Vorwort
Von der konzeptionellen Idee bis zur Fertigstellung dieses Buches, verging ein halbes Leben. Schon während meiner Studentenzeit hatte mich das abenteuerlich-bewegte Leben eines älteren Kommilitonen und Kriegsteilnehmers fasziniert. Bereits damals spielte ich mit dem Gedanken, es einmal literarisch aufzugreifen.
Diese Absicht war lange im Druck beruflicher Belastung untergegangen. Als ich meinen Studienkollegen dann nach Jahrzehnten wiedertraf, dachte ich erneut an die Verwirklichung meines Vorhabens. Mein Freund war davon wenig begeistert. Erst nach gutem Zureden war er bereit, Vergangenes wieder lebendig werden zu lassen. Danach saßen wir öfters beisammen — er berichtete und ich versuchte seine von der Zeit getrübten Berichte in einen logischen Kontext zu bringen und Lücken zu schließen.
Als das Manuskript des Buches endlich stand, erschien es einem kritischen Lektor überdimensioniert, danach sah ein erfahrener Buchautor den Inhalt zu straff erzählt. Der Handlung fehle das Fleisch.
Natürlich habe ich die Ratschläge meiner Kritiker, soweit ich es vor mir vertreten konnte, angemessen berücksichtigt und so hege ich die unbescheidene Hoffnung, dass der Roman nunmehr meinen verehrten Lesern gefallen möge.
Erich Rudolf Biedermann
München, im Herbst 2012
Kapitel 1
An einem Herbstnachmittag des Jahres 1958 fragte mich ein Kommilitone, ob ich Lust auf ein Tennismatch hätte. Wir wohnten damals beide im gleichen Münchner Studentenheim, doch ich kannte den Frager bisher nur vom Sehen. Es lag wohl auch daran, dass er nicht wie ich Volkswirtschaft, sondern Medizin studierte. Abgesehen davon, war er erheblich älter als ich.
Von nun an spielten wir öfters miteinander Tennis. Bei unseren sportlichen Kontakten stellte sich heraus, dass uns neben der Begeisterung für den weißen Sport, auch viele andere Interessen verbanden. So diskutierten wir gerne über die Münchner Kulturszene oder unterhielten uns über das aktuelle Fußballgeschehen. Zudem war uns ein ausgeprägtes Interesse am schöneren Geschlecht gemein. Wir unterschieden uns darin nicht von den allermeisten Studenten unseres Heims. Was meinen neuen Bekannten aber auszeichnete und über den Durchschnitt unserer Mitbewohner hinaushob, war sein ungewöhnlicher Erfolg bei jungen Damen. Trotz seines Alters galt er im Studentenheim als berüchtigter Herzensbrecher.
Ältere Studenten waren während dieser Zeit keine Seltenheit. Viele Jugendliche hatten während des Zweiten Weltkrieges ein Notabitur gemacht und waren danach zu den Waffen gerufen worden. Manche hatten sich auch freiwillig zum Wehrdienst gemeldet. Waren sie anfangs froh, dem Schulalltag Adieu sagen zu können, so folgte das bittere Ende oft auf dem Fuße. Viele dieser Unerfahrenen fielen, wie es damals hieß, für Führer, Volk und Vaterland. Die endlosen Gräberreihen auf den Soldatenfriedhöfen Europas zeugen noch heute von ihrem schrecklichen Schicksal. Diejenigen, die das Glück hatten mehr oder weniger heil nach Hause zu kommen, standen vor den Trümmern eines zerstörten beruflichen Lebens. Ein Teil von ihnen schrieb sich an Hochschulen ein und begann, mangels beruflicher Alternativen, mit einem Studium.
Einer dieser späten Studenten war mein Tennispartner. Mit seiner athletischen Figur, seinen grau-blauen Augen und den blonden Haaren, die meist zerzaust über die Stirn fielen, war er ein Mann, der gefiel. Seine durch die Jahre härter gewordenen Gesichtszüge verliehen ihm den Ausdruck von Verwegenheit. Jedoch wurde dieser eher martialische Eindruck, durch seine Art sich zu artikulieren, angenehm überdeckt. Auf Äußerlichkeiten legte er wenig Wert und seine nachlässige Kleidung schien junge Damen nicht zu stören. Es war wohl seine Ausstrahlung und die Art sich zu geben, die sie anzog und bewog, ihn in seiner Studentenbude zu besuchen. Seine Freundinnen waren durchwegs hübsch und gaben uns anderen Mitbewohnern oft Anlass zu Neid. Es war einfach nicht nachvollziehbar, weshalb sich das weibliche Interesse derart auf ihn konzentrierte, obwohl es im Hause doch ansehnliche Alternativen gab.
