»He?«
»Weil du dich hier bei uns frei bewegen kannst. In der Business herrscht ne andere Temperatur. Dort müsstest du immer hübsch mit dem Rücken zur Wand.«
Bevor ich etwas darauf antworten konnte, war Sarah zur Stelle: »Wer weiß, vielleicht steht er ja drauf. Ich hab vor kurzem gelesen, dass jeder vierte Hetero-Mann grundsätzlich an Sex mit anderen Männern interessiert ist.«
»Wo hast du denn den Scheiß her? Das kann doch nur aus irgendeiner Homozeitschrift stammen«, schoss Attila zurück. »Von den Jungs in meinem Freundeskreis ist definitiv niemand zum Afterboarding bereit.«
»Pssst, leiser!« Nina hatte den Finger auf den Mund gelegt. Vergeblich. Attila und Sarah waren nicht zu bremsen.
»Nee, so war das auch nicht gemeint. Es stand auch drin, dass die Männer das lediglich dann machen würden, wenn sie den aktiven Part übernehmen dürften. Also immer schön die Kontrolle behalten, weißte.« Sarah war vor dem Getränkewagen in die Knie gegangen, um eine Colaflasche herauszuholen. Sie blickte mich mit rollenden Augen an.
»Na, Topsi, keine Lust? Wir binden Attila auf dem Essenswagen fest und du ...«
»Ach nee, lass stecken ...«
»Könnt ihr nicht mal von was anderem reden, ihr seid echt eklig!« Nina bemühte sich darum, ihrem hübschen Gesicht einen entrüsteten Ausdruck zu verleihen.
»Wieso denn eklig?«, warf Attila ein. »So geht das halt, wenn die miteinander Liebe machen. Wenn du damit ein Problem hast, dann bist du hier im falschen Job, Mädchen. Wir haben auf dem Schiff nun mal überdurchschnittlich viel Schokoladenfabrikbesucher.«
»Ich hab überhaupt kein Problem damit, aber ich finde, dass man das auch anders ausdrücken kann.«
»Okay, Schwuchtel!«
»Sag mal, spinnst du?« Sarah blickte zwischen der letzten Passagierreihe und Attila hin und her. »Die Paxe!«
»Der Einzige, der hier ein Problem hat, bist du.« Miriam hielt ihre blonde Naturkrause mit einem Haargummi im Zaum. Verärgert strich sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und deutete auf Attila. »Nina hat schon recht. Das kann man wirklich anders ausdrücken. Ich finde das respektlos.«
»Was weißt du von Respekt? Außerdem sage ich es ja nicht zu denen.« Attila federte angriffslustig auf den Fußballen.
»Jetzt hört auf damit! Es wird Zeit, dass wir uns ins Getümmel werfen.« Demonstrativ wandte sich Sarah an Miriam. »Verteilst du lieber Essen oder Getränke?«
»Also, wenn es dir nichts ausmacht, würde ich lieber die Getränke machen. Ist das okay für dich?«
»Ja, klar. Mir völlig egal.« Sarah wandte sich an Attila. »Huber international, wie siehts aus, sind die Essen schon so weit?«
Attila antwortete nicht. Mit Schwung ließ er die Aluschalen halb in die Essenseinschübe hineingleiten, halb schüttelte er sie. Geräuschvoll schob er die leeren Metallroste zurück in den Ofen.
Sarah verdrehte die Augen und flüsterte mir hinter vorgehaltener Hand zu: »Mann, voll die Zicke!«
Ich nickte nur. Zwei Minuten später stellte Attila die gefüllten Plastikeinschübe mit einem lauten Knall auf die Wagen. Ganz sauber ist der nicht, dachte ich, als ich den schweren Trolley in den Gang hineinbugsierte. Dann traute ich meinen Ohren nicht. Attila stand mitten in der Galley, unserer Flugzeugküche, und sagte so laut, dass es zumindest die hinteren drei Passagierreihen hören mussten:
»Los, Schwestern, ab an die Front, Arbeit macht frei!« Dabei stand er grinsend da und formte mit Zeigefinger und Daumen Pistolen, die er symbolisch auf uns abfeuerte.
Wir taten so, als hätten wir nichts gehört und zogen mit unseren Wagen davon. Bloß Miriam schüttelte auf der anderen Seite den Kopf.
»Der spinnt doch, oder?«, fragte Nina leise.
»Ja, sieht so aus«.
