Die Banalen und die Bösen. Jannis Oberdieck. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jannis Oberdieck
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742722669
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Ecke des Haupthauses eingelassen wurde, hinter drei runden Säulen als Kontrapunkten. Hier hat sich, scheint´s, ein Baumeister verewigt, indem er die Ketten lebenslanger Sachzwänge sprengte.

      Sobald Roman den Schlag öffnet, versetzt mich sanftes Zwitschern von Singvögeln aus dem den Garten umfassenden Baumbestand in unerwartete Seelenruhe: Im Hintergrund natürlich das tiefere Tschilpen einiger Amseln, von links punktiert durch Trommelwirbel eines Buntspechts, vereinzelt ebenso klarer harter Finkenschlag, Feldsperlinge vielleicht oder Gartenrotschwänze (da bin ich immer unsicher), darüber variationsreiche Triller einer Blaumeise und natürlich kaskadierend ein Zaunkönig obendrauf. Die Sonne jedoch knallt gleich beim ersten Schritt nach draußen dermaßen auf den Schädel, dass jeglicher Gedanke an Anspruch und Arbeit spornstreichs gebrutzelt wird. Unbedingte Ferienstimmung liegt in dieser mediterran wabernden Luft, der Kopf schon angenehm dumpf und leer. Im Grunde insgesamt durchaus ein wunderschöner Tag für derlei Wochenend im Grünen: Sauge tief belebend-würzige Düfte ein (Blüten, frisch geschnittenes Gras und Sonne pur), während ich träge im hier in grüner Lunge wohltuenden Schein eines Spätnachmittags blinzle. Stritter neben mir streckt und dehnt sich, offenbar in strammer Sitzhaltung ein wenig erstarrt.

      Dann, das Reisegepäck neben uns auf den Stufen abstellend und bereits reichlich verschwitzt, erklärt Roman, uns Sontag 14.30 wieder abzuholen, flieht nachmalig zurück in seine heilsam klimatisierte Fahrer- und wohl auch Komfortzone. Abschließend beweist er großes Geschick, indem er seine überlange Limousine auf kreisrundem Vorplatz wendet, ohne angrenzende Rosen-Königinnen dabei zu begraben. Indessen hat Stritter sich bereits würdebewusst in den Schatten des Giebelportals begeben und beginnt soeben, die schneeweiß-dreiteilige Eingangstür ein wenig ratlos anzustarren, als diese auch schon einladend nach innen schwingt. »Herr Müller! Herr Doktor Stritter! Schön, dass Sie kommen konnten. Ich bin Ingo Halberstedt, Ihr Gastgeber für dieses Wochenende. Aber sagen Sie ruhig Ingo zu mir.«

      Ingo ist erst Ende 30, blond mit halblang-wildem Haar, Seitenscheitel und kolossalem Schnurrbart, der irgendwie seit den 80ern überlebt hat. Vielleicht ein Erbstück. Kenne ihn bereits von diversen Konferenzen und einigen Kommissiönchen her, in der letzten Amtsperiode war er nämlich für die Umweltpartei in den Bundestag gezogen und vorerst durch die Geschwindigkeit aufgefallen, mit der er sich Standpunkte „der Wirtschaft“ zu eigen machte. Dann durch brachialen Umgang mit kritischen Journalisten - einer von denen halt, die König Midas noch für einen Helden halten. Wohl im Gedenken an frühere Parteizugehörigkeit trägt er auch heute noch grünes Sakko zu Blue Jeans und bemüht sich insgesamt, Locker- und Ungezwungenheit auszustrahlen. Grün und blonde Mähne lassen sogar ihn ein wenig wie Robin Hood aussehen, der Pornobalken hingegen erinnert eher an Zuhälter. Wenig überraschend, dass Ingo wegen seiner hervorragenden Kontakte in die Politik inzwischen von professionellen Lobbyisten eingekauft wurde. Offenbar nunmehr die zeitgenössische Version eines buckligen, klumpfüßigen Knechts namens Igor, der früher Vampirschlösser öffnete, diese Türangeln jedoch sind gut geschmiert.

      Statt unserem Gastgeber ebenfalls den Vornamen anzubieten, schreitet Stritter schnurstracks auf ihn zu, schüttelt die Hand und ich kann sehen, dass es diesmal weh tut: »Sehr erfreut, Ingo. Aber lassen Sie doch den Doktor weg. Schon die Bibel sagt: Lasst ihr euch nicht Rabbi nennen. Denn einer ist euer Lehrer, ihr alle aber seid Brüder. Matthäus 23, 8. Und hier sind wir doch wohl erst recht... (er zwinkert Ingo zu) im engsten Familienkreis?« - Endlich lässt er die arg gerötete Hand los und Ingo stammelt wohlmeinende Zustimmung, während er sie mit der linken reibt. Gebe ihm meine Hand nur widerwillig, vielleicht aus Vorsicht ist Ingos Händedruck nun kraftlos, verschwitzt und irgendwie fischig. »...Na, dann... zeige ich Ihnen wohl erst einmal Ihre Zimmer, nicht wahr?« Unser aufstrebender Junglobbyist spricht sich offenbar selbst Mut zu und findet dadurch letztlich sogar erfolgreich zu ostentativem Frohsinn zurück.

