Eine unglaubliche Welt. Sabine von der Wellen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sabine von der Wellen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738010411
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weiß, wo gesucht werden muss, sollte er doch verschwinden. Aber er hatte Angst, dass ihn jemand verraten wird. Außerdem hat er keinen so guten Freund, dem er vertraut. Er wünscht sich mehr denn je einen an seiner Seite, der vielleicht sogar mit ihm zusammen diese angsteinflößende Tour unternehmen würde. Doch er gilt, seit dem Verschwinden seiner Schwester, als verrückter Einzelgänger, dem keiner Beachtung schenkt.

      So fährt er allein durch den Nieselregen über Feldwege und enge Straßen, von denen er hofft, sie werden ihn von der anderen Seite her zu dem Wald führen. Da er seinen Nachbarn damals dort angetroffen hatte, muss diese hügelige Straße irgendwo herkommen.

      Gerrit muss daran denken, wie der ihn in sein Auto gezerrt und nach Hause befördert hatte und ihm somit das Leben rettete und dass deshalb seine Schwester in die Falle getappt war.

      Gerrit fährt an einer viel befahrenen Straße entlang Richtung Alfhausen, bis er bald auf eine Querstraße trifft, die ihn wieder nach Westen führt.

      Er müht sich einen schrecklich hohen Hügel hoch und fährt dann augenblicklich in ein Waldstück hinein, von dem er inständig hofft, es handelt sich nicht schon um seinen Wald. Alles in ihm drängt zur Umkehr und will sich nur schwer davon abbringen lassen, diesen Fluchtgedanken sofort umzusetzen.

      Er kommt an einem Hof mit sauber gemähten Grünstreifen am Weg vorbei und muss mit Entsetzen feststellen, dass nach den kleinen, im sauberen Grün stehenden Ostbäumen, die asphaltierte Straße in einen Schlackeweg mündet.

      Gerrit bleibt stehen. Er muss hier falsch sein. Das kann doch nicht der richtige Weg sein?

      Doch dann gibt er sich einen Ruck. Wenn das hier nicht der richtige Weg ist, dann kann ihm auch nichts passieren. Also kann er beruhigt noch ein Stück weiterfahren, bevor er umkehrt und es morgen noch einmal versucht.

      So fährt er fast schon erleichtert den Schlackeweg weiter, kommt bald aus dem Waldstück heraus und sieht auf wunderschöne gelbe Rapsfelder. Es riecht süßlich und lautes Summen von Insekten liegt in der Luft. Die Erde scheint nach dem Regen zu dampfen und die Sonne tritt schwach hinter ein paar sich lichtenden Wolken hervor.

      Gerrit fährt über den mit Pfützen übersäten Weg weiter und genießt einen Moment das schöne Leuchten der Felder und die wärmenden Sonnenstrahlen.

      Als sein Blick nach vorne fällt, tritt er erschrocken in die Bremse und steigt vom Fahrrad, das mitten in einer Pfütze zum Stehen kommt. Doch das bemerkt Gerrit nicht, denn hinter den Feldern erscheint riesengroß und mächtig der Wald. Von hier aus kann Gerrit die Querstraße erahnen und weiß, dass sie direkt am Wald entlangführt. Mit klopfendem Herzen ist er sich plötzlich sicher, dass er seine Straße gefunden hat.

      Nun bemerkt er die Nässe, die sich durch den Stoff seiner Schuhe frisst und macht schnell einen Schritt vorwärts ins Trockene.

      „Verdammt!“, flucht er leise und weiß selbst nicht, ob er das sagt, weil seine Füße nass sind oder weil er den Weg doch noch gefunden hat. Er hatte sich schon so sehr damit abgefunden, die Tour am nächsten Tag noch einmal zu fahren, dass er jetzt fast geschockt ist, dass er nun doch sein Vorhaben beenden muss. Fast wie ein böses Omen schieben sich wieder Wolken vor die Sonne und lassen die Welt in Sekundenschnelle trist und grau wirken.

      Gerrit schwingt sich mit gemischten Gefühlen auf sein Fahrrad und fährt langsam weiter. An der Querstraße bleibt er erneut stehen und sieht mit Erschrecken fast direkt vor sich die Stelle, an der sein Nachbar ihn damals ins Auto gepackt und wo er mit seinem Vater Ninas Fahrrad gefunden hatte. Unschlüssig bleibt er stehen. Er sucht förmlich nach einem Grund, sein Vorhaben doch noch abbrechen zu können. Aber ihm fällt in diesem Moment beim besten Willen keiner ein.

      So versteckt er sein Fahrrad hinter einem Busch und läuft schnell, immer wieder sich nach der Katze umsehend, durch das Unterholz in den Wald.

