Die Mörder brüsteten sich damit, wie viele sie erschlagen, erschossen, zu Tode geprügelt, vergewaltigt und gequält hätten. Die Massenmorde der Sieger übersteigen menschliche Vorstellungskraft. Den Menschen wurden die Eingeweide herausgerissen, als sie noch lebten. Sie wurden lebendig begraben oder einfach liegen gelassen. Gräber gab es nicht, Gräber gibt es nicht, nicht einmal Massengräber. Für diese Millionen von Flüchtlingen, von Frauen, Kindern, Kranken und Verwundeten wurde nicht ein einziges Denkmal errichtet. Nicht ein einziges Kreuz zeugt von ihren Leiden.
Diese Bestialität wurde ausgeführt von Menschen an Menschen, täglich, tausendfach, millionenfach. Das Ende des Krieges war kein Ende vom Inferno, es war ein neuer Anfang von Höllenqualen, die kein menschliches Gehirn mehr fassen kann.
Der Sieger aber feiert noch heute sein jahrelanges, bestialisches Morden mit Fahnen, Musik, Blumen und Festreden.
Die Verteidiger der Festung Frankfurt an der Oder wussten, was ihnen bevorstand. Über sich hatten sie Hitlers Befehl, bis zum letzten Mann auszuhalten. In ihrem Rücken hatten sie Himmlers Schergen, die jeden umbrachte, der zurückwich. Um Frankfurt herum standen die Einheiten der Roten Armee. Dahinter kamen die Nachhut der Sowjets und die zivile polnische Bevölkerung, gierig darauf, am Morden teilhaben zu können. Sie wollten sich auch amüsieren.
In Frankfurt an der Oder saß das Grauen in allen Winkeln. Die Angst kam mit jedem Lufthauch. Die Furcht vibrierte in jedem Atemzug.
Die einen waren zum Tode bereit. Die anderen wollten sich zu den deutschen Einheiten durchschlagen und im offenen Kampf sterben. Einige wollten sich klammheimlich wegdrücken. Andere wollten in Frankfurt an der Oder in die letzten Winkel kriechen, um den Krieg über sich hinwegrollen zu lassen. Dann gab es auch noch die, die versuchen wollten, sich durch die sowjetische Belagerung hindurchzuschlagen, um hinter die Linien der amerikanischen Front zu kommen.
Am 14. und 15. April startete die Erste Weißrussische Front die ersten Erkundigungen auf dem linken Oderufer. Marschall Zhukow ging von Osten nach West-Nord-West über die Oder und marschierte nach Berlin. Marschall Konjew ging im Süd-Westen von Schlesien aus über die Neiße und griff Berlin von Süden her an. Auch Frankfurt an der Oder wurde in die Zange genommen. Marschall Zhukow hatte einen Kessel um die Festung gebildet. Frankfurt an der Oder sollte so lange unter Kontrolle gehalten werden, bis die Rote Armee in Berlin fertig war. Dann konnte man in Ruhe in Frankfurt an der Oder aufräumen.
Stalin hatte andere Pläne. Am 19. April ging der Befehl an die Marschälle Zhukow und Konjew, Frankfurt an der Oder zu vernichten.
In Frankfurt rasten jetzt offen die Kämpfe in den eigenen Linien. Sollte man einfach sitzen bleiben und warten, bis man abgeschlachtet wurde? Die deutsche Neunte Armee sollte in Frankfurt an der Oder Deutschland bis zum letzten Mann verteidigen. Wo aber war Deutschland? War Deutschland bei den Millionen von Flüchtlingen, die auf den Straßen ermordet wurden? War Deutschland das belagerte Berlin? War Deutschland der Führerbunker?
Die Schlacht um Berlin hatte begonnen. General Busse verständigte sich mit General Wenck.
General Wenck leitete die deutsche Zwölfte Armee. Das waren zwölf stark dezimierte Divisionen. Das war ein bunt zusammen gewürfelter Kampfverbund. Er war auf dem Marsch nach Berlin, um der bedrohten Hauptstadt zur Hilfe zu kommen. Als die Rote Armee Berlin in die Zange nahm, hoffte Hitler noch bis zum 28. April darauf, dass General Wencks Divisionen ihm den Endsieg bringen würden.
Die Armee von General Wenck befand sich aber im Süden von Berlin im Aufmarschgebiet von Marschall Konjews Einheiten. Sie wurde bei Beelitz in Brandenburg von der Ersten Ukrainischen Front unter Marschall Konjew eingekesselt. General Wenck saß in der Falle. Wenn er nicht Hilfe bekam, so war das Schicksal der deutschen Zwölften Armee besiegelt.
Auch General Busse war in Frankfurt an der Oder eingekesselt. Die Hauptstreitkräfte der Ersten Weißrussischen Front unter Marschall Zhukow waren jedoch in Berlin. Darum konnte General Busse eine Chance haben, sich aus dem Kessel in Frankfurt an der Oder heraus zu schlagen. Wenn er bis Beelitz kam, konnte er sich mit der deutschen Zwölften Armee vereinigen.
