In der Umarmung zwischen zwei Schritten. Anton Volkov. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anton Volkov
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783750219311
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im Tango irgendwo am Horizont Zufriedenheit abzeichnen würde. Das wollte ich auch glauben. Obwohl ich mich an diesem Abend doch etwas entwaffnet fühlte und grübelte, wie ich in dieses Fettnäpfchen treten konnte und warum überhaupt….

      Wiederum verging einige Zeit, bevor ich erneut auf die Tanzfläche trat, gefolgt von zahlreichen fehlschlagenden Tanzversuchen, intensiven Tanzkursen, schweißtreibenden Prácticas, erfrischenden Milongas,…

      … und dann öffnete sich eines Tages auch für mich das Himmelstor, als ich immer häufiger Engeln begegnete, die mit mir in der Umarmung mit federleichten Schritten im Einklang mit der Musik dahinschwebten.

      Ich war endlich im Tangohimmel angekommen. Fest entschlossen, weiterzumachen. Und den Tango in mir selbst zu finden.

      Buenos Aires

      Es war kalt in Moskau und es wehte ein eisiger Wind, als ich Ende Februar den Koffer packte. Man brauchte schon einen starken Willen, um sich selbst davon zu überzeugen, dass einem die stundenlang vom Himmel fallenden Schneeflocken am Ende des Winters noch romantisch erschienen. Insbesondere in dem gestressten und verkehrsdichten Moskau, als ich auf dem Weg zum Tanzsaal durch den Schneematsch watete. Wenn man – so wie ich – ein Mensch ist, der heiße Sommer liebt, ist es im Moskauer Winter verdammt kalt. Nicht nur das, aber auch die unwiderstehliche Leidenschaft, noch mehr zu lernen und Tango zu tanzen, drang immer mehr in jede einzelne Pore meines Körpers ein, und so fiel eines Tages der Entschluss, Buenos Aires zu besuchen.

      Ich bin kein Typ, der explizite Reisevorbereitungen trifft. Ich trage einige Sachen zusammen, wofür ich denke, dass ich sie dringend brauchen werde, packe sie in den Koffer, prüfe die Flüge und sitze einige Augenblicke später dann auch schon im Flieger. Das Einzige, worüber ich Informationen bei meinen Moskauer Tangolehrern einholte, waren die Kontakte von argentinischen Maestros (Spanisch für „Lehrer“), die bereits in unserer Moskauer Schule unterrichtet hatten. Ich hatte die Entscheidung getroffen: Es sollte ein intensiver Aktivurlaub werden, ein Urlaub, den ich mir körperlich, psychisch und finanziell leisten konnte. Und dieses Paket umfasste den Plan, möglichst viele gute Tangolehrer zu besuchen und dem Tango auf den Grund zu gehen.

      Als ich aus dem Flieger stieg, fühlte ich mich vom ersten Augenblick an heimisch. Die Luft in der Stadt fühlte sich so gut an, wie es deren Name versprach, bueno!

      Anfang März neigt sich der Sommer in Buenos Aires dem Ende zu, was aber nicht bedeutet, dass einen wesentlich abgekühlte Lufttemperaturen erwarten. Für mich gerade aus dem tiefsten Winter kommend, eine ziemliche – aber doch erwartete – Umstellung. Hatte ich mich einen Tag zuvor noch versucht, mit einem dicken, wärmenden Mantel und Schal vor dem eisigen Wind zu schützen, so schaute ich am darauffolgenden Tag sehnsüchtig nach jeglichem Windhauch Ausschau, der mir etwas Abkühlung hätte bieten können. Ich stellte also schnell fest, dass 35 °C zu meinen 35 besten Freunden werden mussten, wenn ich mich hier wohlfühlen wollte. Da ich aus einer angespannten Großstadt kam, fühlte ich mich bei der Ankunft in Buenos Aires entspannt, denn man konnte es in der Luft spüren, die Dinge verliefen hier etwas lockerer, lässiger, gewissermaßen in Zeitlupe, insbesondere wenn man die Nachmittage in einem der guten einheimischen Gasthäuser verbringt und aus dieser Perspektive das lebhafte Treiben im Hafen beobachtet. Wenn man aus einer gefährlichen Stadt kommt, so empfindet man Buenos Aires nicht als besonders gefährlich. Trotzdem wollte ich mein Schicksal nicht herausfordern und dachte mir, „OK, verdächtige Straßen meidest du mal lieber und gehst auf Nummer Sicher, wählst sichere Wege.“ Einer Sache war ich mir sicher: Schritt für Schritt würde ich mich so der Zielgeraden nähern und die Eingangspforte zum Tangohimmel finden.

      Natürlich hatte ich mir vorgestellt, das gesamte Buenos Aires sei im Zeichen des Tangos; allerdings bemerkte ich den Tango in der Stadt kaum. Tango ist zwar eines der Stadtmerkmale, aber bei weitem nicht das markanteste. Man könnte dies mit Japan und den dort beliebten Sportarten vergleichen. Wir Europäer verbinden Sport in Japan sofort mit Karate oder mit Sumo oder einer anderen Kampfsportart; der Beliebtheit nach erfreut sich aber dort allen voran Baseball. Karate liegt vielleicht an vierzigster Stelle und ist keinesfalls das Maskottchen der japanischen Sportarten. So ungefähr ist es mit dem Tango in Argentinien. Oder mit der Polka in Deutschland. Alle wissen, dass es diesen Tanz dort gibt, aber keiner beschäftigt sich ernsthaft damit. Wenn man aber das Beste vom Besten im Tango sucht, dann findet man das hier. In Buenos Aires.