Kapitel 2
Mein Freund zeigte sich vom Tennissport geradezu besessen. Wann immer es das Wetter zuließ, war er auf der Suche nach einem Mitspieler. Natürlich sprach sich sein Faible im Studentenheim herum und es dauerte nicht lange, bis ihm scharfzüngige Kommilitonen den Spitznamen Tenniscrack oder kurz Crack anhängten.
Eigentlich hieß er Nikolaus Bisdorff und stammte aus dem Baltikum. Ich rief ihn Niki, weil er seinen Spitznamen nicht so gerne hörte. Mit der Zeit freundeten wir uns an, wobei der Altersunterschied von rund zwanzig Jahren nicht störte. Rivalitäten, wie sie bei Gleichaltrigen auftreten können, gab es bei uns nicht. Natürlich imponierte auch mir sein Glück bei Frauen, doch nach der Maxime ein Gentleman schweigt, sprach er nie über seine Eroberungen und war klug genug, sich nie damit zu brüsten.
Trotz allem Trainingsfleißes machte Niki auf dem Tennisplatz nur mäßige Fortschritte. Der Grund lag wohl darin, dass wir uns nie einen Trainer leisten konnten und deshalb immer wieder die gleichen Fehler machten. Eine Freundin, der ich unvorsichtigerweise einmal von unseren sportlichen Aktivitäten erzählt hatte, beobachtete uns eines Tages und zeigte sich danach wenig beeindruckt.
„Ihr spielt beide schlecht!“, kritisierte sie auf ihre direkte bayerische Art, „von euch ist keiner besser als der andere.“
Kapitel 3
Wir befanden uns wieder einmal auf dem Tennisplatz, als sich dort unerwarteter Besuch einstellte. Nikis neue Freundin Maggy gab sich die Ehre. Die junge Frau, sie mochte Anfang dreißig sein, erinnerte mit ihrem hübschen Gesicht, dem herzförmig geschminkten Mund, ihren blonden Haaren und ihrer hübschen Kleidung an eine Vorführdame in einem Modejournal.
„Hallo, endlich habe ich dich gefunden“, begrüßte sie Freund lebhaft.
Niki machte mich mit ihr bekannt, doch sie hatte nur Augen für ihn und beachtete mich kaum.
„Ich würde gerne mitspielen, mein Tenniskleid habe ich schon mitgebracht“, meinte sie mit einem bezaubernden Lächeln. Ehe wir uns dazu äußern konnten, war sie auch schon zu den Umkleidekabinen unterwegs. Als sie dann in Tennisröckchen und weißer Bluse wieder vor uns stand, schlug Niki ein halbes gemischtes Doppel vor. Zunächst wollte er zusammen mit Maggy beginnen.
Doch unser Spiel klappte nicht. Meine Doppelpartner verfehlten öfters den Ball, und wenn sie trafen, kamen oft skurrile Ballwechsel zustande, bei denen auch ich keine gute Figur machte. Unser spaßiges Spiel zu dritt lockte bald einige Zaungäste an, die sich auf wenig höfliche Art über unsere Tenniskünste amüsierten.
„Ich habe noch nie Doppel gespielt“, meinte Niki schließlich entnervt zu mir, „jetzt solltest du es einmal mit Maggy versuchen.“
Auch ich hatte keine einschlägige Spielpraxis, doch schon aus kollegialen Gründen wollte ich sein Ansinnen nicht ausschlagen. Wie zu erwarten, wurde unser Spiel aber nicht besser, im Gegenteil, und unsere Zuschauer amüsierten sich immer ungehemmter, wenn wir vergeblich nach misslungenen Bällen hechteten. Während Niki und mir der Schweiß auf der Stirne stand, schien unser stümperhafter Auftritt Maggy überhaupt nichts auszumachen. Und als wir später entnervt den Platz verließen, winkte sie unseren ungalanten Zaungästen freundlich zu.
Maggy und Niki hatten sich erst vor wenigen Wochen auf der Veranstaltung einer Münchner Wohlfahrtsorganisation kennengelernt, die Spenden für in Not geratene Verbrechensopfer sammelte. Niki war als Hilfskellner engagiert gewesen und hatte den geladenen Gästen Getränke serviert. Maggys gepflegte Schönheit war ihm sofort aufgefallen. Während des Abends war sie meistens alleine, weil ihr Mann, ein höherer Kriminalbeamter, ständig im Saal unterwegs und dort in Gespräche verwickelt war. Maggy langweilte sich und wenn sie ab und zu mit ihrem Ehemann einige Sätze