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Sandburgen & Luftschlösser. Lustige Tragödie – Teil 1
Karl M. Görlitz
published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
Copyright: © 2012 Karl M. Görlitz
ISBN 978-3-8442-3148-9
Für Rüdi und Rosa
Karl M. Görlitz
SANDBURGEN &
LUFTSCHLÖSSER
Lustige Tragödie
Aufstieg und Fall einer mitteldeutschen Flüchtlingsfamilie im prosperierenden Westen der Republik. Geschildert aus der platten Sicht ihres schwärzesten Schafes auf schlappen 1.800 Seiten in drei Bänden.
DER AUTOR :
Karl Michael Görlitz wurde 1943 zwischen Dessau und Wittenberg geboren und wuchs nach der Flucht am Niederrhein auf. Heute lebt er mit Mann und Frau in Berlin.
Inhaltsverzeichnis
Vorspiel
Statt eines Nachworts
Made in Coswig
Die Aschenputteljahre
Lehrjahre sind keine Herrenjahre
Paris
Der Eintänzer aus der Fischbratküche
Das Haus im Grünen
Community
VORSPIEL
Wenn man es sportlich sieht, bin ich Sieger nach Punkten. Ich habe überlebt. Mein Bruder wartet in seinem billigen Fichtensarg darauf, in ein handliches Häufchen Asche verwandelt zu werden.
Ich stehe mit seinem Wohnungsschlüssel im Flur des Hauses, in dem er zuletzt wohnte. Ein schöner Altbau. Langsam steige ich die Treppen hinauf und suche den Namen Popig an den Türen. Nichts! Kein Popig! Ich habe mich doch nicht geirrt, der Schlüssel zum Hausflur passte! Verunsichert bleibe ich wieder stehen. Ein Nachbar stöhnt beim Heraufkommen.
»Können Sie mir sagen, wo Herr Popig gewohnt hat?«
»Ja, gleich im Erdgeschoss.«
Natürlich! Wie konnte ich diesen Eingang übersehen, die geborstenen Glasscheiben der Türe sind mit Brettern ausgebessert. Zögernd stecke ich den Schlüssel ins Schloss. Er passt. Als ich öffne, schlägt mir schwer der beizende Gestank alter Katzenpisse entgegen. Es würgt mich sofort, und erschüttert vom Anblick, der sich meinen Augen bietet, bleibe ich stehen.
So etwas kenne ich höchstens aus dem Kino, und da war so was wenigstens ohne Geruch. Wie andere mit spitzen Fingern etwas berühren, trete ich sozusagen mit spitzen Füßen ein. Ich steige über Essensreste, auf denen sich imponierende Schimmelpilzkulturen gebildet haben, trete über verdreckte Unterhosen, umrunde Flecken, die zusammen mit den Essensresten und alter Katzenkacke das Muster eines ehemals chinesischen Teppichs bereichern, stehe fassungslos vor einem Ledersofa, das umringt von Batterien leerer Flaschen offensichtlich den Lebensmittel-Punkt des Bruders bildete. An dem er geklebt hat, im wahrsten Sinne des Wortes. Umringt von Büchern, Schallplatten und Manuskripten, die sich an den Wänden stapeln. Durchmischt mit Briefen, geöffnet und ungeöffnet, alten Socken und Lumpen. Auf dem Sessel sehe ich seine Armbanduhr neben verstreuten Gewürzen. Auf dem Tisch, unter Bergen von Müll, entdecke ich die Silberleuchter, die unsere Mutter einst seinem Vater schenkte.
Ich gehe weiter, ich kann mich nirgendwo setzen. Im Bad finden sich andere Hinterlassenschaften, besser kann man nicht demonstrieren was man von der Welt hält. Erst nach langem Spülen weicht der Dreck.
Im Flur liegt zwischen dem ganzen Müll Geld auf einer Kommode, nicht viel, aber immerhin, Geld hatte er immer. Ich stecke davon zwanzig Mark ein. Ich habe kein Geld, auch wie immer. Ich werde Blumen davon kaufen. Ein letzter bitterer Witz. Er wird seine Beerdigungsblumen selbst bezahlen.
Auf dem Schreibtisch türmen sich Briefe, Akten, Notizen, Trink- und Essensreste. Wie soll ich in diesem unsäglichen Durcheinander überhaupt etwas finden?
Mutlos setze ich mich doch, und nehme einen der Ordner in die Hand. Beim Aufschlagen fällt mein Blick zuerst auf Grundbuchurkunden, dann auf Schriftwechsel, den Erbfall betreffend. Heureka! Beim allerersten Griff, das, was ich suche.