      Damit als Leuchtfeuer führt er uns in einen halbschattigen Eingangsbereich aus geflecktem Marmor in Beige. Alles Licht fällt hier durch die gegenüberliegende Stirnwand: Hinter schaufenstergroßem Glas mit Tür erstreckt sich ein großer Wohnbereich samt Wintergarten. Über dieser Glaswand sitzen vier kleinere Scheiben, von der Form her Kirchenfenster in ebenfalls Beige und Hellblau, die die Farben des Bodens durch ihr Licht hervorragend zur Geltung bringen, dem Eingangsbereich ein fast märchenhaftes Flair verleihen. Links vor der Stirnwand steht aus gleichem Marmor und offenbar für alle Ewigkeit ein offener Wandschrank als Garderobe, derzeit ungenutzt. Zu beiden Seiten führen schneeweiße Türen weiter hinauf in die Flügel des Hauses.

      »Hier gegenüber geht es in den Salon, in dem wir uns treffen, sobald Sie ausgepackt haben. Beeilen Sie sich besser ein wenig, sonst sind die Leckereien schon alle weg, nicht wahr?«, lacht Ingo vertraulich, während er Richtung Glaswand fuchtelt. Das nützt ihm wenig: »Ich sehe, Sie halten es eng mit der Bibel«, erwidert Stritter gut gelaunt. »Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten. Johannes 6, 35.« Allmählich zeigen sich erste Anzeichen ernster Besorgnis auf Ingos Antlitz.

      Dennoch geleitet er uns tapfer rechter Hand eine elegant geschwungene Treppe in Weiß und Gold empor in einen Flur, der ein einzig Traum unschuld´gen Weißes ist: Wände, Decke, Boden (Marmor), Fuß- und Zierleisten wie reinster Schnee. Zwischen den ebenfalls intensiv kreidebleichen Türen zu beiden Seiten in regelmäßigen Abständen schlank glasierte Keramikvasen, die mir bis zum Kinn reichen. Farblich fügen sie sich derart ideal in ihre Umgebung, dass das Dunkelgrün ihrer Bepflanzung (Zantedeschien und Orchideen in Weiß) sofort mein Auge fängt. Auch hier kommt wieder alles Licht aus einer großzügig verglasten Stirnwand, die auf einen Südbalkon führt. Im Gegenlicht verstärkt sich der Eindruck blendenden Weißes sogar: So mag es aussehen vielleicht, wenn man am Ende seines Lebens aufbricht ins Licht. Erlebnisarchitektur, auf die jeder Sektenführer stolz wär.

      Dieses leichte Versprechen eines nachfolgenden Paradieses wird vom Zimmer, das man mir zuweist, durchaus solide gehalten. Der Raum läuft aus in einen fünfeckigen Fenstererker vom Boden bis zur Decke in der Größe eines kleinen Wintergartens, davor als Blickfang eine Sitzecke mit gemütlichem Vintage-Sofa in bunten Längsstreifen nebst Zimmerpflanze und goldenem Kerzenleuchter. Fernerhin gibt es einen Bücherschrank (Bestseller, Ayn Rand in der Werkausgabe, wirtschaftliche Fachbücher und Managementratgeber) sowie ein freistehendes Himmelbett in Weiß und Gold, werde also schlafen wie eine Märchenprinzessin. Und selbstverständlich hat auch mein Zimmer angrenzend einen eigenen Traum von Weiß in Gestalt eines Badezimmers mit geschwungenen Wänden und großzügig platzierten Zierpflanzen. Weniger ein schlichtes Bad als vielmehr ein Tempel der Körperpflege mit Fußbodenheizung und dem leicht schweren Duft von Kiefernadeln.

      Beim Auspacken stelle ich fest, dass im begehbaren Wandschrank bereits flauschige Bademäntel in unterschiedlichsten Größen hängen, zudem Badeanzüge und Tenniskleidung. Sobald alles verstaut ist, trete ich in den Ausblickserker und stelle dabei irritiert fest, dass ich mich wesentlich aufrechter halte als gewohnt, ein wenig gewachsen vielleicht sogar. Kein Wunder, alles hier schreit ja förmlich: Dein Körper muss atmen, du sollst dich nicht ducken, wertvoll bist auch du. Wie es wohl wär, wenn man auf Dauer in solch Räumlichkeiten lebte? Was für eine neue Art von Mensch daraus entstände? Schade, dass derartige Anwesen oft im Besitz eben jener Leute mit dem geringsten Besserungspotenzial sind.

      Durch fünf Fenster gewinne ich einen guten Überblick über das Gelände hinter dem Haus, die Arena meiner vielleicht bevorstehenden Schlachten. Auf einer hochherrschaftlichen Terrasse mit Sonnendach kämpft Ingo soeben mit dem Aufbau eines Kugelgrills, Anleitung vermutlich wieder nur in Form von Piktogrammen, Hieroglyphik nichts dagegen. Links hinten auf dem Tennisplatz toben sich der Hitze zum Trotz unerschütterlich und unverstehbar zwei Gestalten in Weiß aus, rechts glitzert und gleißt hingegen gänzlich unberührt ein Swimmingpool in allmählich tiefer wandernder Sonne. Kieswege führen auch hier durch ein weitläufiges Parkgelände blühender Landschaften, diesmal sogar mit zum Lustwandeln ladenden Springbrunnen und Bänken. Auch ein Minigolfgelände kann ich erkennen und irgendwo dahinter das Funkeln glänzenden NATO-Drahts, welches die Außenmauer markiert. Hatte die Backhus nicht von echtem Golf gesprochen? Alte Aufschneiderin, aber wirklich.

      Dann straffe ich mich: Zeit, hinunterzugehen und Dingen ins Gesicht zu sehen, trotz wohltuender Kühle hier drinnen und faulmachender Hitze draußen. Auch wenn alles hier so schön scheint, dass ich das