuh mit drei Männern etwas kostspielig.
Aber schließlich kriegten wir sie doch! Wir zogen ihr einen Ring durch die Nase, wie man es bei Bullen tut, und in der Wand vor