Wann die Zeiten wehen. Erich Rudolf Biedermann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Erich Rudolf Biedermann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844244328
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ich zurückhaltend. Bei seinen Eroberungszügen agierte er nämlich stets als Einzelkämpfer, und so passte die Ankündigung, dass er eine Super-Frau für mich gefunden habe, so gar nicht in sein übliches Konzept. Zudem waren Besuche in Nachtlokalen für Studenten ein teures Vergnügen. Doch er wischte meine Bedenken beiseite. Ohne einen Finger krümmen zu müssen, fiele mir da ein bezauberndes Weib in den Schoß. Und was das Finanzielle beträfe, so würde er für die Zeche aufkommen.

      Schon vor dem festgesetzten Zeitpunkt fieberte ich am nächsten Wochenende in der Bar der Ankunft der beiden Damen entgegen. Sie kamen pünktlich und wir nahmen an unserem reservierten Tisch Platz. Niki hatte nicht übertrieben: Beide waren ausnehmend hübsch und aufregend schick gekleidet. Im Gegensatz zu Nikis dunkelhaariger Bekannten, war die mir Zugedachte blond. Sie hieß Solveig und gefiel mir sogar noch besser, als ihre Freundin. Ihr fein geschnittenes Gesicht, mit den graublauen Augen und der leicht geschwungenen Nase, wirkte edel, und ihre Art sich zu geben ließ auf ein entwickeltes Selbstbewusstsein schließen. Von Beruf war sie medizinisch-technische Assistentin, arbeitete aber zurzeit als Drogistin.

      Ob des blendenden Aussehens meiner Damen fühlte ich mich zunächst etwas befangen, doch das gab sich bald. Wir unterhielten uns lebhaft über mein Studium und Nikis Bekannte wollte verständlicherweise Näheres über ihren Freund erfahren. Zur Unterhaltung blieb aber wenig Zeit. Solveig wollte tanzen und immer nur tanzen. Auf der Tanzfläche hielten wir uns eng umschlungen und man hätte uns für ein frisch verliebtes Paar halten können. Das wäre möglicherweise auch der Fall gewesen, wenn ich aus einer Bemerkung Solveigs nicht entnommen hätte, dass sie ganze zwölf Jahre älter sein musste als ich. Dieser Altersunterschied ernüchterte und erschreckte mich. Die Altersklasse meiner Freundinnen waren damals die 17- bis 19-Jährigen. Ihnen fühlte ich gewachsen und ging ihnen bei Gelegenheit auch an die Wäsche. Bei Solveig war das ganz anders: Diese betörend schöne Frau gehörte einer Generation an, die mir an Lebens- und Liebeserfahrung weit überlegen war. Als sie dann beiläufig erwähnte, dass sie verheiratet sei, schluckte ich. Sie bemerkte es und meinte, ich bräuchte mir deswegen keine Gedanken zu machen. Ihre Ehe hätte von Anfang an nichts getaugt. Sie und ihr Mann würden schon seit einem Jahr getrennte Wege gehen. Ich versuchte meinen Schock hinter einer flapsigen Bemerkung zu verbergen. Sie blickte mir dabei forschend in die Augen und schien erleichtert, dass ich so locker reagierte. In Wahrheit stürzte mich das Gehörte in tiefe Verwirrung, die ich durch pausenloses Tanzen zu überspielen suchte. Solveig war von meinem Aktionismus begeistert. Ich kam nicht einmal dazu, Nikis Freundin um einen Pflichttanz zu bitten. Das war auch nicht schlimm, denn sie war die meiste Zeit hinter Nikis Garderobe beschäftigt.

      Je weiter der Abend fortschritt, desto näher kam mir meine Partnerin. Während des Tanzens drängte sie ein Bein zwischen die meinen, sodass ich die Formen ihres Körpers bei jeder Bewegung spürte. Wir küssten uns, ich spürte ihre Zunge in meinem Mund und sie flüsterte mir zärtliche Worte ins Ohr. Es waren wunderbare Empfindungen, die meine Männlichkeit erregten. Trotzdem, ich fühlte mich bedrängt und sah mich bereits in den Fängen einer gefährlich-schönen Raubkatze.

      Als ich gegen zwei Uhr früh die Tanzbar verließ und mich mit meinen Begleiterinnen auf den Heimweg machte, herrschte dort noch ausgelassene Stimmung. Niki konnte nicht mitkommen, weil er noch an der Garderobe zu tun hatte. Auch meine von Wein und Tanz beschwingten Damen zeigten sich noch putzmunter und verspürten plötzlich Lust auf einen Drink in Ilses Wohnung. Als erfahrener studentischer Zecher hätte ich normalerweise auch nichts dagegen einzuwenden gehabt. Doch mir schwante, was meine angeschwipsten Damen im Schilde führten. Auch ich hatte Alkohol getrunken und wollte mich schon deswegen nicht in Unvorhersehbares stürzen. Außerdem sträubte sich mein männlicher Stolz gegen die mir vermutlich zugedachte Rolle eines potenten, aber unbedarften Liebhabers. Also schützte ich eine anstehende Zwischenprüfung vor und ließ mich auch durch das Drängen der Damen nicht umstimmen.