Am 24. April hatten die Erste Weißrussische Front unter Marschall Zhukow und die Erste Ukrainische Front unter Marschall Konjew Berlin eingeschlossen. Am 29. April wurde im Gebiet um den Reichstag und die Reichskanzlei gekämpft. Hitler verübte zusammen mit Eva Braun am 30. April Selbstmord, Goebbels mit seiner Familie am 1. Mai.
Am 28. April brach die deutsche Neunte Armee unter General Busse aus der belagerten Festung Frankfurt an der Oder aus. Sie rückte südlich von Berlin vor.
Offensichtlich hatte man aber die Stärke der belagernden Einheiten unterschätzt, denn der Ausbruchversuch schlug fast fehl. Viele kamen am 28. April um. Doch die deutsche Neunte Armee unter General Busse konnte sich an diesem Tag noch einmal aus dem russischen Kessel herausschlagen, wurde aber am darauffolgenden Tag in den Sumpfgebieten bei Märkisch Buchholz wieder von den sie verfolgenden Einheiten von Marschall Tschuikow eingeholt. Gleichzeitig rückte von Süden die Erste Ukrainische Front unter Marschall Konjew heran. General Busses Armee kam bei Märkisch Buchholz erneut in einen Kessel.
Nach Marschall Tschuikow hatte der Ausbruchversuch der deutschen Neunten Armee den Zweck, die sowjetischen Streitkräfte im Süden vor Berlin festzuhalten und so die Eroberung der Hauptstadt zu behindern oder gar zu verhindern. Mit der Einkesselung der deutschen Neunten Armee bei Märkisch Buchholz war für ihn das Problem gelöst. Diese Truppen waren unschädlich gemacht, glaubte er.
Dass sich General Busse und die deutsche Neunte Armee auch aus diesem Kessel wieder herauskämpfen würden, bekam er nicht mit, er war wie alle Marschälle der Roten Armee nur auf ein Ziel fixiert: Berlin, die Reichskanzlei und den Führerbunker.
Jeder wollte die Ehre haben, hier der erste zu sein. Das hatte sich jeder in einem vier Jahre langen unmenschlichen Krieg verdient. In Berlin machte man sich einen Namen in der Geschichte. General Busse und seine Männer waren ein ärgerliches Hindernis. Je schneller man damit fertig war, umso besser. Das war ein kleiner Zwischenfall, den man schnell wieder vergaß.
Der menschliche Hochmut, die Nacht und die Sümpfe der Mark Brandenburg waren die Rettung der deutschen Neunten Armee. Mit 40.000 Soldaten und Hunderttausenden von Zivilisten kamen sie bis zur deutschen Zwölften Armee nach Beelitz durch, wo sich General Wenck verschanzt hatte.
Als die deutsche Neunte Armee die Truppen der Roten Armee, die die deutsche Zwölfte Armee bei Beelitz belagerten, von hinten angriff, konnte General Wenck sich mit seinen Truppen aus dem Kessel herausschlagen.
Zu diesem Zeitpunkt waren die Hauptstreitkräfte der Armeen von den Marschällen Zhukow, Konjew und Rokossowsky auf die Eroberung der Innenstadt von Berlin konzentriert. Die reduzierten Armeen der Generäle Wenck und Busse hatten kaum eine Chance, hier ein Zünglein an der Waage zu spielen.
Am 31. April war der Kampf um Berlin entschieden, den Armeen der Generäle Wenck und Busse blieb nur noch die Wahl zwischen der russischen, der englischen oder der amerikanischen Gefangenschaft. Die russische Gefangenschaft kam einem Massenselbstmord gleich. Vorsichtig zogen sich darum die beiden Armeen zur Elbe zurück. Sie wollten versuchen, hinter die amerikanischen Kampflinien zu kommen.
Die Rote Armee aber flog von Sieg zu Sieg. Niederlagen gab es per Definition nicht mehr. Dass sich zwei deutsche Armeen, stark reduziert, katastrophal schlecht ausgerüstet mit Hunderttausenden von Zivilisten durch die stärksten Landstreitkräfte der sowjetischen Armeen der Marschälle Zhukow und Konjew hindurch schlagen konnten, durfte einfach nicht wahr sein, konnte nicht wahr sein, war nicht wahr. Dafür sorgten sorgfältig abgefasste Militärberichte. Laut Marschall Tschuikow verschwand die deutsche Neunte Armee unter General Busse in den Sümpfen von Märkisch Buchholz. Laut Marschall Konjew wurde die deutsche Zwölfte Armee unter General Wenck bei Beelitz im West-Süd-Westen von Berlin vernichtet.
Im Kriegsprotokoll fielen Frankfurt an der Oder und Beelitz in Brandenburg unter den Tisch. So was hat es nie gegeben.
Der Sieger hat immer Recht. Er baut sich seine Denkmäler nach seinen Wahnvorstellungen. Der kleine Mann aber