Umso angenehmer war es, mit Nina zusammen am Wagen zu stehen. Man merkte sofort, dass ihr der Job Spaß machte. Sie hatte nicht dieses professionelle Stewardessen-Lächeln drauf, das sich von jetzt auf gleich an- oder ausschalten lässt. Nina war auf eine ungezwungene Art freundlich. Unbekümmert. Ein Scherz hier, ein lockeres Sprüchlein da. Ihre gute Laune wirkte ansteckend. Selbst ich, der ich mich nicht als Schnell-Kontakt-König bezeichnen würde, fühlte mich beschwingt. Fast heiter. Schneller als wir gedacht hatten, war unser Vorrat an heißen Essen zur Neige gegangen.
Weil Attila nicht selbst mit neuen Essenseinschüben nachkam, zwängte ich mich zwischen den Passagiersitzen und meinem Wagen hindurch und ging zurück in die Bordküche. Dort setzte Miriam gerade an:
»Sag mal, spinnst du total!? Hier deine Nazisprüche abzulassen und auch noch so laut, dass sie das ganze Flugzeug hört.« Miriam hatte sich vor Attila aufgebaut. Sie war zwar wesentlich schmächtiger als er, verströmte aber in diesem Augenblick deutlich mehr Energie.
»Ich weiß nicht, was du hast. Wo ist das Problem? Ich bin Türke, ich darf so was sagen. Außerdem haben den Spruch deine Großeltern erfunden, nicht meine.« Attila lehnte betont gelassen an der Wand. Die muskulösen Arme hatte er vor der Brust verschränkt.
»Wie bitte?« Miriam schnappte nach Luft.
»Oder hast du irgendwo schon mal gelesen, dass jemand der Türkei den Mord an sechs Millionen Juden in die Schuhe schieben will?« Attila nutzte den Augenblick, um nachzusetzen. »Na ja, ich wäre auch nicht besonders stolz darauf, wenn mein Opa so viel Dreck am Stecken hätte, aber so ist es nun mal.«
Miriam hatte genug. Ohne etwas zu sagen, drehte sie sich um und rauschte davon.
»Ein bisschen empfindlich, die Alte.« Er zog die Augenbrauen hoch. »Dann braucht sie über diese Dinge auch nicht zu diskutieren, wenn sie die Wahrheit nicht verträgt.« Attila griff nach meinem leeren Essenseinschub und ging zum Ofen.
Ich seufzte. Das konnte ja heiter werden.
KAPITEL 5
Attila und ich hatten beim Losen die zweite Pause gewonnen. Folglich hielten wir zusammen die erste Wache. Inzwischen war es ruhig geworden an Bord. Inge hatte das Kabinenlicht auf ein Minimum heruntergedimmt. Die meisten Passagiere versuchten, zu schlafen oder die Zeit mit einem Film totzuschlagen.
»Sag mal, Attila, macht's dir was aus, wenn ich nach vorn gehe und dort was esse?«
»Nee, mach«, antwortete er, ohne von seiner Mens Health aufzusehen.
»Ich erledige auf dem Rückweg den Toilettencheck, okay?«
»Mach einfach.«
Ich schnappte mir eine der Stablampen und machte mich auf den Weg nach vorn. Ich freute mich tierisch auf was zu beißen. Mein Magen hatte mich schon mehrere Male angeknurrt, weil ich ihn vernachlässigte.
Die First-Class-Galley befindet sich unmittelbar hinter dem Cockpit. Jeder Premiumgast kann aus einer ansehnlichen Palette an Speisen auswählen. Für gewöhnlich bleibt so viel Essen übrig, um die gesamte Besatzung glücklich zu machen.
Ich entschied mich für verschiedene Vorspeisen und nahm Helgas Angebot an, mir einen Gänsebraten warmzumachen.
An der Cockpittür gab ich den Code ein und hielt den Kopf in die Kamera. Wenig später ertönte das Klacken des Entriegelungsmechanismus.
»Hallo, Jungs«, sagte ich und schloss die Tür hinter mir.
»Servus«, kam es von links. Kai war unser Senior First Officer. Er saß während des Reiseflugs auf dem Sitz des Kapitäns, wenn der schlief. Alarich, der Copilot, hingegen reagierte nicht, er war wild beschäftigt. Ich wartete, bis sich Kai mir zuwandte und fragte: »Wollt ihr was trinken?«
»Nein, danke.«
Der