      Bestimmte Erledigungen sind einfach Pflichtprogramm. Dem kann man kaum ausweichen. Es gehört quasi zum Usus, dass man sich hier gute Tanzschuhe kauft; und in Buenos Aires gibt es die besten Geschäfte weltweit. Das ist einfach so. Als ich das erste Mal ein solches Geschäft mit Tangoschuhen betrat, fiel mein Blick zuerst auf den in der Mitte des Geschäfts liegenden Teppich und die darauf stehende Verkäuferin. Der nächste Blick fiel auf zahlreiche unwiderstehliche, schön geformte, erstklassige Schuhe. Ich war umgeben von Farben und Designs, von allem, was ein Tanguera- oder ein Tangueroherz höher schlagen lässt. Und nachdem ich mich entschieden und einige Exemplare anprobiert hatte, folgte das obligatorische Ritual. Auf dem Teppich, der nicht nur als Blickfang diente, sondern als Schutz für die neuen Schuhe, tanzte ich Probe mit der Verkäuferin. Erst nachdem ich das gemacht hatte und mich in den ausgesuchten Schuhen gut gefühlt hatte, wusste ich, dass ich die richtigen Schuhe für mich gefunden hatte.

      Man sollte aber nicht erwarten, dass das Geschäft mit den besten Schuhen in einer angenehmen, lebhaften Straße liegt. Wie ich Jahre später entdeckte, legen die wahren Meister der Schuhherstellung ziemlich wenig Wert darauf, in der Gesellschaft von Armani- und Gucci-Geschäften in den Haupteinkaufsstraßen zu sein. Man muss sie eher wie die Nadel im Heuhaufen suchen. Einer dieser für meinen Geschmack in der Menge an Tangoschuhanbietern herausragenden Anbieter ist Carlos Farroni. Ich lernte ihn über Maria Trubba, eine meiner TangolehrerInnen kennen. Carlos lebt und arbeitet im Südwesten von Buenos Aires, dem Viertel Mataderos, was auf Deutsch „Schlachthaus“ bedeutet. Kein wirklich einladender Name. Dass dieses Stadtviertel aber seinem Namen offensichtlich alle Ehre macht, erfuhr ich am eigenen Leib, als ich – nichtsahnend und meine Traumschuhe schon vor Augen – ein Taxi anhielt, die Adresse nannte und vom Taxifahrer mir nichts dir nichts eine Abfuhr erhielt: „Nein, nein, dahin fahre ich nicht!“ Es sollten mehrere solche im Sand verlaufenen Versuche folgen, bis es mir endlich gelang einen Taxifahrer davon zu überzeugen, mich doch in dieses offensichtlich verrufene Viertel zu bringen. Die Fahrt dauerte fast eine Stunde. Ich schaute mich zwar neugierig um und versuchte in meinem Taxi wissbegierig alle Eindrücke der vorbeihuschenden Häuserfassaden und Straßen sowie eilenden Menschen einzufangen, aber ich muss zugeben, je weiter hinaus aus der Stadt wir fuhren, desto mulmiger wurde mir zumute. Die entschiedenen Worte des Taxifahrers „Ich warte nur fünfzehn Minuten!“ leisteten dann auch nicht wirklich einen motivierenden Beitrag zu meiner Stimmung. Das Geräusch des laufenden Motors in den Ohren, gedanklich in dem brutalsten Krimifilm aller Zeiten, machte ich mich auf den Weg…

      Ich lernte das dritte Jahr Tango, als ich das erste Mal in der argentinischen Hauptstadt war und so vieles über den Mythos Tango noch nicht wusste. Außerdem kannte ich nicht wirklich jemanden in Argentinien. Deshalb wandte ich mich an einige Russen, von denen ich wusste, dass sie dort leben. Eine hilfreiche Quelle auf meiner Entdeckungsreise durch Buenos Aires war auch die Tangozeitschrift, die sog. El Tangauta, in der ich einige Artikel zum Thema Tango lesen konnte. Damals konnte ich bereits einige Fetzen Spanisch. Aber viel mehr als 15 bis 20 Sätze waren das nicht. Wohl aber genug, um am Ende dieser Zeitschrift die Übersicht aller Tangoereignisse in der Stadt entziffern zu können.

      Bei der Unterkunft hatte ich mehr Anfängerglück als Verstand. Ich suchte mir das billigste Zimmer aus und besichtigte es. Ein kleines, überschaubares, eher trostloses, aber zumindest sauberes Zimmer von ungefähr acht Quadratmetern. In der Ecke rechts hinten, deren Wände mit aus aller Herren Länder stammenden Keramikfliesen belegt waren, befand sich meine Dusche, an die linke kahle Wand gegenüber vom Fenster standen ein Bett und ein Stuhl, dicht aneinander gepresst. Kein Schrank. Kein Tisch. Einladend ist etwas Anderes. Aber die Lage dieses Loches war einfach traumhaft, mitten in Palermo Viejo,