Da war zuvörderst erst einmal Vaters makellose, griechische Nase, deren Fehlen sie bei mir so oft beklagte, denn ich hatte leider nur ihr Riechorgan geerbt. Ferner die ulkigen Marotten mit denen er ihr Herz erobert hatte und seine künstlerische Empfindungsfähigkeit. Die Eleganz, mit der er seine maßgeschneiderten Anzüge trug, die ebenmäßigen Zähne und sein Charme.
Zu seinen Marotten gehörten Schlafanzüge mit Bügelfalten. Wie oft hatte Mutter das erzählt, und von dem Wunder, dass er allmorgendlich völlig unzerknittert dem Bette wieder entstieg.
Überhaupt muss er immer wie aus dem Ei gepellt gewirkt haben, und Mutter rätselte lange, warum sein Gesicht immer so frisch strahlte, wenn er zu einem Rendezvous mit ihr erschien. Er hatte sich jedes mal ein Viertelstündchen vor die Höhensonne gesetzt. Seine strahlende Erscheinung lockte nicht nur die Damen, sondern auch jene des verfemten sogenannten „Dritten Geschlechts“ in großer Zahl an. Er zog sie an wie Licht die Motten, und Mutter berichtete oft erschüttert, mit welcher Vehemenz er die Avancen der Unglücklichen ablehnte. In dem ansonsten so zärtlichen, hoch musikalischen Manne, der so gerne im Gewandhaus Wagners Klängen unter Furtwänglers Taktstock lauschte, loderte ein wahrer Hass auf dieses artfremde, undeutsche Treiben und oft musste er sich mit bloßen Fäusten Respekt verschaffen.
Er hatte einen besonderen Blick für jene Unseligen und oft wies er Mutter auf den Einen oder Anderen hin, der ihn einen Moment zu lange angestarrt hatte.
»Mike!«, erzählte Mutter gern: »Ich hab da nie was gesähn, wirklich. Ich hab da nie was bemärkt, bis er mich anstieß und losgrollte. Dein Vater war eben sehr sensibel.«
Die Brüder wohnten noch im Elternhaus, doch mein Vater besaß in Leipzig ein sogenanntes Pied à terre in Form eines möblierten Zimmers. Dort in Leipzig lernten sich Mutter und Vater kennen und dort wurde ich vermutlich auch gezeugt.
Sieben Jahre hatte es gedauert, bis der Mann aus der Turmvilla endlich nach der Ehe fragte und er fragte erst, als ich schon unterwegs war. Es war für Mutter schwierig gewesen, war sie doch mit dem Beruf einer Putzmacherin weit unter Stande für diese eher großbürgerliche Familie.
Ärger hatte es im Vorfeld der Hochzeit allerdings reichlich gegeben, denn sie schleppte ein schweres Handikap in Form einer unehelichen Tochter mit sich herum: Meine Schwester Jutta.
Oft hatte Mutter mir versichert, dass sie vorher von Tuten und Blasen keine Ahnung hatte. Was ich gerne glaubte, denn sie wirkte ein Leben lang so. Nach einer durchzechten Nacht war sie im Bett ihres Galans erwacht, entjungfert und gleich schwanger. Trotz der ruchlosen Tat waren die Absichten des Besagten ehrenhaft. Er wollte sie unbedingt ehelichen. Leider hatte Mutter danach eine solche Abneigung gegen die körperliche Vereinigung erfasst, dass sie jedes mal durch das Toilettenfenster flüchtete, sobald sie des Hochverliebten durch die Schaufensterscheibe des Hutsalons ansichtig wurde.
Sex wurde so ein Leben lang zu etwas unerhört Schmutzigem, Verbotenem bei ihr.
Vermutlich lag sie da bei dem Mann mit den Bügelfalten im Schlafanzug ganz richtig. Willi hieß ihr Traum und der ließ verdammt lange auf sich warten, zumal er auch noch bei seinem Bruder unter dem Pantoffel stand, der diese Mesalliance höchlichst verurteilte. Dieser verbot dem jüngeren Bruder schlichtweg den Umgang mit der Gestrauchelten und jedesmal, wenn er für einige Tage seinen Besuch in Leipzig ankündigte, beendete Vater folgsam das Verhältnis mit der Geliebten, bevor der Gestrenge erschien.
Mutter, der eine gewisse Raffinesse, trotz der katastrophalen Unwissenheit, nicht abzusprechen war, handelte jedesmal ähnlich. Da sie hübsch und charmant war, mangelte es ihr nie an Verehrern. Sie nahm das Urteil gelassen entgegen und erschien am Abend am Arm eines anderen Galans in den Bars und Cafés, von denen sie annahm, dass die beiden jungen Lebemänner sie aufsuchen würden. Es gelang ihr wohl meistens und sie konnte ein wenig Komödie spielen, bis Willichen vor Eifersucht schier verging und eine Szene machte.
