Da, da ist es wieder! Es scheint in unregelmäßigen Abständen aus der Wand neben ihm zu kommen. Er ist also hier unten nicht allein. Doch dieses Schnaufen klingt so unheimlich, dass er lieber nicht wissen will, was das sein kann. So lässt er auch ganz vorsichtig den Strahl seiner Lampe in die Richtung gleiten, aus der es zu kommen scheint und hält den Atem an. Doch vor ihm tut sich nur ein weiterer dunkler Gang auf und daraus dringt nun ein lautes Schmatzen.
Gerrit beeilte sich, das Licht auszuschalten und steht wie versteinert da. Doch nichts bewegt sich auf ihn zu. Die Geräusche bleiben immer am gleichen Platz.
Unschlüssig steht er da, von seinen Gefühlen hin und hergerissen. Einerseits schreit alles in ihm nach Flucht, aber andererseits hat er Angst, dann etwas zu verpassen, dass ihm hier unten weiterhelfen kann.
Schreckensstarr wartet er ab, die eine zittrige Hand um die Taschenlampe geschlossen und die andere um den Rucksackgriff. Langsam gewöhnen sich seine Augen an die Finsternis und mit Erstaunen bemerkt er, dass es den Gang entlang zu dem schnarchenden Etwas tatsächlich heller wird. Vielleicht ist dort schon ein Ausgang und was er da hört, ist nur ein schlafendes Pferd, dem ein Bauer den Höhleneingang als Pferch hergerichtet hatte.
Doch selbst an diesem Gedanken scheint etwas nicht zu stimmen, und alles in Gerrit mahnt ihn zur Vorsicht.
Vielleicht ist es dieses seltsame Schnaufen und Schnarchen, das irgendwie nicht zu einem Pferd passt. Es ist so schrecklich laut und durchdringend.
Vielleicht ist es aber auch der Gedanke, dass er nie von Höhlen in Ankum und der Umgebung gehört hatte und Nina und die anderen Kinder dann doch wohl gefunden worden wären.
Er blinzelt ein paar Mal. Doch noch immer scheint von dort Licht zu kommen und Gerrit will trotz der Einwände, die in seinem Bauch rumoren, die Hoffnung an einen Ausgang nicht aufgeben. Langsam, ohne sich weitere schreckliche Gedanken zu erlauben, schleicht er dem Licht entgegen.
Der Gang macht nach dreißig Schritten eine Kurve nach rechts. Nun sieht er, dass es dort noch viel heller sein muss, als er anfangs glaubte. Sein Herz macht förmlich einen Luftsprung.
So geht er mit schneller werdenden Schritten und sich dicht an der äußeren Wand haltend, um die Ecke und sieht nun in einiger Entfernung tatsächlich zwei Lichtpunkte. Auch die Schnarch- und Schmatzgeräusche werden lauter.
Gerrit erzittert bei dem Gedanken daran, was ihn dort erwarten könnte. Ein Pferd kann das unmöglich sein. Doch was gibt es hier unter der Erde, von dem man über der Erde nicht die leiseste Ahnung hat, und das solche gewaltigen Geräusche von sich gibt? Um ein Kaninchen handelte es sich dabei bestimmt nicht!
Er kommt dem Licht immer näher und steht bald vor zwei leuchtenden Gefäßen, die an beiden Seiten des Tunnels in etwa zwei Metern Höhe angebracht sind.
Gerrit besieht sich das erstaunt.
Wer hat hier solche Gefäße an dem grauen Gemäuer befestigt? Und was ist darin, was so hell leuchtet? Er sieht keine offene Flamme und keinen Rauch.
Vorsichtig geht er weiter und findet in dem Gang noch ein Dutzend solcher Lichtgefäße. Das Schnarchen und Schmatzen wird immer lauter, und Gerrit kriecht die Angst vor dem vor ihm hausenden Etwas immer quälender durch die Knochen. Er ist kein Held, wollte auch nie einer sein. Er mag noch nicht einmal Filme im Fernsehen, die zu aufregend sind. Und das hier, das übersteigt ganz klar die Grenzen des für ihn Erträglichen. Aber nun kann er nicht, wie beim Fernsehen, so tun, als hätte er Durst und müsse eben etwas trinken gehen oder mal eben aufs Klo oder so etwas. Nein, hier muss er all seinen Mut zusammennehmen, und hier ist er in diesem Albtraum auch noch die Hauptfigur.
Zitternd bleibt er stehen. Nein, er kann nicht weitergehen. Mag da auch ein Ausgang sein, er kann nicht weiter. Dieses Schnaufen und Ächzen lassen ihn dermaßen vor Angst erbeben, dass er glaubt, nie wieder einen Schritt tun zu können.
