Sein Gesicht war lang und dennoch wuchtig, an den Schläfen scharfkantig und weich um die Kieferpartie. Es wurde von der starken, gerade nach unten fallenden Nase mit ihren ausladenden Flügeln dominiert. Die Haut war blass aber rein und gesund, seine Lippen weich, das Kinn rund und kräftig. Eingerahmt wurde dieses eigenwillige Gesicht, das männlich und weichlich zugleich erschien, von einer vollen, schwarzen Mähne aus glattem, kinnlangem Haar. Sein Blick war scharf und die dunkelbraun funkelnden Augen sprühten geradezu vor Charme und Spitzbübigkeit.
Hatte ich den geheimnisvollen Schriftsteller gefunden? Wie sollte ich ihn darauf ansprechen? Und falls er es war: was würde er davon halten, dass ich in seinen Unterlagen herumschnüffelte?
Ich beschloss instinktiv, mich erst einmal heranzutasten und mehr über ihn in Erfahrung zu bringen.
Wer hat das gesagt? fragte ich.
Verzeihung? Seine Stimme war weich und klar, ohne jeden Akzent oder Dialekt.
Das mit der Zigarette – wer hat das gesagt?
Mein junger Freund, ich muss Ihnen mein Kompliment aussprechen: Zweifellos sehen Sie die Welt mit anderen Augen! Oder hören sie mit anderen Ohren – ganz wie man es nimmt…
Sie meinten gerade, eine Zigarette ist der perfekte Genuss und so weiter… Wer hat das gesagt?
Obwohl Sie Sich ihre Frage ganz offensichtlich bereits selbst beantwortet haben, ist es mir ein Vergnügen, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass es sich beim Urheber ebenjener Bemerkung über das Rauchen selbstverständlich um niemand anderes als mich selbst handelt.
Das habe ich mitbekommen. Ich meinte, von wem dieser Ausspruch ursprünglich stammt.
Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz.
Sie haben das in einem so … dozierenden Ton gesagt. Als wäre es ein bekanntes Zitat. Der Ausspruch einer berühmten Persönlichkeit. So wie Sein oder nicht sein.
Ich bin erleichtert, dass sich einige junge Leute noch der Ernsthaftigkeit des Themas Tabakgenuss bewusst zu sein scheinen. Darüber hinaus kann ich jedoch nur feststellen, dass die betreffende Bemerkung das unmittelbare Resultat meiner ganz eigenen Gedanken gewesen ist. Soeben in diesem Moment. Und machen Sie Sich nicht allzu viele Sorgen über meinen – wie nannten sie es? dozierenden Tonfall. Das wird mir häufiger nachgesagt. Es liegt lediglich daran, dass das meiste, was ich von mir gebe, von so fundamentaler Bedeutung ist.
Da bin ich aber sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft machen zu dürfen, entgegnete ich mit vorsichtiger Ironie und stellte mich vor.
Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite. Mein Name ist Dewil.
Devil? wiederholte ich ungläubig, ohne mir ein leises Schmunzeln verkneifen zu können. Ist das nicht ein kleinwenig – theatralisch?
Oh, unbedingt. Infantil wäre ein weiterer nur allzu treffender Begriff. Zumindest wenn ich mir die Jugend dieses Jahrhunderts und ihre Bräuche genauer besehe. Lady Dumbleton würde es gewiss als ordinär bezeichnen. Aber das ist kein Wunder, sie bezeichnet so gut wie alles als ordinär.
Lady Dumbleton?
Ich bitte aufrichtig um Verzeihung für diese Ungenauigkeit. Natürlich ist Ihnen die Dame unbekannt. Lady Dumbleton gehört gewissermaßen zum ungeliebten Teil der Familie.
Gibt es in Ihrer Familie Streit?