      Er versucht so leise wie möglich zu sein und den Waldweg nicht aus den Augen zu verlieren. Bald schon kommt er an eine Abzweigung und steht einige Augenblicke unschlüssig da. Doch dann beschließt er, dass er besser auf dem Weg gehen kann, als so laut durch das Unterholz zu poltern. Katzen haben sehr gute Ohren! Sie wird ihn bestimmt sonst hören.

      So schleicht er weiter, jederzeit bereit, sich ins Unterholz zu werfen, wenn ihm irgendetwas Verdächtiges begegnet. Den Weg wieder zu finden, bereitet ihm zusätzliche Mühe. Aber schon bald entdeckt er die aufgewühlte Erde, in der er am vorherigen Tag, bei seinem Hechtsprung unter der Tanne hindurch, gelandet war.

      Gerrit duckt sich mit wild klopfendem Herzen und späht unter den niedrigen Ästen hindurch. Er kann nichts ausmachen, was ihm Angst macht und was er dann natürlich sofort zum Anlass nehmen würde, einfach aus dem Wald zu laufen. So nimmt er allen Mut zusammen und klettert durch die Tannenfront. Nun muss er wieder durch das dichte Unterholz gehen und dort verursachen seine Füße einen Krach, der ihm selbst so laut wie von einer wildgewordenen Elefantenherde vorkommt.

      Unschlüssig seinen Weg suchend, steht er plötzlich, wie durch Zauberhand, an der schräg vor ihm abfallenden Kuhle.

      Gerrit kann gerade noch seine Schritte bremsen, abgelenkt von dem plötzlichen Gezeter des auffliegenden Eichelhähers über ihm. Diesmal bringt der Gerrit nicht dazu, einfach wegzulaufen.

      Der sieht mit großen Augen in das gähnende Loch, das nun bei Tageslicht gar nicht so erschreckend aussieht. Die Kuhle ist vielleicht drei Meter tief und die Seiten so sacht abfallend, dass sie ihm nun ausgesprochen ungefährlich vorkommen. Fast will er sich schon einen Dummkopf schelten, weil er diesem Loch noch am Vorabend so viel Bedeutung beigemessen hatte, dass er nicht schlafen konnte, als ihm von der anderen Seite der Kuhle etwas entgegenblinkt.

      Gerrit geht vorsichtig um die Senke herum zur anderen Seite, wobei er einen umgefallenen Baumstumpf überklettern muss, und steht kurz darauf vor einem verrosteten Schild. Voller Erstaunen versucht er die Worte auf dem rostigen Blech zu entziffern.

       Der Alkenkrug

       Als in uralten Zeiten das Dorf Alfhausen nicht mehr als zwölf Häuser besaß, machten sich an Sonn- und Feiertagen die Alfhausener auf den Weg über die Westerholter Heide nach Merzen in die Kirche.

       Hier an dieser Stelle soll zu der Zeit eine Hütte gestanden haben, die „Der Krug“ genannt wurde. Die Kirchengänger kehrten auf ihrem langen Weg hier ein, um sich an einem Krug Bier zu laben.

       Der Wirt, der Alke genannt wurde, war kein gottesfürchtiger Mann. Er war nur auf seinen Gewinn aus und hielt die Leute davon ab, pünktlich sein Haus zu verlassen und die Kirche zu besuchen.

       Da nun der Wirt schon häufig verwarnt worden war und doch keine Besserung herbeiführte, strafte ihn zuletzt Gottes Hand.

       Seine Hütte versank eines Tages samt Scheune in der Erde und hinterließ diese Kuhle, die seit dem „Alkenkuhle“ genannt wird.

      Gerrits Augen tränen von dem angestrengten Lesen und er wuselt sich erschrocken durch sein kurzes Haar. „Mensch, das ist ja ein Ding“, murmelt er und sieht sich schnell um, ob er auch wirklich noch allein ist. Doch nichts und niemand außer ihm scheint hier zu sein.

      Ein versunkenes Haus … die Katze …, das kommt ihm recht unheimlich vor.

      Doch dann überlegt er, wie alt diese Geschichte von dem Alkenkrug wohl sein mag und warum es erst seit drei Jahren verschwundene Kinder gibt. Da kann es unmöglich einen Zusammenhang geben, oder?

      Gerrit ist verwirrt. Soll er in die Kuhle hinuntersteigen?

      Er hat Angst, nicht wieder hinaus zu können. Schließlich verdeckt dichtes Laub den Boden und er weiß nicht, was sich darunter befindet. Aber er beschließt, am nächsten Tag wiederzukommen und ein Seil mitzubringen. Damit wird er sich an einem der Bäume sichern und somit kann ihm auch nichts passieren.

      Mit diesem Gedanken geht er den Weg zurück, den er gekommen war und freut sich, auch diesmal der Katze nicht zu begegnen. Er fährt erneut über den Schlackeweg nach Hause und hofft, dass die Katze sich nicht unterdes ein