„Verdammt, ich muss aber!“, schreit er sich in Gedanken zu und gibt sich einen Ruck. Alles in ihm sperrt sich dagegen und doch weiß er, dass er keine Wahl hat. Er sitzt hier schließlich nicht vor seinen Hausarbeiten und kämpft mit dem „Ich muss …“ und „Ich will aber nicht.“ Hier geht es darum, einen Ausgang zu finden, der ihm das Leben retten kann.
Der Gedanke, dass er nun sein eigenes Leben retten muss, vielleicht sogar richtig darum kämpfen muss, trifft ihn wie ein Schlag mit einem Vorschlaghammer. Keiner wird ihm die Arbeit hier abnehmen. Er muss also weiter.
Schließlich lässt ihn die Gewissheit, dass dieses seltsame Wesen vor ihm hoffentlich fest schläft, weiterschleichen.
So setzt er Fuß vor Fuß und schleicht, dicht an die feuchte Wand gepresst, voran, jederzeit zur Umkehr bereit. Als er ein weiteres Paar leuchtender Schalen hinter sich lässt, breitet sich der Gang zu einer riesigen Höhle aus. Gerrit sieht erstaunt, dass sie rund herum von leuchtenden Schalen erhellt wird.
Mitten in dieser Höhle ragen riesengroße Felsen bis zur Decke hinauf. Wassertropfen glänzen an den Wänden, die das Licht der seltsamen Schalen wiederspiegeln und sie gelb und grün schimmern lassen.
Das laute Schnarchen und Röcheln hört plötzlich auf und Gerrit erstarrt. Leises Schnüffeln wird hörbar und er weicht, direkt neben dem Eingang, durch den er gekommen ist, an die Wand zurück. Seine Augen gleiten durch die Höhle und versuchen auszumachen, von woher die Geräusche kommen. Doch alles scheint hier seltsam widerzuhallen und den wirklichen Ursprung zu verzerren.
Gerrits Gedanken überschlagen sich, je lauter das Schnüffeln wird.
„Ich muss hier weg!“, schreit es in ihm und dennoch ist er nicht in der Lage, sich zu bewegen. Was kann das sein, das hier unten wohnt und von irgendjemandem versorgt wird? Es muss doch jemand diese Schalen aufgehängt haben und dieses Etwas füttern! Also gibt es hier jemanden, der ihn hier herausführen kann.
Ja, so muss es sein. Also darf er nicht weglaufen! Es wird ihm bestimmt nichts tun. Es kennt vermutlich Menschen.
„… Und hat sie zum Fressen gern, vor allem junge Menschen“, schießt es ihm durch den Kopf und er spürt den kalten Schweiß zwischen seinen Schulterblättern herabrinnen.
Plötzlich poltert es in der Höhle und etwas Großes schießt auf ihn zu. Es kommt direkt hinter dem Felsen hervor und bewegt sich schnell auf vier kurzen Beinen voran. Es ist groß wie ein ausgewachsener Elefant und hat gelbe, durchdringende Augen und eine lange Schnauze mit riesigen Zähnen. Ein dicker Schwanz mit riesigen Zacken wedelt kampflustig hin und her und lässt Wassertropfen durch die Luft peitschen.
Gerrit glaubt seinen Augen nicht zu trauen. Das Vieh sieht aus wie ein Drachen mit Krokodilschnauze aus einem Horrorfilm. Aber solche Viecher gibt es doch gar nicht in der Wirklichkeit!
„Ich muss weglaufen!“, ruft er sich in Gedanken zu und ist doch beim besten Willen nicht in der Lage dazu. Seine Beine sind wie festgewachsen und hören nicht auf das, was sein Kopf ihnen so verzweifelt zuruft.
Mit stampfenden Füßen und speichelspritzendem, weit aufgerissenem Maul rennt die Bestie auf ihn zu, als wolle sie ihn packen und zerfleischen.
Plötzlich kracht es an einer der hinteren Wände, als wolle ein Bulldozer sie durchbrechen und mit verdrehten Augen und hängender Zunge bleibt das Tier plötzlich stehen. Nur noch der Schwanz peitscht umher und schlägt größere Brocken des Felsens aus der Höhlenmitte ab.
Gerrit steht starr an die Wand gepresst da, unfähig zu jeglichen Bewegungen, und stiert entsetzt auf die fauchende und zischende Gestalt, die sich ihm immer wieder verzweifelt zu nähern versucht. Doch eine starke Kette ist fest um den Hals des Tieres geschlungen und scheinbar an der hinteren Wand verankert. Es braucht einige Momente, bis Gerrit begreift, dass dieses drachenähnliche Geschöpf angekettet ist wie ein Hund.
Das Fauchen wird zorniger und Spuke spritzt durch die Zähne hindurch in Gerrits Gesicht.
Angewidert reißt er die Arme hoch und putzt sich mit dem Ärmel sauber. Der schleimige Speichel riecht übel nach vergammeltem Fleisch und Kot.
Nun