Welch grausame Ironie. Da hat er nun den Erbstreit um das Vermögen im Osten gewonnen, und nun ist er seine Grundstücke nicht losgeworden. Unser Millionär hat sich mit Geldern vom Sozialamt ins frühe Grab saufen müssen. Auf zwei Millionen war der Besitz nach der Wende geschätzt worden, aber nachdem der Investor Aldi wegen der ungeklärten Besitzverhältnisse abgesprungen war, hat er auf dem Trockenen gesessen. Pech!
Unsere gemeinsame Halbschwester Jutta, von der ich die Todesnachricht vorgestern erhalten habe, hat schon am Telefon darüber gekichert. Bei ihr ist der Ofen völlig aus, nicht einmal zur Beerdigung wird sie erscheinen. Nichts will sie mehr davon wissen, was auch eine fromme Lüge ist, denn sie birst geradezu vor Neugier. Schließlich tun sich völlig neue Möglichkeiten für uns auf. Jetzt sind wir die gesetzlichen Erben.
Mich schaudert. Es ist, als läge ein Fluch auf dieser Hinterlassenschaft. Dieser unappetitlichen, in der ich gerade sitze, und jener, im fernen Coswig, unserem Heimatstädtchen. Zwei Tote hat sie bereits gefordert.
Unsere Mutter schon ist darüber vor Ärger ins Grab gesunken. Ärger über den unbotmäßigen Sohn, der sie wutschnaubend ausgebootet hat, als sie ihren Anteil einforderte. Nach all den Nächten, in denen der Sohn volltrunken telefonisch um Geld und Zuneigung heulte, und so ihr komfortables Rentnerdasein zum Teufel ritt. Das Karussell der drei Kinder, welches sich immer schneller um Mutter drehte und immer neuen Hass gebar.
Ich bin gerade noch rechtzeitig abgesprungen, den Bruder hat es nun endgültig aus der Kurve getragen.
Und in Leipzig lacht die Dritte, welche durch die Mauer für längere Zeit geschützt blieb. Hass und Schreie und Flüstern, griechische Tragödie in sächsischer Mundart. De Ginder von Medäa, Band eens.
Zumindest der Tod war gnädig zu ihm, er soll friedlich im Schlaf an einer inneren Blutung gegangen sein, so der Arzt. Heutzutage stirbt ja niemand mehr, man geht einfach. Und wer die Zeche nicht bezahlen kann, wird vom Staat diskret entsorgt als Grillgut der preiswertesten Variante. Schlichte Fichte drumherum vom Sarg-Discounter, die Abwärme ins Fernheiznetz eingespeist und der Rest ab in die Dose, neuerdings auch zum Mitnehmen. Alles für schlappe zwei Mille hat man mir vorhin beim Bestatter offeriert, denn als Angehörige sind wir zur Zahlung verpflichtet.
Jutta, die Schwester, hat schon am Telefon abgewunken, keinen Pfennig für den Schuft. Seit dem Schmähbrief ist die einstige Verbündete nicht mehr zu sprechen für den Bruder. Dieses Problem hat sich ja nun von selbst aufs Eleganteste gelöst. Ich war ihm leider nicht einmal einen eigenen Brief wert, sondern erhielt praktischerweise nur eine Kopie mit einigen für mich bestimmten Freundlichkeiten, in welchen mir unter anderem jegliche moralische Kompetenz aberkannt wird. Womit er unbedingt recht hat.
Dabei hatte es nach unserem letzten Gespräch noch so gut ausgesehen. Endlich war er eingeknickt und hatte weinend seine Fehler eingestanden. Endlich schien die Fehde vorüber, danach hatte ich ihm als großmütiger Sieger jegliche Hilfe bei seinem Alkoholproblem zugesagt. Es hat nicht sollen sein, meine Hilfsbereitschaft verwehte bei der kurzweiligen Lektüre, die drei Tage später im Briefkasten lag. Seither herrschte Schweigen für einige Jahre, ich ließ ihn ziehen mit Vaterhaus und Mutterkomplex. Zum Schluss vereinfachte sich das stumme Ringen mit dem Halbbruder auf die schlichte Frage: wer hält länger durch.
Drei verschiedene Väter ließen ihre Gene in uns Geschwister einfließen. Die künstlerische Ader erbten wir offensichtlich von der Mutter, auch eine gewisse Suchtprädisposition, um es mal vornehm auszudrücken. Mutter süffelt elegant, der Bruder als Bonvivant und schreibender Gesellschaftskritiker, ich kiffe, und in Juttas Adern fließt Theaterblut, die schlimmste aller Drogen. Jutta blieb freiwillig zurück bei unserer Flucht in den Westen, hatte sie doch längst Abstand genommen von der liebenden Fürsorge von Mutter und Stiefvater, und so wurde es zum jahrelangen Zweikampf mit dem jüngeren Bruder um etwas,