Tilmann Haberer
Sex & Gott & Rock'n'Roll
Band 3: All Right Now
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Inhaltsverzeichnis
Intermezzo
Katharina sieht ihm dabei zu, wie er seine Pasta verdrückt. Johnny hatte immer etwas Gieriges an sich, und er hat es immer noch. Komisch, welche Einzelheiten im Gedächtnis haften bleiben. Und komisch, welche Einzelheiten sie an ihre Liebe erinnern. Liebe? Ach, was für ein großes Wort. Sie weiß nur, dass es gut ist, hier mit ihm zu sitzen, sehr gut sogar. Mehr braucht es im Moment nicht. Was morgen sein wird? Wer weiß das schon. Vielleicht sind sie morgen beide tot. Und auch das wäre okay.
Johnny legt die Gabel beiseite, wischt sich den Mund mit der Serviette ab. Sieht sie an.
„Wann hast du eigentlich deinen Sannyas-Namen abgelegt?“
Sie muss kurz nachdenken. „Eigentlich schon, als ich mit Lakshmi die Praxis hier aufgemacht habe. Da haben wir beide unsere bürgerlichen Namen aufs Schild geschrieben. Dr. Eva-Maria Haimhauser und Dr. Katharina Holler. Aber untereinander und für alle Freunde waren wir natürlich immer noch
Lakshmi und Sharani. Dass ich mich wirklich wieder Katharina nenne … das ist keine zehn Jahre her, damals, als…“ Sie bricht ab. Er weiß ja überhaupt nichts darüber, was in den letzten zwanzig Jahren geschehen ist. Hat keine Ahnung von Achim.
Katharina holt tief Luft. „Ja, vor knapp zehn Jahren. Irgendwie hatte ich das Gefühl, ich will zurück zu meinen Wurzeln. Und im Grunde war dieser Name nicht mehr wichtig.“
„Bist du keine Sannyasin mehr?“
Wider Willen muss sie lächeln. „Osho und das, was er gelehrt hat, spielt in meinem Leben immer noch eine wichtige Rolle. Wie so eine Grundlage. Aber…“
„... aber?“
Sie setzt neu an. „Osho und alles, was ich in Poona und im Sannyas gelernt habe, hat mich nachhaltig geprägt. Das kann ich nicht aufgeben und niemals verlieren. Aber das ist für mich nicht mehr an die Person Osho gebunden. Also, wenn Sannyasin heißt, Schülerin eines Meisters zu sein, bin ich keine Sannyasin mehr. Ich habe ausgelernt, sozusagen. Also, die Antwort lautet: Ja und nein.“
Sie sieht ihm in die Augen. Er scheint zu verstehen, jedenfalls nickt er und seine Augen sehen nachdenklich. So fährt sie fort.
„Außerdem ist Katharina mein Taufname.“
Johnny stutzt.
„Dein Taufname… Bedeutet das denn noch irgendetwas für dich? Ich meine, das hast du doch längst hinter dir gelassen!“
Sie lächelt. „Du wirst es nicht glauben, ab und zu setze ich mich gern mal in eine katholische Messe.“
Jetzt fällt ihm allerdings die Kinnlade herunter. „Was?“ Er guckt konsterniert. „Du? Die Popenhasserin? Du gehst in die Kirche?“
Sie breitet die Arme aus, wie entschuldigend. Nickt. „Ich. Die Popenhasserin.“
Johnny schüttelt den Kopf. „Ich glaub’s nicht!“
„Versteh mich nicht falsch. Ich bin nicht wieder in die Kirche eingetreten, da bringen mich keine zehn Pferde mehr rein. Aber manchmal ist es einfach schön, sich in die vertrauten alten Formen zu begeben. Auf die Worte kommt’s gar nicht so sehr an. Ich kann irgendwie Anschluss finden an die alten Gefühle, bevor… bevor ich das alles über Bord werfen musste. Ich muss das nicht mehr hassen. Immerhin haben meine katholische Mutter und meine katholische Tante Marga den spirituellen Durst in mir geweckt, der mich bis zu Osho geführt hat und noch viel weiter.“
Langsam scheint Johnny sich wieder einzukriegen. „Okay“, sagt er. „Du bist also sozusagen einmal um die Welt gelaufen und wieder am Ausgangspunkt angekommen. Aber, nehme ich an, mit der Erfahrung der ganzen Welt im Gepäck.“
„Genau. Ich habe gelernt, das anzunehmen, dass ich eben in dieser historischen Situation geboren wurde und aufgewachsen bin. Es sind meine Wurzeln. Es ist die Tradition, aus der ich komme. Und auch wenn ich bei Osho gelernt habe, dass das Hier und Jetzt das Entscheidende ist, habe ich inzwischen doch auch gemerkt, dass es nicht egal ist, woher ich komme. Ich bin eben nicht in Bombay geboren oder in Nairobi, sondern hier in Deutschland. Das hat schon seine Bedeutung. Das ist die Form, in der diese Konkretion des Einen Bewusstseins für die Dauer dieses Lebens Gestalt gewonnen hat.“
„Diese Konkretion des Einen Bewusstseins… sorry, das ist mir jetzt zu hoch.“
„Macht nichts.“ Sie muss lachen. Das ist er, Johnny, der alte Agnostiker. „Ich kann es auch einfach so sagen: Ich habe aufgehört, mich zu wehren gegen das, was ist. Ich könnte mir inzwischen sogar wieder vorstellen, in Ebenstädt zu leben, in meinem Elternhaus, unter diesen Kleinstadtspießern. Die Menschen sind doch alle auf der Suche nach sich selbst und nach Gott, ob sie es wissen oder nicht.“
„Du hast aufgehört, dich zu wehren…“
„Ja, ich wehre mich nicht mehr gegen das, was ist. Das heißt nicht, dass ich alles unwidersprochen hinnehme. Ich bin sogar wieder politisch geworden. Aber das ist was anderes. Ich wehre mich einfach nicht mehr gegen mein
Leben.“
„Hat das was mit dem Krebs zu tun?“
Keine Sekunde muss sie nachdenken. „Natürlich. Ich musste ja lernen, mit dem Krebs zu leben. Ich musste lernen anzunehmen, dass ich sterblich bin. Ich habe mich aktiv mit dem Sterben auseinandergesetzt, und das eben nicht nur als Ärztin, die den Tod bekämpft. Sondern als Patientin, die dem Tod ins Auge sieht. Und ich habe gemerkt, dass es wirklich nicht schlimm ist, zu sterben. Und nachdem ich da durch war, konnte ich alles andere auch