Talentiert war sie ja und ihre Hutkreationen gefragt. Wie gesagt: Sieben abwechslungsreiche Jahre trieb das junge Paar sein Spiel auf diese Weise, bis es Mutter endlich gelang, in den heiligen Stand der Ehe zu treten. Vermutlich war die Schwangerschaft das letzte Druckmittel gewesen, um den Unwilligen zur Hochzeit zu bewegen. Der Krieg näherte sich bereits seinem tragischen Ende und es gab keine Parfümpäckchen aus Paris mehr, wo Vater vorher stationiert war. Wie erleichtert muss sie gewesen sein, als endlich das Telegramm mit folgendem Inhalt von der Front kam:
»Komme auf Heiratsurlaub, mach die Papiere fertig.«
Endlich konnte sie in die Turmvilla einziehen. Besonders weit hatte sie es ja nicht mehr. Das Schicksal hatte sie bereits nach Coswig geführt. Nach dem großen Bombardement Leipzigs hatte man Frauen und Kinder im Umland untergebracht, und Mutter war, wie das Leben so spielt, ausgerechnet in Coswig gelandet. Auch hatte man für Abwechslung im eintönigen Berufsalltag gesorgt. Als Zwangsverpflichtete wurde ihre Kreativität in der Coswiger Munitionsfabrik dringend benötigt.
Von den Einwohnern misstrauisch beäugt und ob ihrer auffallenden Erscheinung abgelehnt, hatte sie sich einen der begehrtesten Junggesellen der Stadt geangelt. Ich fürchte, ihr Erfolg bei Schwiegermutter und Schwägerin hielt sich in Grenzen. Besonders nach dem Tod des geliebten Mannes, dem das Glück der Vaterschaft nur für zwei Monate zuteil wurde, kam es zu Spannungen.
Mutter zog bald, nach kurzem Gastspiel im Hause Görlitz, mit zwei Kindern wieder aus.
Die Turmvilla war zum Trauerhaus geworden. Vater war tot, sein Bruder, der Verleger, ebenfalls. Der reiche Onkel in der Röhm-Uniform, der mit der schicken Villa, weilte auch nicht mehr unter den Lebenden: Er verunglückte mit seinem Mercedes auf dem Rückweg von Berlin nach Leipzig tödlich, und die Gerüchte, dass sein Tod nicht ganz zufällig erfolgte, wollten nicht verstummen. Zumal die Familie in seinem Nachlass äußerst kompromittierende Briefe von und an einen jungen Mann gefunden hatte.
Was seine Alibi-Dauerverlobte Lina Carstens betrifft, ist sie mir nur aus dem Kino bekannt, wo sie erfolgreich Pater Brown als Haushälterin von einer Strafversetzung zur nächsten stoisch hinterher trottete. Oder als Lina Braake mit der Bank ein Hühnchen zu rupfen hatte. Mein Lebtag habe ich mich nicht gewagt, an diese Tante in spe heranzutreten, doch im Film war sie mir immer äußerst sympathisch erschienen. Damals war sie noch jung und hübsch und hatte im Rollenfach Salonschlange bei der Ufa geglänzt.
Das ist eigentlich schon alles, was ich über die Familie meines Vaters weiß. An Großmutter Görlitz erinnere ich mich nur noch dunkel.
Ich erinnere mich an eine strenge, verfinsterte Frau, in deren Zimmer ganze Heerscharen von Bronze-Kriegern und Göttern über sämtliche Schränke und Stellflächen marschierten und mir war immer seltsam beklommen in ihrer Nähe. Einzig ein fischendes Bronzeknäblein fand mein Gefallen, da der Fisch, der an seiner Angel hing, allerliebste bewegliche Schuppen besaß, mit denen der Schwanz zappeln konnte.
Ich ging gar nicht gern zu ihr. Schon lieber war mir da Tante Hedwig mit ihrem Kraushaar, das immer ein wenig an eine aufgesprungene Rosshaar-Matratze erinnerte. Aber auch sie gehörte nicht gerade zu meinen Lieblingen. Wie sagte Jutta?:
»In dieser Familie waren nur die Männer schön.«
Am liebsten von der Görlitz-Familie besuchte ich aber doch meine Tante Mieke, die ein kleines Häuschen in einer anderen Straße besaß und Mutter zweier Kinder war. Die Kinder waren schon außer Haus und Cousin Achim bereitete sich auf seinen Beruf als Förster vor. Obwohl es in dem Häuschen immer muffig roch, eroberte sie doch mein Herz mit kleinen Geschenken. Bei fast jedem Besuch erhielt ich ein Tier aus Achims Spielzeugfundus, bis ich einen ganzen Zoo und einen Bauernhof mein eigen nannte.
Ich machte meine Besuche stets allein, da der Kontakt zwischen Mutter und der Görlitz-Familie vollends abgebrochen war. Der Grund des Zerwürfnisses war ein anderer begehrter Junggeselle, dessen Gunst sie erlangt hatte.
Auf diesen hatte eigentlich Tante Hedwig wohl mehr als nur ein Auge geworfen, sondern vermutlich auch noch ihre Pferdekrause, bevor Mutter sie aus dem Rennen drängte. Zumal Hedwig