Selbstverständlich. Aber das hat nichts mit Lady Dumbleton zu tun. Um ehrlich zu sein: ich kann so gut wie keines meiner Familienmitglieder ausstehen. Insofern gehören sie alle zum ungeliebten Teil.
Ich verstehe. Und Sie sagten, Ihr Name sei Devil?
Sie brauchen das gar nicht so pikiert zu intonieren, mein Lieber. Man kann schließlich nichts für seinen Namen. Darüber hinaus möchte ich sie der Vollständigkeit halber davon unterrichten, dass mein Name mit W geschrieben wird.
Dewil?
Ganz recht. Dewil.
Dann sind Sie also…
Aber bitte! Scheuen Sie Sich nicht, die hiesige Form der Anrede beizubehalten und mich zu duzen. Wenn sie erlauben, wahre ich meinerseits weiterhin die mir vertraute gesellschaftliche Etikette. Das gibt mir immer ein so sicheres Gefühl. Außerdem stehe ich Veränderungen seit jeher höchst skeptisch gegenüber. Besonders wenn sie mir nicht zu meinem unmittelbaren Vorteil gereichen.
Kennen Sie … kennst Du einen jungen Schriftsteller, der in dieser Bar hier verkehrt? fragte ich schließlich doch.
Noch einen? sagte er und zog die Augenbrauen hoch. Ich weiß nicht, vielleicht… Was wollen Sie denn von ihm?
Nun, ich habe gestern zufällig ein Manuskript gefunden, das er offenbar verloren hat. Und wollte es ihm zurückgeben.
Ach, das ist aber interessant!
Ich konnte mir nicht verkneifen, einen Blick hineinzuwerfen, sagte ich und zog die Seiten hervor. Ich glaube, ich kann seine Gedanken verstehen! Sie sind wirklich … faszinierend.
Sie erlauben?
Der Mann, der sich mir mit dem Namen Dewil vorgestellt hatte, saß neben mir auf dem Barhocker und las die gerade entstandenen Notizen. Obwohl ich es nicht näher erklären kann, habe ich den Verdacht, dass er die Papiere nur zum Schein studierte. Während er in Wahrheit schon längst über deren Inhalt bescheid wusste.
Mein lieber Freund, ich beglückwünsche Sie. Beziehungsweise: Ihren Freund! Er hat den richtigen Weg eingeschlagen.
Dann kennst Du ihn also?
Ich glaube schon.
- 3 -
Meine Finger begannen zu zittern und mein Herzschlag verschnellerte sich. Offanbar stand ich kurz davor, das Geheimnis um den unbekannten Verfasser endlich zu lüften…
Und? fragte ich begierig. Wie ist sein Name?
Sein Name, ja richtig … das ist eine gute Frage! Ich fürchte, ich weiß nicht mehr so genau… Aber ich erinnere mich, dass er für unsere Unterhaltung nicht besonders wichtig war.
Und wie sah er aus?
Eigentlich sah er so aus wie Sie.
So wie ich?
Nunja, ein junger Mann um die dreißig. Schlank, mittelgroß. Nicht unansehnlich.
Und? Hatte er irgendwelche … besonderen Merkmale?
Sie meinen ein Holzbein? Oder einen Affen auf der Schulter? Nein.
Nein, ich meine, hatte er … dunkles Haar? Oder trug er … Jeans?
Jaja, dunkles Haar. Und, äh, Jeans.
Ich rang verzweifelt mit den Händen. Und worüber haben Sie Sich unterhalten? fragte ich schließlich kapitulierend.
Jetzt kommen wir der Sache schon näher! entgegnete Dewil beschwingt. Es ging um die Kunst.
Aha, Sie sind also auch so etwas wie ein Künstler?
Sogar genau so etwas! Streng genommen der einzig wahre und vollkommene Typus des Künstlers: Ich bin Schriftsteller.
…genau wie der junge Mann, nach dem ich auf der Suche bin, murmelte ich.
Ach, sind Sie das? Interessant! entgegnete Dewil.