      Am folgenden Tag konnte ich Niki weder im Studentenheim noch auf dem Tennisplatz finden. Wie er mir später berichtete, hatte er sich von der Bar direkt in die Wohnung seiner neuen Freundin begeben und dort den Rest der Nacht und den folgenden Tag verbracht. Während des Nachmittags sei Solveig bei ihnen vorbeigekommen und hätte sich über meine reservierte Haltung am Schluss des Abends enttäuscht gezeigt. Meine Zurückhaltung könne sie sich nur so erklären, dass ich hinter den Ohren noch nicht ganz trocken sei. Einer Einschätzung, der ich nicht widersprechen wollte.

      Kapitel 6

      Meine Zeit im Studentenheim war zu Ende gegangen. Ich hatte mein Examen bestanden und aus diesem Anlass Freunde und Bekannte zu einer Abschiedsparty geladen. Als kulinarischen Höhepunkt hatte ein ungarischer Kommilitone ein Gulaschgericht nach Art seiner Heimat zubereitet. Es war so scharf gewürzt, dass es nur bei ständiger alkoholischer Kühlung zu genießen war. Schon deshalb wurde es ein richtig feucht-fröhlicher Abschied, der sich bis in die Morgenstunden hinzog.

      Auch Niki war dabei gewesen und hatte kräftig mitgefeiert. Anderntags war er bereits in aller Frühe zu einer längeren Reise ins Baltikum aufgebrochen. Wegen unserer schweren Köpfe hatten wir versäumt, uns zu verabschieden und einen Termin für ein Wiedersehen zu vereinbaren. Als auch ich dann München verließ, ahnte keiner von uns, dass es bis zu unserem Wiedersehen ein halbes Leben dauern würde.

      Kapitel 7

      Ich kam gerade von einer Auslandsreise zurück, als mir in der Eingangshalle des Münchner Hauptbahnhofs ein älterer Herr entgegenkam. Er hatte es eilig, denn im Vorbeigehen rempelte er mich an. Ich wollte dem Unhöflichen gerade einige Worte hinterherrufen, als eine Erinnerung aufblitzte. War das nicht der Crack gewesen? Auf der Stelle machte ich kehrt und holte den Mann ein.

      „Verzeihung, sind Sie nicht Herr Bisdorff?“, fragte ich höflich.

      „Ja“, antwortete mein Gegenüber erstaunt, „woher kennen Sie mich?“

      „Hallo Niki, erkennst du mich nicht wieder?“, fragte ich und blickte ihm voll ins Gesicht. Es war alt und fahl geworden und das früher zerstrubbelte Haar war einem grauen Flaum gewichen.

      „Nein, es tut mir leid, ich kann mich nicht an Sie erinnern“, antwortete er kühl.

      „Denk´ an das Studentenheim in der Türkenstraße“, versuchte ich ihm auf die Sprünge zu helfen.

      Doch er schüttelte den Kopf. Hatte sich mein Aussehen so verändert? Erst als ich meinen Namen nannte, leuchteten Erkennen und Wiedersehensfreude auf.

      Was für ein Zufall! Nach Jahrzehnten hatten sich unsere Wege zufällig wieder gekreuzt. Zwar war ich in der Vergangenheit öfters in München gewesen, doch meine Besuche waren mit familiären und geschäftlichen Dingen so ausgefüllt, dass für die Suche nach meinem Freund wenig Zeit geblieben war. Im Telefonbuch ließ sich sein Name nicht finden und auch gemeinsame Bekannte, bei denen ich mich nach ihm erkundigte, hatten ihn aus den Augen verloren.

      Im Bahnhofs-Restaurant unterhielten wir uns über Vergangenes und sein gegenwärtiges Leben. Was war aus seiner Arztkarriere geworden? Wie er berichtete, hatte er drei Semester nach mir sein Examen gemacht und danach in einer Münchner Klinik gearbeitet. Inzwischen lebte er in Rente und besserte sein Einkommen durch Gelegenheitsarbeiten auf. Resignation klang aus seinen Worten.

      Kapitel 8

      Nach meiner Rückkehr in die bayerische Heimat traf ich mich mit Niki wieder regelmäßig. Er lebte in einer kleinen Wohnung, die er mehr schlecht als recht und entsprechend seinen Junggesellen-Bedürfnissen eingerichtet hatte. Noch immer reiste er gelegentlich in seine baltische Heimat, wo man den Gast aus dem Westen, als vermeintlich gut situierten Arzt hofierte. Eine Ehre, die seiner angeschlagenen Psyche gut tat. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der neu gewonnenen Unabhängigkeit der baltischen Staaten kamen manchmal auch einige estnische Freunde nach München, die er in seiner kleinen Wohnung notdürftig unterbrachte.

      Bei unseren Begegnungen kam ich auf meine Absicht zu sprechen, das Abenteuer seines Lebens romanhaft niederzuschreiben. Er