Sein Tonfall lässt den kleinen Pauli, dem das Sprachvermögen ein paar Sekunden abhandengekommen ist, kurz aufhorchen.
„So ein Grobian. Eingesperrt gehört er und der Schlüssel weggeworfen“, denkt sich der Kleine und beobachtet verbissen den fuchsteufelswilden Gesichtsausdruck seines Bruders, dessen aufgestaute Wut sich nun endgültig Bahn bricht, während er Leo und Pauli abwechselnd zornig anfunkelt.
„Ihr werdet den Briefdiebstahl zugeben, sonst könnt ihr ewas erleben!“, droht er den beiden wütend.
Auch Leonie blickt Edwin aus großen, angstgeweiteten Augen an. So kennt sie ihn überhaupt nicht. Es ist das erste Mal, dass er ihr gegenüber so einen groben Ton anschlägt. Doch bevor sie etwas sagen kann, zeigt Edwin recht ungezogen mit seinem Zeigefinger auf den Latz ihrer Hose und meint gefährlich leise: „Und falls du es nicht deiner Schwester erzählst, werde ich es tun. Wir beide kennen Kathis Wutausbrüche zur Genüge“, fügt er schnaubend hinzu. Und solltest du durch irgendein Wunder ihren Tobsuchtsanfall überleben, sind da immer noch Moritz, Bastian und Clemens, die dir ihre blauen Nasen verdanken. Mal sehen, was von dir übrig bleibt, wenn sie erfahren, wer dafür verantwortlich ist!“
Leos Lippen zittern. Sie muss ihre Zähne ganz fest zusammenbeißen, um ihren Ärger im Zaum zu halten. So eine Frechheit. Wie kann Edwin es wagen, mit ihr so zu reden. Ihr so zu drohen. Eigentlich würde sie jetzt auch gern etwas Gemeines sagen. Aber wie meistens fällt ihr nichts ein, deshalb blinzelt sie schnell mehrmals hintereinander, da sie nicht vor Edwin in Tränen ausbrechen will. Nein, sie wird jetzt nicht. WEINEN. Schnief.
Edwin, der zu spüren scheint, dass sie kurz vor einem Tränenausbruch steht, gibt einen knurrenden Laut von sich.
„Verschwindet, bevor ich mich vergesse!“, schwillt seine Stimme zu einem ungehaltenen Grollen an, während er die beiden Missetäter unverdienterweise frei gibt. Dann dreht er sich um und geht weg, ohne Leo und Pauli eines weiteren Blickes zu würdigen. Leo schaut ihm schuldbewusst nach. Das ist ja noch schlimmer, als sie ohnehin befürchtet hat.
„Edwin, Edddwiiin!“, ruft sie ihm aus ihrer Starre erwachend verzweifelt nach. Seltsamerweise fällt ihr auf, dass dies das erste Mal ist, dass sie seinen Vornamen ohne abfälligen Beinamen ausspricht. Doch Edwin dreht sich nicht zu ihr um und sie sieht, wie er in der Kindermenge des Hauptganges verschwindet.
„Wurden wir gerade angeklagt?“, flüstert der kleine Pauli noch immer unter Schock.
„Und auch schon verurteilt“, kämpft Leo gegen ihre Tränen und ihr schlechtes Gewissen.
„Das haben wir vermasselt. Gründlich“, hört sie Pauli neben sich sagen, der mühsam versucht, mit ihr Schritt zu halten.
„Kann man wohl sagen“, wischt sie schnell eine Träne aus ihrem Gesicht, damit der Erstklässler nicht sieht, wie nahe ihr die ganze Sache geht.
„Mein Schicksal ist besiegelt“, hört sie den kleinen Pauli seufzen. „Entweder bricht mir Matthi alle Knochen, wenn ich ihm sage, dass ich den Brief stibitzt habe, oder Edwin, wenn ich es nicht tue. So oder so, bin ich tot.“
„So wie ich“, wirft Leo einen vorsichtigen Blick zur Seite.
„Macht es dir was aus, wenn ich zu euch ziehe? Für den Rest meines Lebens?“, legt der kleine Pauli vertrauensvoll seine Finger in ihre, weil er jetzt unbedingt jemanden braucht, der seine Hand hält, um sich ein wenig zu beruhigen.
Leo muss wider Willen über diese Frage kurz lächeln. Dann drückt sie leicht Paulis Hand und streift sich mit der anderen Hand noch eine Träne aus dem Gesicht, während Pauli so tut, als hätte er es nicht gesehen.
„Nein, natürlich nicht. Wird aber nicht viel nützen“, räuspert sie sich verhalten und umschließt noch fester seine Hand.
„Nur damit eins klar ist, in mein Zimmer ziehst du nicht“, hüstelt sie nochmals verlegen.“
„Wo soll ich dann schlafen? Etwa bei deinen Eltern?“, will der Kleine wissen.
„Das wird sich nicht spielen. Aber wie wär's bei Kathi?“
„Bei Kathi?“, stockt Paulchen der Atem. „Geht’s noch, Leo? Bestimmt macht sie aus mir Cornflakes, wenn sie von Matthis Brief erfährt!"
„Nicht nur aus dir, Kleiner. Nicht nur aus dir. Und weißt du was?“, seufzt sie leise und wirft ihm einen freudlosen Blick zu. „Das haben wir auch verdient.“
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